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"Ich mache mir nicht mehr den großen Druck!"

Fragt man Gregor Schlierenzauer nach seinen Zielen, muss er schmunzeln.

Kein Wunder: Viel kann er darauf auch nicht sagen, denn viel hat der ÖSV-Überflieger nicht mehr übrig gelassen.

Mit gerade einmal 22 Jahren ist er bereits Tourneesieger, Weltmeister, Gesamtweltcupsieger, Skiflug-Weltmeister und Gewinner von 40 Weltcup-Springen.

Dementsprechend entspannt geht der Tiroler in die neue Saison: "Früher bin ich immer relativ stark unter Strom gestanden. Das hat sich nun etwas verändert, weil mir bewusst geworden ist, dass ich eigentlich schon sehr viel erreicht habe."

Trotzdem denkt Schlierenzauer im LAOLA1-Interview noch lange nicht an den Ruhestand.

LAOLA1: Gregor, am Freitag erfolgt der Weltcup-Auftakt in Lillehammer. Bereit für die neue Saison?

Gregor Schlierenzauer: Ja, doch. Es war zwar nicht der erfolgreichste Sommer, aber einer der wertvollsten, was die Erkenntnisse betrifft. Zählen tut es ohnehin im Winter. Es wird generell eine interessante Saison, da es doch eine gravierende Änderung gegeben hat. Der Skisprungsport ist noch sensibler geworden.

LAOLA1: Glaubst du, dass einige Namen in der Ergebnisliste weiter oben auftauchen, mit denen man nicht unbedingt rechnet?

Schlierenzauer: Das Klassement wird sich sicher etwas durchmischen. Durch die Anzüge ist einfach alles noch sensibler geworden. Es kann passieren, dass man eigentlich sehr gut springt und trotzdem nicht ganz vorne landet. Am Ende der Saison steht aber der Konstanteste oben.

LAOLA1: Wie kann man einem Laien erklären, was sich beim Sprung konkret verändert hat?

Schlierenzauer: Die Tragfläche, die am Körper war, ist nun weg. Das spürt man vor allem beim Rausspringen. Diese Phase ist die sensibelste und entscheidendste. Meiner Meinung nach ist das Ganze nun auch windanfälliger geworden. Hoffentlich wird es nicht gefährlicher.

LAOLA1: Zuletzt gab es immer wieder Kritik, dass eine funktionierende Sportart wie Skispringen fast zerrevolutioniert wird.

Schlierenzauer: Man kann natürlich immer alles übertreiben. Es gibt ja ganz einfache Sportarten wie Fußball, wo der gewinnt, der mehr Tore schießt. Bei uns wird jedes Jahr am Rad herumgedreht, was meiner Meinung nach nicht nötig ist. Es ist um einiges komplizierter geworden.

LAOLA1: Früher hat der Weiteste gewonnen…

Schlierenzauer: … und der mit den besten Noten. Mittlerweile ist es sogar so, dass selbst die Athleten nicht mehr wissen, wer vorne ist. Darunter leiden natürlich die Emotionen, darunter leiden auch die Zuschauer. Für die Sportart ist das mittelfristig nicht das Positivste.

LAOLA1: Positiv könnte aber die Idee sein, Skispringen künftig auch in großen Stadien durchzuführen. Oder bist du da eher skeptisch?

Schlierenzauer: Das sind Ideen, die man muss sich einmal anschauen muss. Grundsätzlich bin ich eher dafür, dass Weltcup-Springen dort stattfinden, wo auch eine geile Stimmung ist. Das könnte man eventuell lenken, aber so einfach wird das nicht.

LAOLA1: Würdest du dir da mehr Mitsprache-Recht wünschen?

Schlierenzauer: Das stellt sich jeder einfacher vor als es tatsächlich ist. Die FIS sollte sich schon öfters die Meinungen der Topstars einholen. Aber vor allem müssen sie sich die Zeit geben, um Tests durchzuführen. Momentan ist es so, dass die Saison aus ist und zur nächsten gibt es schon wieder eine Änderung. Man schaut halt dann, wie es funktioniert. Für den Athleten ist es eine Riesen-Challenge.

