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Michael Rösch: "Wir haben alle ein Rad ab"

Michael Rösch:

Michael Rösch war ein gefeierter Star.

Der heute 31-Jährige wurde 2006 mit der deutschen Biathlon-Staffel Olympiasieger, gewann insgesamt drei WM-Medaillen und zwei Weltcup-Einzelbewerbe.

Nachdem er ein Leistungstief durchlebte und es Streit mit dem Deutschen Skiverband gab, entschloss sich der Sachse, die Nation zu wechseln.

Er wollte fortan für Belgien angreifen, um Siege kämpfen und bei den Olympischen Spielen in Sotschi an den Start gehen.

Sotschi verpasst

Dieser Prozess zog sich allerdings hin und dauerte schlussendlich mehr als zwei Jahre, sodass er die Bewerbe in Russland aus der Ferne verfolgen musste.

Sein größter Sieg war, dass er trotz aller Hindernisse nie aufgab und am Ende doch noch mit der belgischen Staatsbürgerschaft belohnt wurde.

Inzwischen ist der Routinier wieder fixer Bestandteil des Weltcups. Aufgrund eines Kompartmentsyndroms musste er Pokljuka auslassen und begab sich fünf Tage in die Hände von Ole Einar Björndalens Physiotherapeuten.

Die Wirkung wurde nicht verfehlt, in Oberhof landete er im Sprint erstmals für Belgien in den Punkterängen.

LAOLA1 hat sich mit Michael Rösch getroffen, um mit ihm über die schwierigen letzten Jahre, seine Motivation und Ziele für die Zukunft zu sprechen.

LAOLA1: Michael, du hast eine turbulente Vergangenheit hinter dir. Zwar startest du noch in denselben Farben, jedoch für ein anderes Land. Wie sicher bist du denn schon bei der belgischen Hymne?

Michael Rösch: (lacht) Da hapert's noch ein bissl. Playback läuft es schon ganz gut. Ich sag ja immer, dass ich nicht mal gut Deutsch kann, woher soll ich dann Belgisch können. Ich versuche natürlich, mich anzupassen, aber das dauert seine Zeit.

LAOLA1: Du hast eine Tortur hinter dir. Zwei Jahre Kampf um die Staatsbürgerschaft, dazu Olympia verpasst. Wie viele graue Haare sind dir dadurch gewachsen?

Rösch: Ich habe kein einziges graues Haar, dafür aber einige Haare weniger. (lacht) Es war keine schöne Zeit. Ich hatte mir das anders vorgestellt. Die Belgier haben allerdings Gas gegeben, um das zu realisieren, auch wenn es länger als geplant gedauert hat. Ich kann nun nichts mehr ändern, für Olympia in Sotschi war es um einige Wochen zu spät. So ist das Leben.

Team Feskslog (dt: Fischabfall): Alexander Os & Rösch posieren für LAOLA1

LAOLA1: Es dreht sich bei dir seit Wochen alles um den Streit mit dem DSV und deinen Nationenwechsel. Ist der Zeitpunkt erreicht, an dem es auch mal nervig wird?

Rösch: Was heißt nerven – es ist das gute Recht der Journalisten, danach zu fragen. Natürlich stürzt sich die Presse immer auf solche Geschichten. Anfangs war es verzwickt, Stand jetzt komme ich mit dem DSV aber gut zurecht. Wir sagen uns 'Hallo', sie haben mir sogar mein Gepäck nach Östersund mitgenommen. Aus meiner Sicht ist das Verhältnis ganz okay, auch wenn viele Sachen semioptimal gelaufen sind. Der Blick ist nun nach vorne gerichtet.

LAOLA1: Die Norweger haben dich in Hochfilzen massiert, die Deutschen dein Gepäck mitgenommen. Die Bezeichnung Biathlon-(Patchwork-)Familie hat so gesehen Berechtigung?

Rösch: Ja, so ist es. Es war für mich zunächst ein Kulturschock. Vom riesigen Deutschen Skiverband, wo du als Athlet alles in den Arsch geblasen kriegst und nichts machen musst, zur aktuellen Situation, in der ich mich um vieles selber kümmern muss. Was abgeht, ist die Physiotherapie, die natürlich eine finanzielle Angelegenheit ist. Ich habe aber Abhilfe bei anderen Nationen bekommen, so war ich auch mal bei den Österreichern. In der Biathlon-Familie hilft jeder jedem und als kleine Nation ist man auf Hilfe angewiesen.

LAOLA1: Welche Hilfe hast du vom ÖSV bekommen?

Rösch: In Östersund habe ich Physio bekommen. Anfangs hatten wir keinen Bus und kein Schießglas, auch hier haben sie uns geholfen. Das war überhaupt kein Problem. Ich kenne die Sportler und Betreuer seit Jahren oder gar Jahrzehnten. Sumi oder Meso sind Freunde von mir, ich verstehe mich auch mit Landi und Sam sehr gut. Es macht Spaß und es ist schön, dass man kein 'Nein' bekommt, wenn man um Hilfe bittet.

