plus-video

"Keiner ist enttäuschter als das Team selbst"

An Julian Baumgartlinger ist das EM-Aus nicht gelegen. Er erklärt dafür im Interview woran:

Dinge, von denen man sich wenig bis gar nichts kaufen kann?

Zum Beispiel Österreichs bester EM-Teilnehmer zu sein, wenn das Nationalteam insgesamt maßlos enttäuscht und bereits nach der Vorrunde die Heimreise antreten muss.

An Julian Baumgartlinger ist das nicht gelegen. Der 28-Jährige war als einer der wenigen am Punkt in EURO-Form.

„Bei mir war alles klar. Ich hatte eigentlich keine Baustellen in meinem Leben, in meiner Karriere oder in meinem mentalen Zustand. Das war für mich ein absoluter Luxus“, begründete der zukünftige Leverkusen-Profi nach dem Island-Spiel.

Sein aufgeräumtes Auftreten auf dem Platz setzte sich im Anschluss nahtlos fort. Trotz seines Frusts gelang Baumgartlinger bereits kurz nach Spielschluss eine durchdachte Analyse des österreichischen Scheiterns.

Frage: Was ist in diesen drei Partien schief gegangen?

Julian Baumgartlinger: Es ist nicht alles schiefgegangen, aber wenn man es unterm Strich sieht, war es keine optimale EM für uns. Wir sind selbstkritisch genug – das waren wir schon nach dem Ungarn-Spiel. Auch nach dem Portugal-Spiel waren wir ehrlich die Leistung betreffend, waren aber mit dem Punkt zufrieden, weil er gegen einen sehr guten Gegner hart erkämpft war. Gegen Island haben wir alles dafür getan, um das Ergebnis, das wir wollten, zu erzielen, aber eben nicht bis zur finalen Konsequenz, bis zum Abschluss. Kleinigkeiten entscheiden darüber, ob man weiterkommt oder nicht.

"Natürlich ist es Fakt, dass einige Jungs direkt vor der EM aus einer Verletzung gekommen sind, einige in einer gewissen Ungewissheit stecken, die belastet."

Julian Baumgartlinger

Frage: War der Wurm erst beginnend mit dem Ungarn-Spiel drinnen oder schon vorher? Die Warnsignale waren da.

Baumgartlinger: Das ist so schwer einzuordnen! Natürlich ist es Fakt, dass einige Jungs direkt vor der EM aus einer Verletzung gekommen sind, einige in einer gewissen Ungewissheit stecken, die belastet. Und dass diese EM-Bühne eine gewisse Nervosität hervorruft, die vielleicht zu Fehlern führen kann, war nicht von der Hand zu weisen.

Frage: Das gilt aber für andere Nationen auch.

Baumgartlinger: So ist es! Deswegen darf es keine Ausrede oder Alibi sein. Es hat einfach nicht gereicht von unserer Seite, was wir gebracht haben. Nehmen wir zum Beispiel das erste Spiel: Da war Ungarn eben in den entscheidenden Situationen wacher, schärfer, konzentrierter, vielleicht auch konsequenter in der Umsetzung ihrer Art und Weise. Wir haben unser Spiel erst ab dem Portugal-Spiel konsequent umgesetzt und gegen Island erst in der zweiten Halbzeit. Das reicht dann nicht.

Frage: Die allgemeine Meinung ist, und das zurecht, dass du der beste Österreicher bei diesem Turnier warst. Hast du in der Vorbereitung irgendetwas gemacht, und sei es mental, um auf dem Punkt da zu sein?

Baumgartlinger: Ich hatte das Glück, dass ich eine verletzungsfreie Saison hatte, in Topform durchspielen konnte und viele Erfolgserlebnisse hatte. Ich habe meine Entscheidung getroffen, den Verein zu wechseln. Bei mir war alles klar. Ich hatte eigentlich keine Baustellen in meinem Leben, in meiner Karriere oder in meinem mentalen Zustand. Das war für mich ein absoluter Luxus. Es war auch eine gute Situation zu wissen, was meine Aufgabe im Team ist und was es braucht, um dagegen zu halten.


Frage: Wenn man versucht, Gründe zu finden, sieht man auch, dass die beiden Quali-Gegner Russland und Schweden interessanterweise ebenfalls eine schlechte Rolle spielten. War in irgendeiner Form auch Selbstüberschätzung dabei?

