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"Natürlich gibt es auch Tage, wo es belastend ist!"

Im Sommer, so möchte man meinen, könnten Skispringer die Zuckerseite des Lebens genießen.

Zwei Monate offiziell Pause, bestes Badewetter, dazu kein Medienrummel mehr.

Bei Gregor Schlierenzauer ist das jedoch weit gefehlt.

Der Tiroler beginnt nicht nur zwei Wochen nach Saisonende schon wieder mit dem Training, er hat auch so gut wie jeden Tag Termine.

"Es gehört einfach zum Spitzensport dazu. Ich seh‘ es auch als Privileg", erklärt der 22-Jährige.

Schlierenzauer gibt im LAOLA1-Sommergespräch aber auch zu, dass das Leben im Rampenlicht nicht immer angenehm ist.

LAOLA1: Gregor, die Skisprung-Saison ist nun schon seit gut zwei Monaten vorbei. Genug Zeit, um den Kopf wieder ganz freizubekommen?

Gregor Schlierenzauer: Ja, schon. Diese Zeit brauch‘ ich auch immer. Ich muss aber sagen, dass ich zum ersten Mal nach einer Saison nicht so ausgebrannt war. Das taugt und zeigt mir, dass ich gut trainiert hab‘.

LAOLA1: Mental oder körperlich?

Schlierenzauer: Beides. Ich bin wieder so richtig hungrig aufs Skispringen. Es ist gut, dass wir Ende Mai wieder richtig loslegen, da ich schön langsam etwas unrund werde. Skispringen ist schon eine Sucht.

LAOLA1: Andererseits wird dir auch nach Saisonende sicher nicht langweilig werden. Es jagt ja ein Termin den nächsten. Wie lebt es sich damit, wenn man schon in jungen Jahren ständig in der Öffentlichkeit steht?

Schlierenzauer: Manchmal gut, manchmal schlecht. Es gehört einfach zum Spitzensport dazu. Ich seh‘ es auch als Privileg. Wenn man jung ist, will man erfolgreich sein. Und wenn man über Jahre hinweg erfolgreich ist, hat man eben mehr Termine und steht sehr in der Öffentlichkeit.

LAOLA1: Und das macht immer Spaß?

Schlierenzauer: Natürlich gibt es auch Tage, wo es belastend ist. Aber den Großteil der Tage mach‘ ich es sehr gerne. Die Öffentlichkeit respektiert auch, wenn man seine Privatsphäre haben will.

LAOLA1: Im Jänner am Kulm hat man dir die Strapazen nicht nur angesehen, du hast auch klar gesagt, dass du mal eine mediale Pause brauchst. War da einfach die Grenze des Machbaren überschritten?

Schlierenzauer: Im Nachhinein betrachtet ist alles auf einen Tag zusammengekommen. Die Nachwehen der Tournee, dazu der Hype am Kulm und dann auch noch die Disqualifikation wegen des Reisverschlusses. Ich hab‘ einfach einen Abstand gebraucht. Es hat sicher nicht geschadet, dass auch einmal zu artikulieren.

LAOLA1: Was war die Konsequenz aus dem Ganzen?

Schlierenzauer: Ich hab‘ eine Medienbetreuung gesucht und die jetzt auch gefunden. Es läuft jetzt noch professioneller ab, damit ich meine Energien nicht verschwenden muss. Daher bin ich mir sicher, dass es zu solchen Situationen wie am Kulm nicht mehr kommen wird.

LAOLA1: Du machst dir ja generell immer viele Gedanken, was man wo noch verbessern könnte. Ist das einmal der erste Schritt?

Schlierenzauer: Ich bin einer, der sehr professionell arbeitet und alles perfekt haben will. Da gehört auch die Medienarbeit dazu. Mit der nötigen Unterstützung ist es leichter.

LAOLA1: Inwiefern?

Schlierenzauer: Du lernst andere Menschen sehr gut kennen, aber in erster Linie lernst du dich sehr, sehr gut kennen. Man lernt zu kämpfen, zu verzichten, konsequent zu sein, zu reisen, zu feiern. Es sind sehr viele Facetten, die man mitbekommt.

LAOLA1: Und man bekommt auch etwas Geld.

Schlierenzauer: Ja, natürlich. Aber Formel 1-Fahrer und Fußballer spielen noch einmal in ganz anderen Ligen. Das ist auch gut so. Ich würde das gar nicht wollen. Vor 15 Jahren war Skispringen auch noch nicht da, wo es jetzt ist, wobei wir in Sachen Preisgeld wieder einen Rückwertstrend erleben. Das find‘ ich auch nicht gut.

LAOLA1: Sport ist auch bekannt für seine Neidgesellschaft. Gibt es so etwas wie Freundschaften im Skisprung-Zirkus?

Schlierenzauer: Ja, die gibt es. Aber auf der Sportstätte sollte man es trennen können. Zu gut sollte sie dann nicht sein (grinst).

LAOLA1: Hast du gute Freunde im ÖSV-Team?

Schlierenzauer: Ja, hab‘ ich. Aber die richtig guten Freunde hab‘ ich außerhalb.

LAOLA1: Kommen wir zum Sportlichen: Man hat das Gefühl, dass andere Nationen stark aufgeholt haben. Muss man sich Sorgen machen, dass sie euch bald überholt haben?

