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"Kraft ist nicht auf perfekte Sprünge angewiesen"

Er war dafür verantwortlich, dass Deutschland einen Skisprung-Boom erlebte, dessen Ausläufer heute noch deutlich spürbar sind.

Martin Schmitt, auch heute noch mit unverkennbarer, lila Kopfbedeckung unterwegs, begeisterte die Massen und eilte rund um die Jahrtausendwende von Erfolg zu Erfolg.

Zweimal gewann er den Gesamtweltcup, viermal WM- sowie einmal Olympia-Gold. Der Traum vom Gewinn der Vierschanzen-Tournee blieb ihm versagt.

Nachdem die sportlichen Erfolge in den letzten Jahren rar gesät waren, entschied er sich im Vorjahr, seine große Laufbahn zu beenden.

Dem Skisprung-Sport blieb er dennoch treu, in dieser Saison war er erstmals als TV-Experte für „Eurosport“ in neuer Rolle mit von der Partie.

Für LAOLA1 hat sich der bald 37-Jährige (29. Jänner) Zeit genommen, um die Tournee 2014/15 mit dem ÖSV-Doppelsieg durch Stefan Kraft und Michael Hayböck Revue passieren zu lassen.

LAOLA1: Martin, wir haben vier Wettkämpfe auf einem extrem hohen Niveau gesehen, das bessere Ende hatten wieder einmal die ÖSV-Adler für sich. Wie resümierst du die 63. Tournee?

Martin Schmitt: Die Österreicher waren wieder brutal stark. Michi und Stefan sind auf einem tollen Niveau gesprungen und haben sich keine Blöße gegeben. Beide haben dann auch verdient gewonnen.

LAOLA1: Was hat Gesamtsieger Kraft in den letzten zehn Tagen so stark gemacht?

Schmitt: Er hatte einen super Start und ein extrem hohes Grundniveau. Das heißt, er ist nicht auf perfekte Sprünge angewiesen. Selbst, wenn er einen kleinen Fehler macht, ist er immer noch vorne oder zumindest vorne dabei. Er war cool, nervenstark und hat auf seine Stärken gebaut. Auch wenn es am Ende noch ein kleines bisschen eng wurde, hat er es doch souverän nach Hause gebracht.

LAOLA1: Beide haben ausgerechnet bei der Tournee unter großem Druck ihren ersten Weltcupsieg gefeiert. Welche Rolle spielt dabei das Selbstverständnis des ÖSV-Teams, zu wissen, bei diesem Ereignis traditionell stark zu sein?

Schmitt: Ich glaube, die Mannschaft hat eben genau dieses Selbstverständnis. In den letzten Jahren wurde das immer wieder bestätigt. Die österreichische Mannschaft strahlt es aus, dass die Tournee ihr Wettkampf und ihre Serie ist und sie dort stark sind. Entsprechend konnten sie ihre Grundform noch einmal anheben, sodass beide Athleten in Topform waren.

LAOLA1: Apropos Serie. Eine Unserie der deutschen Mannschaft (49 sieglose Tournee-Bewerbe) ging in Innsbruck dank Richard Freitag zu Ende. Wie groß war die Erleichterung bei dir?

Schmitt: Auf jeden Fall sehr groß. Österreich sind die Siege ebenfalls nicht zugeflogen. Auch unsere Mannschaft wird sich das alles wieder erarbeiten müssen. Sie braucht dieses Selbstverständnis, zu wissen, auch bei einem Großereignis wie der Tournee ganz vorne stehen zu können. Der Sieg von Richard war sicher ein richtiger Schritt.

LAOLA1: Ist die Anordnung, erst zwei Springen in Deutschland abzuhalten, aus mentaler Sicht ein Nachteil für den DSV?

Schmitt: Das würde ich nicht sagen. Es gab in Oberstdorf in 63 Tournee-Jahren 20 deutsche Siege. Man kann daher nicht sagen, dass es per se ein Nachteil ist. Man braucht aber das Wissen, dass man da bestehen kann. Da hilft jeder Erfolg. Richard ist seine beste Tournee gesprungen. Mit einem Sieg geht es sich nächstes Jahr leichter in den Bewerb, dann ist er ein einer Position, in der er angreifen kann.

LAOLA1: Man hat den schmalen Grat beim Skispringen deutlich vor Augen geführt bekommen. Auf der einen Seite die jubelnden ÖSV-Adler, auf der anderen wird Simon Ammann abtransportiert. Wie hast du die Situation erlebt?

Schmitt: Der Sturz war ähnlich wie der erste in Oberstdorf. Er hat manchmal leichte Probleme bei der Landung. Hier (in Bischofshofen) war es speziell im zweiten Durchgang glatt. Da fahren die Ski schnell raus, es geht rasch und man liegt. Es ist auch nicht leicht, zu landen. Das Schuh-Bindungs-System ist auf eine gute Flugphase ausgerichtet und nicht auf eine gute Landung. Deshalb ist es nicht leicht, sondern relativ schwierig. Ich drücke ihm die Daumen, dass er schnell wieder auf die Beine kommt.

LAOLA1: Wurde ihm damit jenes System zum Verhängnis, dass er selbst 2010 eingeführt hat?

Schmitt: Nun ja, es ist doch viel komplexer. Es geht dabei nicht nur um den gebogenen Stab, sondern den gesamten Bereich und das Schuh-Bindungs-System.

LAOLA1: Du hast die Tournee aus einer neuen Perspektive kennengelernt. Wie gefällt dir die Rolle als TV-Experte?

Schmitt: Es hat super viel Spaß gemacht. Es war eine coole Geschicht und ein tolles Team. (lacht, während ihm ein Mitarbeiter spaßhalber eine ‚Pistole‘ an die Schläfe hält). Nein, es war wirklich super, es war schön, hier dabei zu sein.

LAOLA1: Welche Rolle kannst du mehr genießen?

Schmitt: Es hat alles seine Zeit. Früher war ich gerne Skispringer, jetzt bin ich gerne für das Fernsehen dabei. Ich freue mich, in dieser Rolle bei so einem tollen Sport dabei sein zu dürfen. Die Jungs haben Wahnsinniges geleistet, da ist es schön, so etwas hautnah miterleben zu dürfen und darüber reden zu können. Eine klasse Sache.

LAOLA1: Was war die größte Umgewöhnung zwischen deinen beiden Rollen?

Schmitt: Dass es jetzt noch kälter ist als in meiner Springer-Zeit.

LAOLA1: Vielen Dank für das Gespräch.


Das Interview führte Christoph Nister