Baumgartlinger: Natürlich muss man Ursachenforschung betreiben. Zu 100 Prozent. Das tun wir auch! Ich glaube, es ist keiner enttäuschter als die Mannschaft selbst und der Trainer, weil wir sehr selbstkritisch sind und auch die Erwartung an uns selbst haben, Leistung und Ergebnisse zu bringen. Wenn 35.000 Österreicher in Paris im Stadion sind, wollen wir denen auch etwas zurückgeben – das ist eine gewisse Verantwortung, die wir haben, und der sind wir nicht nachgekommen.

Frage: Ist man dies nicht gegen Island nach der Pause noch am ehesten? Von sechs Halbzeiten erinnerte die zweite Halbzeit im Stade de France an die letzten Jahre.

Baumgartlinger: Und trotzdem haben wir das entscheidende Tor nicht gemacht. Das sind eben diese Nuancen. Es ist nicht immer viel, was entscheidet. Das 0:1 gegen Ungarn war so eine Aktion, wo wir ein Mal nicht aufgepasst haben. Der Einwurf gegen Island – das war ebenfalls so eine Aktion, wo wir nicht aufgepasst haben. Es gehört zum Lernprozess, dass wir in der Quali eventuell das eine oder andere Mal mehr Spielglück hatten, denn wir haben viele Spiele 1:0 gewonnen, viele Spiele über die Zeit gebracht. Das hat uns diesmal einfach gefehlt. Es ist natürlich zu einfach, das jetzt auf das Spielglück zu schieben, weil es nicht nur das war. Das wissen wir auch. Aber es ist wieder das, was ich vorher angesprochen habe. Es hat gewisse Sachen gegeben, die die Vorbereitung nicht unbedingt begünstigt haben.

Frage: Wie viel Jetzt-erst-Recht-Mentalität war nach dem 0:1 im Spiel?

Baumgartlinger: Ich glaub nicht, dass es vorher so schlimm war, dass wir völlige Katastrophe gespielt hätten. Es ist aber eben so, dass man, wenn man ein System zum ersten Mal spielt, ein bisschen reinkommen muss. Das hat man schon gemerkt. Nachdem wir den Ball in der Fünferkette ein paar Mal haben zirkulieren lassen, haben wir auch gemerkt, dass die Isländer wirklich Probleme mit dem Verschieben bekommen haben. Nach dem 0:1 waren wir natürlich sauer und haben gewusst: Okay, jetzt alles oder nichts!

"Diese Mentalität, die die Italiener schon seit Jahren pflegen, bieder in ein Turnier zu starten und dann immer besser zu werden, ist zum Beispiel etwas, was man mitnehmen kann."

Julian Bumgartlinger

Frage: Wie sinnvoll war es, in solch einem „Finale“ plötzlich das System umzustellen?

Baumgartlinger: Der Trainer hatte seine Gründe dafür, er hat sie uns auch erklärt. Natürlich fühlt man sich in dem System, das man vier Jahre spielt, sehr wohl. Ich glaube, man hat in der zweiten Halbzeit auch gesehen, dass wir da viel mehr Automatismen drinnen haben. Trotzdem hat es auch in der ersten Halbzeit nach dem 0:1 funktioniert, dass wir den Gegner bewegt haben. Wir wollten das Spiel mit den beiden Außen, die im Prinzip eine Mittelfeld-Funktion hatten, sehr breit anlegen und hatten auch unsere zwei, drei Chancen. Es war nicht so, dass das nicht funktioniert hätte – auch defensiv bis auf den Einwurf. Deswegen kann man es nicht darauf schieben.

Frage: Die Grundidee dieses System war ja nicht unbedingt falsch. Aber viereinhalb Jahre an einem System zu feilen und dann in solch einer wichtigen Partie ungeprobt ein anderes System zu probieren, muss man nicht verstehen.

Baumgartlinger: Dadurch, dass es grundsätzlich funktioniert hat, war es nicht das Hauptproblem. Es hat andere Probleme gegeben. Da muss man wieder auf die Effizienz kommen. Die ist einfach das Entscheidende in jeder Quali, in jeder Gruppenphase, in jedem Achtelfinale oder in jedem Finale. Was auch immer jetzt kommt, man wird sehen: Die Mannschaften, die effizient sind und Tore machen, werden auch weiterkommen.

Frage: Das Positivste an diesem Turnier ist vermutlich, dass man richtig viel gelernt hat, oder?