LAOLA1: Abschließende Frage zu diesem Thema: Würdest du alles noch einmal auf diese Art und Weise machen?

Rösch: Jein. (lacht) In Anbetracht der Zeit würde ich es sicher nicht mehr machen, da die zwei bis zweieinhalb Jahre, die ich raus aus dem Zirkus war, zu lang waren. Ich habe viel aufs Spiel gesetzt, bei der Bundespolizei gekündigt und finanziell alles da reingesteckt. Ich ziehe es weiter durch, deshalb gibt es auch kein Zurück mehr.

LAOLA1: Du hast mit dem Gewinn einer Gold- und Silbermedaille bei der Sommer-Biathlon-WM groß abgeräumt. Bist du dir des historischen Ausmaßes dieser Leistungen bewusst?

Rösch: Bei meinem Trainer Peter (Thome, Anm.) ist schon eine Träne runtergerollt. Es war auf alle Fälle historisch. Bei Großereignissen ist es aber immer so, dass man ins Ziel kommt und es erst gar nicht realisiert. Ich stand dann plötzlich mit der Fahne da und habe sie vor Schreck falsch herum gehalten. Es ging alles sehr schnell, im Nachhinein hat es aber doch Spaß gemacht. Die Belgier waren sicher stolz darauf, auch medial ist einiges passiert, Fernsehen, Radio und Presse haben sich dafür interessiert. Für eine kleine Nation ist das natürlich super.

Für "Ebs" Rösch scheint wieder die Sonne

LAOLA1: Du bist Teil des Teams Fischabfall, dem mit Alexander Os und Lars Berger weitere Aussortierte angehören. Wie wichtig ist es, Leute um dich zu haben, die Leidensgenossen sind?

Rösch: Sie sind extrem wichtig. Für Alex, der ja auch fast zwei Jahre weg war, hat es mich extrem gefreut, dass er in Östersund einmal Achter wurde. Für ihn ist es auch schwer. Das Team an sich war ein Glücksfall. Jetzt haben wir mit Marius Hol noch einen vierten Mann dabei. Der ist erst 23 und unsere Makrele. Er war Junioren-Weltmeister und -Bronzemedaillengewinner, hat allerdings Herzprobleme. Vier Mal bekloppt ist insgesamt cool. Wir haben alle ein Rad ab, mit ihnen zusammen macht es riesig Spaß. Anfangs war es aufgrund unserer komplett unterschiedlichen Mentalitäten eine Katastrophe, aber wir haben viele Trainingslager zusammen gemacht. Für mich ist es ein wichtiger Rückhalt.

LAOLA1: Man kennt dich als Spaßvogel. Wie sehr ist deine Art auch ein Schutzschild, wenn es mal nicht läuft?

Rösch: Da hättest du mich nach dem Sprint in Hochfilzen sehen sollen, da habe ich ausgesehen wie drei Tage Regen. (lacht)

Trainer Peter Thome: Er wollte sich uns nicht zeigen. Ich habe ihm gesagt, er soll einfach in den Wald laufen und Stöcke und Ski kaputt hauen.

Rösch: Das ist ja auch normal. Wenn du für ein Ziel trainierst und das nicht erreichst, bist du angepisst. Ich bin der Typ, der dann etwas länger braucht, um damit klarzukommen. Am nächsten Morgen ist es aber wieder gut. Ich bin eben emotional. Es gibt Leute, denen gefällt das, bei anderen ecke ich an. Es ist mir aber egal, denn ich bin, wie ich bin.

LAOLA1: Du arbeitest mit Trainer-Legende Klaus Siebert (ehemaliger ÖSV-Cheftrainer und Mentor von Darya Domracheva, Anm.) zusammen. Welche Rolle spielt er aktuell in deinem Team?

Rösch: Momentan skypen und telefonieren wir. Er hat ja wieder Chemotherapie, gesundheitlich geht es ihm wirklich schlecht. Trotzdem gibt er sich alle Mühe, mir zu helfen. In der Vorbereitung habe ich viel individuell gemacht, Klaus hat mir einiges geschrieben und mir enorm geholfen. Ich habe auch viel von den Norwegern gelernt, die Trainingsmentalitäten sind komplett unterschiedlich. Da versuche ich immer rauszusuchen, was zu mir passt.

LAOLA1: Du bist aktuell Einzelkämpfer. Wie sieht es mit Nachwuchstalenten in Belgien aus?

LAOLA1: Wie sehr spürst du den Zuspruch der Fans?

Rösch: An den Strecken in Hochfilzen und Oberhof habe ich viele belgische Fahnen gesehen. Ich habe auch viele französische Anfeuerungssprüche für mich gehört. Das ist natürlich cool. Ob Sportler oder Fans – jeder feuert jeden an. Diese familiäre Atmosphäre macht den Weltcup aus.

