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Hofer: "Das Erscheinungsbild der Sportart ist unique"

Hofer:

Vom Nischen-Produkt zur massenkompatiblen Faszination - das Skispringen erlebte im letzten Jahrzehnt einen ungeahnten Boom.

Thomas Morgenstern, Gregor Schlierenzauer, Simon Ammann oder Adam Malysz durchbrachen längst die Grenzen ihrer Sportart. Die Überflieger im "Adlerhorst" erlangten Superstar-Status. Sind Vorbilder. In manchen Fällen sogar nationale Ikonen.

„Die Athleten haben es verstanden, beim Publikum anzukommen. Ich schreibe dies einzig und alleine ihnen zu. Es ist ein Phänomen“, sucht Walter Hofer, seines Zeichens seit 1992 FIS-Renndirektor, nach Erklärungen.

Die Visionen des 56-jährigen Kärntners beeinflussten diesen Trend nachhaltig. Bei LAOLA1 spricht der „Mister Skisprung“ über neu erlangten Handlungs-Spielraum, Athleten-Kritik und deren Mitsprache-Recht, Österreichs Dominanz sowie die künftige Rolle der Frauen.

LAOLA1: Herr Hofer, die neue Skisprung-Saison steht vor der Tür. Auf welche Veränderungen müssen sich die Anhänger gefasst machen?

Walter Hofer: Diesmal kann ich die Fans beruhigen, es kommt kein kompliziertes System hinzu. Zwei Neuerungen sind zu erwähnen. Der BMI-Wert (Anm.: Body Mass Index) bei den Herren wurde um ein halbes Prozent angehoben. In drei Jahren bedeutet dies eine Erhöhung von 20 auf 21, was rund drei Kilogramm Gewichtszunahme entspricht. Außerdem ist die Einführung der Weltcup-Serie für Damen ein bedeutender Schritt. Wir können mit einer stattlichen Anzahl an Wettkämpfen aufwarten, in Lillehammer werden sie sogar gemeinsam mit den Herren starten.

LAOLA1: Was erhofft man sich davon?

Hofer: Die Mädchen brauchen entsprechende Präsenz, das ist der konsequente Schluss dessen. Da es logistisch schwierig wäre, die Bewerbe auf verschiedenen Schanzen-Größen durchzuführen, wurden sie auf die Normalschanze verlegt. Es erlaubt uns, die Damen alternierend mit den Männern springen zu lassen. Es ist die Intention, zukünftig – zumindest, was das Fernseh-Bild betrifft - zu versuchen, die beiden Disziplinen zu koordinieren.

LAOLA1: Inwiefern ziehen die TV-Anstalten bei diesem Vorhaben mit? Liegt es in eigenem Ermessen, das Springen der Frauen auszustrahlen?

Hofer: Die FIS verpflichtet Veranstalter und nationale Verbände, welche die Rechte haben, schon bei der Weltcup-Vergabe zur Produktion, aber ohne Sende-Garantie. Wir können keine flächendeckende Übertragung erwarten, so etwas bringt die Zeit. Es geht gar nicht um die wesentlich höhere Präsenz, sondern darum, eine Plattform in dem gedrängten Kalender zu finden. Es ist ein völliger Neustart.

LAOLA1: Am Beginn eines Neustarts zielt man in den Folgejahren auf eine bestimmte Entwicklung ab, können sie diese verdeutlichen?

Hofer: Im Vordergrund steht das Athleten-Gut, dort haben wir noch aufzuholen. Es ist sprichwörtlich eine junge Disziplin, was das Alter angeht. Das Gros liegt zwischen 14 und 17 Jahren. Da müssen wir Geduld haben. Ich bin überzeugt, eine ähnliche Entwicklung wie im Alpinen und Biathlon-Bereich der Frauen durchzumachen.

LAOLA1: Zurück zu den Herren: Welche Lehren zog die FIS aus der ersten kompletten Saison mit der Anlauf- und Wind-Regelung?

Hofer: Was die Physik betrifft, sind wir immer auf sicherem Boden gestanden. Gegen die Formel und Kompensation ist nichts einzuwenden. Wobei ich dazu sagen muss, wir gleichen nicht zu 100 Prozent aus, sondern zwischen 60 oder 70. Es ist nur eine Annäherung an mehr Fairness sowie Sicherheit. Wir versuchen die Sportart mit Begleit-Maßnahmen zu steuern. Uns bietet sich ein deutlich größerer Handlungs-Spielraum, um in Krisen-Situationen besser reagieren zu können. Wer Verantwortung trägt, ist heilfroh, diese Möglichkeit zu haben. Wir haben gemerkt, dass die Jury künftig vermehrt in die Rolle des Schiedsrichters rücken wird. Sie ist jedoch angehalten, nur im Ausnahmefall auf das System zurückzugreifen.

Seinen erfolgreichen Landsleuten steht Hofer "völlig neutral" gegenüber

LAOLA1: Inwiefern bindet die FIS ihre Sportler sowie Trainer in die Entscheidungsfindung ein?