Baumgartlinger: Hundertprozentig! Die Erfahrung kann uns keiner nehmen. Auch die negative Erfahrung, zu wissen, dass man vielleicht einmal anders in ein Spiel reingehen muss. Wenn wir gegen Ungarn in der ersten Halbzeit merken: Wir können unsere Erwartungen gerade selber nicht erfüllen, könnten wir auch sagen: „Okay, starten wir einmal mit einem Unentschieden und begnügen uns damit, in diesem Spiel reifer und cleverer zu werden und uns ganz einfach eine bessere Ausgangsposition für das Turnier zu schaffen.“ György Garics, der lange in Italien war, hat nach dem Spie gesagt, dass er sich schon in der ersten Halbzeit gedacht hat, es ist gescheiter, lieber auf ein Unentschieden zu gehen, dann haben wir wenigstens keine Niederlage. Diese Mentalität, die die Italiener schon seit Jahren pflegen, bieder in ein Turnier zu starten und dann immer besser zu werden, ist zum Beispiel etwas, was man mitnehmen kann.


Bild 1 von 161
Bild 2 von 161
Bild 3 von 161
Bild 4 von 161
Bild 5 von 161
Bild 6 von 161
Bild 7 von 161
Bild 8 von 161
Bild 9 von 161
Bild 10 von 161
Bild 11 von 161
Bild 12 von 161
Bild 13 von 161
Bild 14 von 161
Bild 15 von 161
Bild 16 von 161
Bild 17 von 161
Bild 18 von 161
Bild 19 von 161
Bild 20 von 161
Bild 21 von 161
Bild 22 von 161
Bild 23 von 161
Bild 24 von 161
Bild 25 von 161
Bild 26 von 161
Bild 27 von 161
Bild 28 von 161
Bild 29 von 161
Bild 30 von 161
Bild 31 von 161
Bild 32 von 161
Bild 33 von 161
Bild 34 von 161
Bild 35 von 161
Bild 36 von 161
Bild 37 von 161
Bild 38 von 161
Bild 39 von 161
Bild 40 von 161
Bild 41 von 161
Bild 42 von 161
Bild 43 von 161
Bild 44 von 161
Bild 45 von 161
Bild 46 von 161
Bild 47 von 161
Bild 48 von 161
Bild 49 von 161
Bild 50 von 161
Bild 51 von 161
Bild 52 von 161
Bild 53 von 161
Bild 54 von 161
Bild 55 von 161
Bild 56 von 161
Bild 57 von 161
Bild 58 von 161
Bild 59 von 161
Bild 60 von 161
Bild 61 von 161
Bild 62 von 161
Bild 63 von 161
Bild 64 von 161
Bild 65 von 161
Bild 66 von 161
Bild 67 von 161
Bild 68 von 161
Bild 69 von 161
Bild 70 von 161
Bild 71 von 161
Bild 72 von 161
Bild 73 von 161
Bild 74 von 161
Bild 75 von 161
Bild 76 von 161
Bild 77 von 161
Bild 78 von 161
Bild 79 von 161
Bild 80 von 161
Bild 81 von 161
Bild 82 von 161
Bild 83 von 161
Bild 84 von 161
Bild 85 von 161
Bild 86 von 161
Bild 87 von 161
Bild 88 von 161
Bild 89 von 161
Bild 90 von 161
Bild 91 von 161
Bild 92 von 161
Bild 93 von 161
Bild 94 von 161
Bild 95 von 161
Bild 96 von 161
Bild 97 von 161
Bild 98 von 161
Bild 99 von 161
Bild 100 von 161
Bild 101 von 161
Bild 102 von 161
Bild 103 von 161
Bild 104 von 161
Bild 105 von 161
Bild 106 von 161
Bild 107 von 161
Bild 108 von 161
Bild 109 von 161
Bild 110 von 161
Bild 111 von 161
Bild 112 von 161
Bild 113 von 161
Bild 114 von 161
Bild 115 von 161
Bild 116 von 161
Bild 117 von 161
Bild 118 von 161
Bild 119 von 161
Bild 120 von 161
Bild 121 von 161
Bild 122 von 161
Bild 123 von 161
Bild 124 von 161
Bild 125 von 161
Bild 126 von 161
Bild 127 von 161
Bild 128 von 161
Bild 129 von 161
Bild 130 von 161
Bild 131 von 161
Bild 132 von 161
Bild 133 von 161
Bild 134 von 161
Bild 135 von 161
Bild 136 von 161
Bild 137 von 161
Bild 138 von 161
Bild 139 von 161
Bild 140 von 161
Bild 141 von 161
Bild 142 von 161
Bild 143 von 161
Bild 144 von 161
Bild 145 von 161
Bild 146 von 161
Bild 147 von 161
Bild 148 von 161
Bild 149 von 161
Bild 150 von 161
Bild 151 von 161
Bild 152 von 161
Bild 153 von 161
Bild 154 von 161
Bild 155 von 161
Bild 156 von 161
Bild 157 von 161
Bild 158 von 161
Bild 159 von 161
Bild 160 von 161
Bild 161 von 161

Kommentare