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Die fehlende Mitte der ÖFB-Protagonisten

Jürgen Pucher analysiert nach dem EM-Aus die Performance des ÖFB-Teams:

Die fehlende Mitte der ÖFB-Protagonisten

Spieler, Trainer und Funktionäre haben bei der Euro ihre Mitte verloren. Die Medien haben sie nie gehabt. Der Blick in die Zukunft muss trotzdem nicht düster aussehen.  

Auf der Tribüne (vor dem Fernseher, im Wirtshaus)

Es ist schon immer wieder ein hartes Stück Arbeit, Fan der österreichischen Nationalmannschaft zu sein. Drei Spiele voller richtig großer Schmerzen sind seit 14. Juni durchlitten worden. Mit dem aktuellen Bewerb habe ich vier Turniere mit österreichischer Beteiligung bewusst miterlebt (WM 1990, 1998 und Euro 2008, 2016) und jedes Mal war es nach der Gruppenphase zu Ende. In Italien 1990 war Spiel drei schon belanglos und es war der einzige Sieg, den ich gesehen habe (2:1 gegen die USA). Bei den darauffolgenden Endrunden holperte sich die Mannschaft zu jeweils einem Entscheidungsspiel gegen eine Fußballgroßmacht (Italien und Deutschland) und war am Ende dort ohne wirkliche Chance. Dieses Mal haben wir die Dramaturgie wieder vergleichbar erlebt und das Entscheidungsspiel ging „nur“ gegen Island. Österreich hat aber wieder verloren und fährt heim.

Alle Umstände in diesen letzten zwei Wochen gemeinsam machen gerade dieses Turnier zum traurigsten der vier. Fußballösterreich war in Aufbruchsstimmung, das Team, die Medien und die Fans sind mit einer riesigen (wie wir jetzt wissen überzogenen) Erwartungshaltung nach Mallemort gereist. Wir alle – und nämlich wirklich alle – haben geglaubt, dass es dieses Mal zumindest ins Achtelfinale gehen muss. Und dann kam Ungarn und der härteste Aufprall auf den Boden der Realität, den ich als Fan mitgemacht habe. Bei den Bewerben davor, da wusste man immer so ein bisschen im Hinterkopf, wenn das was wird, ist es echt außergewöhnlich. Das war das österreichische Los nach den 1970er- und frühen 1980er-Jahren und deshalb war das auch immer ganz gut zu verkraften. Ich wollte glauben, das sei überwunden. Das katastrophale Spiel gegen die östlichen Nachbarn war deshalb ein echter Schlag in die Magengrube, von dem sich außer den tapferen Schlachtenbummler vor Ort im Camp Austria leider keiner mehr erholt hat.

Warum ist das alles so schief gelaufen? Ich denke es ist ein klassischer Fall der Verschuldensfamilie. Zunächst ist ein bisschen eine Arroganz des Teams nach der guten Qualifikation nicht mehr zu leugnen gewesen. Auch die mäßigen Testspiele wurden weggewischt und ich denke alle, inklusive Marcel Koller, haben das selbst so geglaubt. Dass man den Schalter zum Tag X wieder umlegen kann. Zugleich wurde eine gewisse Nervosität schon vor dem Auftaktspiel sichtbar, siehe das lächerliche Scharmützel von Willi Ruttensteiner wegen Peter Hackmairs belangloser Körpersprachebemerkungen. Ein Team, das in seiner Mitte ruht, kratzt sowas nicht einmal am Rande. Diese fehlende Mitte ist von außen betrachtet vielleicht die treffendste Beschreibung der ganzen österreichischen Performance bei dieser Euro. Denn nicht nur die Spieler, auch der Teamchef, der Sportdirektor und vor allem die meisten Medien standen neben sich.

 

"Koller zauderte, warf seine Konzepte über den Haufen und vor allem im mentalen Bereich ist ihm der Zugriff auf sein Team zunehmend verwehrt geblieben."

Letzteren fehlt die besagte Mitte ohnehin seit jeher. Europameister oder Versager. Dazwischen gibt es wenig, überspitzt formuliert. Nur wenige Beobachter versuchen ein ausgewogenes Bild zu zeichnen und die jeweiligen Ereignisse rational einzuordnen. Ich denke, wir alle sollten dieses Turnier als das sehen, was es am Ende war: Ein Lernprozess. Für alle. Auch für den Teamchef. Es wurde immer gemutmaßt, ob die fehlende Turniererfahrung der Kicker ein Problem sein könnte. Es war ein Problem. Aber auch der Trainer hatte keine solche vorzuweisen und auch das war ein Problem. Koller zauderte, warf seine Konzepte über den Haufen und vor allem im mentalen Bereich ist ihm der Zugriff auf sein Team zunehmend verwehrt geblieben. Nichtsdestotrotz ist Marcel Koller der Trainer, mit dem ich als Fan und Begleiter der Nationalmannschaft in die WM-Qualifikation gehen will.

Wer jetzt eine Teamchef-Debatte in den Raum stellt (und gar nicht so wenige Kollegen machen das), ist entweder dement oder vollkommen ahnungslos. Und wer es wagt, Vergleiche mit den Turnieren 1998 und 2008 anzustellen, hat meinen fachlichen Respekt nachhaltig verspielt. Weil, auch wenn Koller für die letzten drei Spiele zurecht Kritik abbekommt, wir wären ohne ihn nicht dort, von wo aus die gleichen so genannten Experten vor der Euro in eine Riesen-Euphorie verfallen sind. Dazu sind das Geplapper über die Überspieltheit von David Alaba oder das Gerede von den schwachen Qualifikationsgegnern Themenverfehlungen. Das Turnier wurde im Kopf verloren, durch die Umstände rundherum, durch ein Abkommen vom guten Weg, auf den man nicht mehr zurückgefunden hat.

Aber: Wenn diese Mannschaft mit ihrem noch immer größten Potential, das in Österreich je ein Team hatte, die Euro 2016 als Erfahrungswert nimmt und mit diesem Mehrwert in die WM-Qualifikation geht, dann sieht trotz momentaner Enttäuschung die sportliche Zukunft nicht gar so düster aus. Da kommen gute Leute nach. Alessandro Schöpf ist schon da und wird bleiben. Florian Grillitsch, Michael Gregoritsch und Florian Kainz stehen bereit. Und wegen drei verpatzter Partien werde ich jetzt nicht plötzlich an den Fähigkeiten von Marcel Koller zu zweifeln beginnen, obwohl ich ihm schon auch ein bissl Gram bin, wegen seiner Performance in Frankreich. Bei dem Weg, den es nun ab dem Herbst zu gehen gilt, sollte sich das Team Austria vor allem eines Umstandes bewusst sein: Sie müssen den alleine gehen. Auf eine reflektierte Öffentlichkeit zu hoffen, ist in diesem Land ein verheerender Fehler.

Jürgen Pucher war Gründungsmitglied der Plattform „sturm12.at“ und hat dort über Jahre hinweg mit seiner Kolumne „12 Meter“ die Diskussionen rund um den Grazer Verein und den österreichischen Fußball extrem bereichert. Nun beschäftigt er sich als Betreiber der Podcast-Plattform "blackfm.at" mit den Geschehnissen bei den Schwarz-Weißen. Bei LAOLA1 verfasst er in regelmäßigen Abständen Gastkommentare zum Geschehen im heimischen Kick und nun speziell zur EURO 2016.


Die Meinung der Fans zum EURO-Aus der Österreicher:




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