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"Ich werde künftig nicht mehr alle Bewerbe springen"

30 Jahre hat Martin Koch alt werden müssen, um den ersten Sieg auf einer "normalen" Schanze feiern zu dürfen.

Bislang galt der Kärntner ja ausschließlich als Flugspezialist.

Jetzt hat er in seinem Lebenslauf auch einen Triumph abseits der ganz großen Bakken stehen.

Ausgerechnet in Oslo, am legendären Holmenkollen, stand Koch endlich ganz oben.

"Ich hab‘ gewusst, dass ich es kann, aber nicht gewusst, ob es auch passieren wird", meint der ÖSV-Adler.

Im LAOLA1-Interview erklärt Koch außerdem, warum Oslo keine Entschädigung für Vikersund ist, er ein Karriere-Ende nicht ausschließen will und er in Zukunft noch mehr selektieren wird.

LAOLA1: Holmenkollen-Sieger – wie hört sich das an?

Martin Koch: Sehr gut hört sich das an.

LAOLA1: Schon realisiert, dass du im Mekka des Nordischen Sports gewonnen hast?

Koch: Mehr oder weniger. Am Sonntag war das Gefühl noch etwas fremd. Für mich hatte ich zunächst einfach ein Weltcup-Springen gewonnen. Dann ist mir immer mehr bewusst geworden, dass es etwas Besonderes ist.

LAOLA1: Was bedeutet dir dieser Sieg?

Koch: Sehr viel. Es war ja mein erster Sieg auf einer 120er-Schanze. Das ist schon sehr schön. Ich hab‘ bestätigt, dass ich nicht nur gut Skifliegen, sondern auch Skispringen kann. Dass es ausgerechnet am Holmenkollen, der mich immer schon fasziniert hat, klappt, ist schon genial. Wenn dir der König beim Siegen zusieht, wertet das natürlich alles auf. Ich bin froh, dass ich das in meiner Karriere erleben durfte.

LAOLA1: Viele hätten dir einen Sieg abseits der Flugschanzen wohl nicht mehr zugetraut. Hast du immer daran geglaubt?

Koch: Ich hab‘ gewusst, dass ich es kann, aber nicht gewusst, ob es auch passieren wird. In Oslo hätte ich ehrlicherweise nicht damit gerechnet. Grundsätzlich hatte ich es schon immer in den Beinen, auch mal auf einer 120er-Schanze ganz oben zu stehen. Auf der 90er werde ich wahrscheinlich nie gewinnen (lacht).

LAOLA1: Man hatte das Gefühl, dass sich wirklich jeder mit dir gefreut hat. Wie hast du die Reaktionen empfunden?

Koch: Ja, ich hatte das gleiche Gefühl. Die Leute haben sich genauso gefreut, wie damals bei meinem ersten Sieg in Harrachov. Auch von den anderen Nationen sind sehr viele Gratulationen gekommen. Es ist einfach eine Herzlichkeit da, die mir fast mehr bedeutet wie jeder Pokal und jede Medaille.

LAOLA1: Vor ein paar Wochen hast du in Norwegen noch eine Enttäuschung erleben müssen, jetzt der Sieg in Oslo. Entschädigt das ein bisschen für den verpassten Skiflug-WM-Titel in Vikersund?

Koch: Ich würde nicht sagen, dass der Sieg in Oslo eine Entschädigung für Vikersund ist. Ich bin nämlich mit dem Abschneiden bei der Skiflug-WM sehr zufrieden. Im Nachhinein betrachtet taugt mir die Bronze-Medaille extrem. Der Holmenkollen-Triumph macht die Saison einfach noch schöner.

LAOLA1: Hättest du aber den letzten Sprung gestanden, wärst du jetzt vermutlich Weltmeister. Musst du dich da nicht ab und zu noch ärgern?

Koch: Nein, wirklich nicht. Ich hab‘ alles erreicht, was ich erreichen wollte. Die Goldmedaille ist ein materielles Status-Symbol, das nur ausdrücken würde, was ich ohnehin gemacht hab‘. Ich weine dem WM-Titel keine Träne mehr nach.

LAOLA1: Du plagst dich ja schon seit langem mit Rückenproblemen herum. Wie geht es dir aktuell damit?