LAOLA1: Du hast ja im Sommer einen offenen Brief an die FIS geschrieben, der offensichtlich einiges bewegt hat. Mittlerweile wurden die Anzüge ja wieder etwas adaptiert.

Schlierenzauer: Es freut und ehrt mich, dass die FIS reagiert hat. Es zeigt, dass man etwas wert ist und die Meinung, die man hat, offenbar nicht so schlecht ist. Trotzdem ist das Hauptproblem damit noch nicht vom Tisch.

LAOLA1: Besteht die Gefahr, dass man sich zu sehr auf die Nebengeräusche fokussiert, anstatt seine Stärken weiter auszubauen?

Schlierenzauer: Nein, ich habe nur meine Meinung geäußert, die ich auch immer wieder gerne wiederhole. Aber ich bin keiner, der daran zerbricht. Natürlich muss man damit rechnen, dass man eine auf den Deckel bekommt, wenn man gewisse Töne anschlägt. Ich glaube jedoch, dass ich mit 40 Weltcupsiegen das Recht dazu habe, meine Meinung zu äußern. Wer das nicht aushält, tut mir leid.

LAOLA1: Was nimmt sich eigentlich ein 22-Jähriger, der schon fast alles gewonnen hat, noch vor?

Schlierenzauer (schmunzelt): Da gibt es schon noch einiges. Ich sehe das Ganze aber mittlerweile eher langfristig. Das erste große Ziel ist natürlich, den Rekord von Matti Nykänen zu brechen. Dazu fehlen mir noch sieben Siege. Das zweite große Ziel ist Sotschi. Aber ich habe in dieser Hinsicht keinen Stress. Das Wichtigste ist, dass alles noch Spaß macht, dass man gesund ist.

LAOLA1: Nützen sich Siege eigentlich ab, wenn man so jung schon so viel erreicht hat?

Schlierenzauer: Es ist sicher der normale Lauf der Zeit, dass man sich irgendwann denkt: „Jetzt ist es genug, jetzt mag ich nicht mehr.“ Aber so weit ist es bei mir noch lange nicht. So lange ich brenne, so lange ich Freude habe, werde ich dem Sport treu bleiben.

LAOLA1: Wie groß ist die Gefahr, ein Martin-Schmitt-Schicksal zu erleiden?

Schlierenzauer: Skispringen ist einfach eine sehr sensible Sportart. Man kann von heute auf morgen nur mehr 20. sein, man kann aber auch wieder ganz nach vorne kommen. Das macht den Reiz und die Sucht dieser Sportart aus.

LAOLA1: Du bist nun doch schon seit einigen Jahren dabei und in all diesen Jahren immer authentisch geblieben.

Schlierenzauer: Das ist aus meiner Sicht auch das Wichtigste, dass man als Spitzensportler authentisch bleibt. Alles andere kostet auch zu viel Energie. Wenn man immer etwas vorspielen muss oder gekünstelt ist. Warum soll ich mich verstellen? Ich werde immer meine Meinung sagen, es werden auch ab und zu Tränen fließen. Das bin halt ich.

LAOLA1: Wird man mit zunehmendem Alter auch gelassener?

Schlierenzauer: Auf jeden Fall. Gewisse Dinge sieht man sicher relaxter. Ich mache mir vor einer Saison nicht mehr den großen Druck. Früher bin ich immer relativ stark unter Strom gestanden. Das hat sich nun etwas verändert, weil mir bewusst geworden ist, dass ich eigentlich schon sehr viel erreicht habe. Man muss einfach genießen, dass man so etwas tun darf. Das Leben ist zu wertvoll, um sich über gewisse Dinge aufzuregen. Es gibt weitaus wichtigeres als im Spitzensport erfolgreich zu sein.

Das Interview führten Kurt Vierthaler und Stephan Schwabl