Schlierenzauer: Ich kann da nur von mir reden. Ich schau‘, dass ich jedes Jahr top vorbereitet bin und mich in allen Bereiche verbessere. Aber es ist so, dass andere Nationen mittlerweile auch österreichische Trainer und dadurch auch die Philosophie übernommen haben. Ich hab‘ trotzdem keine Angst, überholt zu werden. Konkurrenz belebt das Geschäft. Ich will weiter Spaß an der Sache haben. Wenn fünf Springer besser waren, muss man das auch akzeptieren.

LAOLA1: Hättest du ab und zu gerne mehr Privatsphäre?

Schlierenzauer: Manchmal denk‘ ich mir schon, dass es super wäre, wenn man mich nicht kennen würd‘. Aber dann gibt’s auch wieder Tage, an denen ich das total super finde. Das Positive überwiegt weiterhin.

LAOLA1: Gibt’s so etwas wie Normalität noch?

Schlierenzauer: Die gibt’s auf jeden Fall noch. Daheim bei der Familie wird auch nicht über Skispringen oder Öffentlichkeit geredet, sondern über private Dinge. Ich denke, jeder, der in der Öffentlichkeit steht, braucht so einen Rückhalt, wo er sich auch einmal fallen lassen kann.

LAOLA1: Hast du das Gefühl, in deiner Jugend etwas verpasst zu haben?

Schlierenzauer: Natürlich muss man auf einiges verzichten. Aber für mich ist es der Wahnsinn, dass ich das alles erleben darf. Ich glaube es oft selbst nicht, was ich schon alles erreicht hab‘. Ich frag‘ mich oft: Wieso ausgerechnet ich?

LAOLA1: Was würdest du machen, wenn du nicht Spitzensportler wärst?

Schlierenzauer: Puh, keine Ahnung. Ich war schon von klein auf extrem sportfanatisch. Es hat für mich immer nur Sport gegeben. Wahrscheinlich hätte ich einen Job, der weitläufig etwas mit Sport zu tun hätte.

LAOLA1: Du bist mit der Fotografie und deiner Modelinie sehr kreativ unterwegs. Wäre das nicht auch ein Standbein?

Schlierenzauer: Ich bin eigentlich erst durch den Sport in diese Schiene hineingekommen. Ich komm‘ sehr viel um die Welt und hab‘ irgendwie das Bedürfnis das alles festzuhalten. Ich will diese Dinge den anderen Menschen wiedergeben. Ohne den Sport hätte ich vielleicht nicht so eine Sichtweise. Sport ist wirklich eine Lebensschule.

LAOLA1: Aber ein Dauerzustand wäre das für dich doch nicht, oder?

Schlierenzauer: Das ist auf Dauer natürlich nicht mein Ziel.

LAOLA1: Was kann man tun, um oben zu bleiben?

Schlierenzauer: Gewissenhaft vorbereiten, professionell trainieren, konsequent sein, Augen offen halten und gut analysieren. Man muss in allen Bereichen gewappnet sein. Und natürlich brauchst du in den entscheidenden Momenten auch das nötige Glück.

LAOLA1: Im Winter sollen ja neue, hautenge Anzüge kommen. Wie stehst du dazu?

Schlierenzauer: Es wird sicher ungewohnt, aber das ist dann ohnehin für jeden so. Grundsätzlich will die FIS das einführen, damit die Flugkurve flacher wird und man nicht mehr so nach vorne springen kann. Dadurch braucht man mehr Anlauf und die Luken würden nicht ausgehen. Ich persönlich glaube nicht, dass sich die Flugkurve großartig ändern wird. Man wird in der Luft noch schneller werden, der Wind wird noch entscheidender sein. Aber ich lass‘ mich auch gern eines Besseren belehren.

LAOLA1: Kritiker meinen, Skispringen habe sich in den letzten Jahren regeltechnisch nicht zum Positiven verändert. Gäbe es Dinge, die du ändern würdest?

Schlierenzauer: Ich hab‘ in den vergangenen Jahren oft genug meinen Senf dazugegeben. Vielleicht sollte man mal eine Umfrage in Österreich durchführen, ob das Skispringen besser oder schlechter geworden ist. Für mich ist es einfach zu kompliziert – nicht nur für den Zuschauer, sondern auch für den Athleten. Die Jury tut sich extrem schwer, die richtige Anlauflänge zu finden. Dieses ewige Hin- und Herwechseln interessiert keinen mehr.

LAOLA1: Das war ja auch nicht Sinn der Sache.

Schlierenzauer: So ist es. Wenn man es ganz nüchtern betrachtet, war Skispringen immer eine Sportart, bei der es um die Weite ging. Schneller, höher, weiter. Es ging darum, wer den nächsten Rekord aufstellen wird. Heute springst du fünf Meter kürzer als der Führende und bist trotzdem zehn Punkte vorne. Da frag‘ ich mich, ob das der richtige Gedanke zum Skispringen ist. Wenn im Fußball Österreich gegen Brasilien spielt, kann Österreich auch nicht mit einem 3:0-Vorsprung ins Spiel gehen. Man muss sich einfach an den Besten messen.

Das Interview führte Kurt Vierthaler