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"Skispringen ist nicht das Wichtigste auf der Welt"

Es hat etwas von einem Déjà-vu. Nur ohne Schnee.

Aber sonst ist fast alles wie im Winter. Sogar die Temperaturen sind ähnlich wie im März.

Und die Ergebnislisten sowieso. Neben dem Einser ist meistens der Name von Thomas Morgenstern zu finden. Eben wie im Winter.

Der Kärntner dominiert den Sommer-GP nach Belieben, die Konkurrenz befürchtet schon wieder Langeweile in den Wintermonaten.

Im LAOLA1-Interview erklärt der 24-Jährige aber, wieso Ergebnisse nach wie vor nicht so wichtig sind, er nicht mehr viele Jahre im Weltcup vor sich hat und Schulterklopfer keine Saison mehr haben.

LAOLA1: Thomas, du scheinst im Sommer dort anzuknüpfen, wo du im Winter aufgehört hast: Mit Siegen.

Thomas Morgenstern: Ja, der Auftakt war wirklich sensationell. Ich bin zufrieden und auch sehr stolz. Was am meisten wert ist, dass das Ganze auf einer soliden Basis steht. Körperlich und technisch ist alles überaus stabil – es gibt keinen Schnalzer nach unten.

LAOLA1: Wie ist diese phänomenale Frühform zu erklären?

Morgenstern: Ich würde es nicht Frühform nennen. Ich hab‘ so wie jedes Jahr einen Plan gemacht, wie die neuen Saison ausschauen soll. Mein Gefühl nach der abgelaufenen Saison war so gut wie noch nie. Darauf konnte ich aufbauen. Es fühlt sich alles gut an. Ich bin motiviert. Wenn dann auch noch die Platzierungen stimmen, erleichtert das natürlich einiges.

LAOLA1: Toni Innauer hat mal gesagt: Im Sommer werden die Champions gemacht. Würdest du das unterschreiben?

Morgenstern: Es ist schon meistens so, dass ein guter Sommer auch ein gutes Omen für den Winter ist. Zumindest hab‘ ich mir das immer eingeredet (lacht). Wenn ich den Sommer-GP gewonnen hab‘, war ich auch im Winter gut. Im Prinzip baust du auf den Sommer auf, es schadet nicht, wenn du da schon gut drauf bist.

LAOLA1: Du bist erst 24, gehst aber heuer schon in deine neunte volle Saison.

Morgenstern: Ja, Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Viele Jahre hab‘ ich nicht mehr. Ich werde heuer meine zehnte Tournee bestreiten – das ist schon irre. Ich will die restlichen Jahre einfach noch genießen und die Motivation aufrechterhalten.

LAOLA1: Du sagst, du hast nicht mehr viele Jahre, dabei könntest du theoretisch noch zehn Jahre springen.

Morgenstern: Ja, theoretisch schon. Aber ich will da jetzt auch gar nicht viel planen. Ich plane kurzfristig, von Jahr zu Jahr. Es ist wertvoll, dass bei mir schon einiges auf der Habenseite steht. Das macht alles etwas leichter. Es kann mir noch zehn Jahre Spaß machen, oder nur mehr drei oder fünf Jahre. Entscheidend ist auch, welche Türen sich daneben auftun.

LAOLA1: Wird man nicht auch einmal Weltcupmüde? Das ständige Reisen, im Winter ist man selten zu Hause.

Morgenstern: Ich hab‘ diese Zeit schon überstanden. Vor zwei, drei Jahren war das noch anders. Es kostet einfach extrem viel Energie, wenn man sich selbst zu viel Druck auferlegt und zu verbissen ist. Wenn immer nur das Ergebnis oder die Konkurrenz im Vordergrund steht, ist das sehr anstrengend. Zumal das oft Faktoren sind, die du ohnehin nicht beeinflussen kannst. Liberec war da ein prägendes Erlebnis.

LAOLA1: Und das Reisen?

Morgenstern: Das macht mittlerweile wieder Spaß, obwohl es jedes Jahr dasselbe ist. Jedes Jahr derselbe Ort, immer dasselbe Hotel. Es ist zwar einseitig, aber ich hab‘ nicht mehr viele Jahre vor mir. Irgendwann werde ich die ganze Zeit zu schätzen wissen.

LAOLA1: Worin liegt die Motivation nach einer Saison, in der man alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt? Ergebnistechnisch kann es ja nur schlechter werden.

Morgenstern: Klar, nach so einer Saison kann es nur schlechter werden. Aber das wäre die falsche Einstellung. So hab‘ ich vielleicht früher gedacht, mittlerweile ist das anders. Mir geht es darum, wieder zu den Ursprüngen zu kommen. Warum bin ich eigentlich Skispringer geworden?

LAOLA1: Und warum?

Morgenstern: Weil mich die Sportart fasziniert hat. Es ist ein irrsinnig geniales Gefühl, wenn man in diesem Flow-Zustand ist. Wenn du das Fliegen auskosten kannst, wenn die Physik wirkt, wenn alles zusammenstimmt, was dahinter steckt. Natürlich will ich auch Ergebnisse einfahren, aber die Welt geht nicht mehr unter, wenn es mal nicht für ganz vorne reicht.

LAOLA1: Muss man eine erfolgreiche Saison genauso aufarbeiten, wie eine weniger gute?

Morgenstern: Natürlich wird geschaut, was gut war und was mir gut getan hat. Im Prinzip musst du so eine Saison auch mal genießen können. Aber es ist auch wichtig, dass du dich nicht auf den Lorbeeren ausruhst, sondern wieder die richtigen Hebel bewegst. Man kann sich immer und überall verbessern. Ich will mich zum Beispiel im Skifliegen weiterentwickeln.

LAOLA1: Kannst du jetzt mit fast 25 die Erfolge besser einordnen, als noch mit 20?

Morgenstern: Es hat sich schon einiges verändert und vieles relativiert. Skispringen ist eine Sportart, die ich mit großer Leidenschaft betreibe. Aber es ist nicht das Wichtigste auf der Welt. Es gibt wichtigere Dinge.

LAOLA1: Wie viele Schulterklopfer sind vergangene Saison dazugekommen?

Morgenstern: Da sind natürlich schon einige dazugekommen. Aber das ist normal. Darum waren die zwei Jahre davor auch die wichtigsten in meiner Karriere. Da hab‘ ich gelernt, gewisse Dinge zu verstehen. Ich hab‘ ein besseres Gefühl für mich selbst entwickelt und bin selbstständiger geworden. Ich kann jetzt differenzieren, wer wann zu mir steht.

LAOLA1: War das auch in einer gewissen Weise ernüchternd?

Morgenstern: Natürlich ist es schön, wenn viele Leute auf deiner Seite sind. Aber was bringt dir das, wenn es mal nicht so läuft und dann keiner mehr von denen da ist? Darum steht für mich auch die Familie im Vordergrund. Meine Familie wird immer zu mir stehen – egal, ob ich gewinne, 46. werde oder sonst einen Blödsinn mach‘. Darum ein großes Dankeschön an meine Family!

LAOLA1: Ein Titel fehlt dir noch, dann hättest du alles gewonnen. Schwirrt dieser Skiflug-WM-Titel im Hinterkopf umher?

Morgenstern: Es wird immer etwas geben, was man nicht erreicht hat. So gesehen, bin ich auch noch nie Weltmeister auf der Großschanze und Olympiasieger auf der Normalschanze geworden. Es wäre natürlich schon ein Traum, wenn ich in Vikersund Weltmeister werden würde. Aber die Welt geht nicht unter, wenn es nicht klappen sollte.

Das Interview führte Kurt Vierthaler