Koch: Momentan geht es wieder besser. Wobei kurios war, dass ich den Rücken während der Skandinavien-Tournee wieder mehr gespürt hab‘. Aber ich hab‘ gelernt, damit umzugehen. Ich mache meine Übungen und weiß, dass die Probleme, so lange ich springe, immer wieder auftreten werden. Ganz wegkriegen werde ich es nie.

LAOLA1: Du hast ja zwischenzeitlich auch ein Karriere-Ende in Betracht gezogen. War das wirklich ernsthaft ein Thema?

Koch: Ja, schon. Wenn ich zu viele Schmerzen hab‘ und die Nebenwirkungen zu groß sind, dann werde ich den Sport nicht mehr auf Biegen und Brechen ausüben. Ich habe schon so viel erreicht, dass ich auch ohne Sport leben kann. Wenn aber der Körper noch mitspielt, sehe ich keinen Grund, warum ich aufhören sollte.

LAOLA1: Mario Scheiber ist vom Skisport unter anderem zurückgetreten, weil er nicht mehr unter Schmerzmitteln fahren wollte. Muss ein Spitzensportler einfach über die Grenzen hinausgehen?

Koch: Über die Grenze sollte man eigentlich nicht hinausgehen. So wie es bei Mario war, ist es schon brutal. Darum finde ich seine Entscheidung für die Gesundheit genau richtig. Was hast du davon, wenn du noch zwei Jahre Spitzensport betreibst und dann Invalide bist. Als Spitzensportler musst du dich im absoluten Grenzbereich bewegen. Was wir machen, hat mit „Sport ist gesund“ nicht mehr viel zu tun.

LAOLA1: Musst du Schmerzmittel nehmen?

Koch: Nein, bei mir reichen die Übungen. Ich hab‘ zwei, drei Mal Schmerzmittel nehmen müssen, aber ich mag das nicht. Im Akutfall nehme ich vielleicht welche, aber wenn es nicht mehr geht, mache ich lieber eine Pause.

LAOLA1: Werden die Momente, wo man sich überwinden muss, immer mehr?

Koch: Ja, schon. Die Momente, wo du dich fragst „Warum?“, werden immer mehr. Während andere an Tagen, an denen die Sonne scheint, im Café sitzen und das Leben genießen, muss ich in die Kraftkammer und meine Therapie-Übungen machen. Dafür gibt es dann Momente, wo du in Oslo als Sieger oben stehst. Das wiegt dann leider wieder einiges auf.

LAOLA1: Muss man im fortgeschrittenen Alter mehr selektieren und nicht mehr alle Bewerbe bestreiten?

Koch: Absolut. Ich hab‘ mir auch schon Gedanken über die nächste Saison gemacht. Und mein Weg wird sein, dass ich nicht mehr alle Bewerbe springe. Ein reiner Flugschanzen-Spezialist werde ich allerdings nicht werden, sonst hab‘ ich nur vier Auftritte im Jahr (lacht). Aber Dinge, die mir nicht taugen bzw. die ich nicht brauche, werde ich nicht mehr machen.

LAOLA1: Es war in dieser Saison fast etwas ungewohnt: Ihr habt von fünf Teambewerben im Weltcup „nur“ zwei gewonnen.

Koch: Das Niveau ist einfach höher geworden. Jeder einzelne Athlet ist besser beieinander als noch vor ein paar Jahren. Früher haben wir alles dominiert und die anderen Nationen hatten vielleicht einen Springer, der vorne dabei war. Jetzt ist die Dichte so groß, dass du mit einem Fehler nicht mehr gewinnst. Unsere zweiten Plätze waren gerechtfertigt. Wir werden in den nächsten Jahren sicher weiterkämpfen müssen.

LAOLA1: Ist in den letzten Jahren einfach zu viel selbstverständlich geworden?

Koch: Irgendwie schon, ja. Es ist wichtig, dass innerhalb des Teams, aber auch in der Öffentlichkeit wieder klar wird, dass Siege keine Normalität sind und man sich alles erkämpfen muss. Und vor allem, dass Siege etwas wert und zweite Plätze keine Niederlagen sind.

Das Interview führte Kurt Vierthaler