Hofer: Grundsätzlich darf ich folgendes festhalten: In allen Bereichen, wo wir mit unseren Athleten in Kontakt stehen, finden ihre Aussagen Gehör. Wir "leben" vor Ort zusammen, der Austausch findet so ständig statt. Für Wettkampfsituation gibt es aber besondere Rahmenbedingungen. Unser Bestreben muss sein, die Teilkomponenten so vorzubereiten, dass der Sportler möglichst optimale Bedingungen vorfindet. Er ist, abgesehen von der individuellen emotionalen Situation, rein organisatorisch von der Jury-Arbeit getrennt. Dafür sind Trainer und Mannschaftsführer die Ansprechpartner. In Lillehammer wird außerdem ein neuer Athletenvertreter gewählt. Er wird zu jeder Sitzung des FIS-Sprungkomitees eingeladen. Während der Bewerbe konzentriert er sich jedoch auf die eigene Leistung, da ist er nicht nur Kollege, sondern Konkurrent. Gemäß Reglement steht es den Athleten zu, Bedenken mit Bezug auf Sicherheit uns gegenüber zu äußern.

LAOLA1: Ob der Wind- sowie Anlauf-Kompensation hagelte es anfangs Kritik, dies verkompliziere den Sport unnötig. Prallt solch negativer Input ab, oder setzt man sich damit konstruktiv auseinander?

Hofer: Es ist im Saison-Verlauf bereits ruhig geworden, die Akzeptanz scheint gegeben. Jetzt geht es darum, mit Hilfe grafischer Darstellung das Verständnis zu vergrößern. Wir wollen Skispringen für das Publikum mundgerecht servieren. Rückmeldungen von Athleten und Trainern sind unsere tägliche Arbeit. Auch Meinungen der Medien und Zuschauer werden benötigt. Wir haben einen Wettkampf, welcher sehr attraktiv ist und hohen sportlichen Wert besitzt. Um an Feinheiten zu arbeiten, braucht man die Rückmeldung. Und auch Kritik. Der Prozess ist niemals abgeschlossen.

LAOLA1: Der Skisprung durchlebte im letzten Jahrzehnt einen beeindruckenden Wandel. Besonders das Interesse der Öffentlichkeit schnellte rasant in die Höhe, warum ist dem so?

Hofer: Die Athleten haben es verstanden, beim Publikum anzukommen. Ich schreibe dies einzig und allein ihnen zu. Wir haben die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Das Podium, auf welchem sich der Springer bewegt, ist dementsprechend zu präsentieren. Zudem ist das Erscheinungsbild der Sportart unique und in ihren Schattierungen nicht vollständig zu erklären. Die Außendarstellung kommt beim Zuschauer gut an, dadurch kommen die TV-Ratings zustande. Es ist ein Phänomen.

LAOLA1: Bietet sich dadurch die Möglichkeit, bisher ungeahnte Märkte zu erschließen?

Hofer: Die Richtung geht in zwei Ebenen. Wir wollen Länder zurückholen, die früher bedeutend waren. Das sind Polen, Ukraine, Lettland, Estland, Kasachstan oder Russland, dort wollen wir wieder Fuß fassen. Auf der anderen Seite gilt es, speziell mit den Mädchen Fokus auf Nationen zu legen, die schon dabei waren, es aber im Moment nicht sind, wie Frankreich, Italien, USA oder Kanada. Das ohnehin kleine Klientel an Skisprung-Nationen soll zusammengeführt werden.

LAOLA1: Um Begeisterung zu schüren, scheint Erfolg unerlässlich. Welcher Nation trauen sie wohl am ehesten diesen Schritt zu?

Hofer: Das Grundinteresse muss durch die Attraktivität des Sports bestehen. Für mich war Polen der beste Lernprozess. Durch das Erreichte stieg Adam Malysz zum nationalen Hero auf. Dieses Potenzial sehen wir ebenfalls in anderen Ländern, ich denke da an Russland. Dort verspüren wir Ansätze, die in dieselbe Richtung gehen.

LAOLA1: Der Hype in Österreich korrespondiert mit den Seriensiegen der Vergangenheit. Was ist das Erfolgsrezept? Welche Meinung vertritt der internationale Verband zu dieser Dominanz?

Hofer: Eine völlig neutrale! Jeder Sieger ist für uns der richtige. Österreich arbeitet in Teilbereichen optimal und professionell. Es ist ein Zusammenspiel vieler Komponenten. Ein bedeutender Faktor ist Stams. Dort findet ein Sozialisierungsprozess statt, welcher in anderen Ski-Schulen nicht abläuft. Der Österreichische Skiverband und die öffentliche Hand haben eine Struktur geschaffen, die herzeigbar ist. Aber es bleibt ein Kommen und Gehen, niemand hat es bisher geschafft, oben zu bleiben. Andere Nationen kommen nach. Manchmal ist die Fluktuation größer oder sie macht eben kleinere Wellen-Bewegungen. Will man Superstars kreieren, wie Thomas Morgenstern oder Gregor Schlierenzauer, müssen sie Seriensiege feiern. Man kann froh sein, solche Erscheinungen zu haben.

LAOLA1: Die Wirkung auf die Aufmerksamkeit anderer Länder scheint weniger positiv...

Hofer: Natürlich. Unser Bestreben ist, den Rückgang mit dem Zugewinn zu kompensieren. Das heißt, das Niveau sollte stetig steigen. Wir haben es in Deutschland gesehen. Vor Martin Schmitt und Sven Hannawald war das Interesse relativ niedrig, mit den beiden ist es extrem groß gewesen. Trotz Abfall in den letzten Jahren ist die Begeisterung wesentlicher höher als zuvor.

Das Gespräch führte Christoph Köckeis