LAOLA1: Weiß man nach solchen Ups und Downs, wie du sie hattest, wieder mehr zu schätzen, was man am Sport hat?

Rösch: Auf alle Fälle. Die zweieinhalb Jahre, in denen ich weg vom Fenster war, waren hart. Ich war gezwungen, immer zu trainieren. Deshalb ist schön, wieder dabei zu sein und den ganzen Stress zu haben.

LAOLA1: Wie schwierig ist es, eine professionelle Struktur in einem Land auf die Beine zu stellen, in dem keine Biathlon-Kultur herrscht?

Rösch: Anfangs war es holprig, inzwischen haben wir aber ein gutes Team aufgebaut. Nur am Physio müssen wir noch arbeiten. (lacht) Beim Wachsteam haben wir dagegen eine super Lösung gefunden, denn du kannst noch so eine gute Form haben, mit einem scheiß Ski brauchst du gar nicht starten. Ich hatte in allen Rennen super Ski. Die Organisation passt auch, das Budget für die Saison steht ebenfalls – darauf sind wir alle echt stolz. Mein Vater ist auch dabei und hilft aus, es ist daher ein kleines Familienunternehmen. Viele haben uns nicht zugetraut, dass wir das so hinkriegen. Hoffentlich haben wir noch ein paar Jahre vor uns.

LAOLA1: Dank eines neuen Sponsors hast du die Saison ausfinanziert. Wie schwierig hat sich die Sponsorensuche gestaltet?

Rösch: Es ist ein Ergebnis der harten Arbeit von früher. Den Namen und die Erfolge von früher habe ich mir erarbeitet. Zu „Use my energy“: Der Boss wusste gar nicht so viel über Biathlon, ist aber ein Enthusiast, der meine Geschichte kennt und mich unterstützen will. Solche Leute brauchst du ganz einfach. Ich bin zudem angestellt in einer Firma, ohne diese hätte ich es nie geschafft. Wir haben auch in Belgien ein paar Leute gefragt, dort sind sie sich der Marke Biathlon aber noch gar nicht bewusst. Das ist durchaus logisch, für die Belgier gibt es Fußball und Radsport und danach lange nichts. Ich bin in der Bringschuld, mit guten Ergebnissen auf mich aufmerksam zu machen.

LAOLA1: Kommen die Erfolge, kommen auch die Sponsoren.

Rösch: Genau. Das ist ja eine alte Weisheit. Wenn du dich dann noch halbwegs vermarkten kannst, geht alles viel einfacher.

Rösch: Es gibt einige. Das hoffnungsvollste Talent ist Tom (Lahaye-Goffart), der zwar in Frankreich lebt, aber Belgier ist. Er gewann in Püttlingen die Youngster-Challenge. Bei der Jugend-WM hat er zudem zwei starke Ergebnisse eingefahren. Er holt einiges raus, man muss sich nur vorstellen, dass er mit zwei Paar Skiern arbeitet und andere mit zehn anreisen.

LAOLA1: In Interviews war zu hören, du würdest gerne noch einmal bei Olympischen Spielen starten. Ist Pyeongchang schon Teil deiner Gedankengänge?

Rösch: Das sind ja nur drei Jahre, das geht ratz fatz. (lacht). Was auch toll ist: Wir haben jetzt jedes Jahr eine schöne WM. Erst Kontiolahti, dann Oslo und vor den Spielen noch Hochfilzen. Das ist super. Klar ist es weit gedacht, weil alles eine Grauzone ist – wir wissen ja nicht, wie es finanziell läuft. Ich möchte den Sport zumindest noch vier Jahre durchziehen, wenn mein Körper es hergibt, auch gerne länger. Es macht mir Spaß und ist lohnenswert.

LAOLA1: Am Alter scheitert's wohl nicht, Ole Einar Björndalen (40) und Daniel Mesotitsch (38) zeigen schließlich, dass es auch im höheren Alter noch geht.

Rösch: (lacht) Ja, Meso ist jetzt der Zweitälteste bei uns im Weltcup. Das Alter ist relativ, wenn man sich gut pflegt. Man kann jedoch nie abschätzen, ob etwas passiert.

LAOLA1: Welche Wünsche hast du an das Jahr 2015, was das Sportliche, aber auch die Rahmenbedingungen betrifft?

Rösch: Ich wünsche mir, dass ich wieder auf einen Level komme, um konkurrenzfähig zu sein. Das wird etwas länger dauern, aber ich will wieder ordentlich Gas geben und befreit im Kopf sein. Ansonsten sollen wir alle so gesund und munter bleiben und weiter viel Spaß haben.

Thome: Von außen wirkt er immer so kalt. Wenn man ihn aber näher betrachtet, dann stellt man fest, dass er im Inneren ein ganz sanfter Mensch ist.

Rösch: Man stellt fest, ich habe auch ein Herz.

Thome: Und eine sehr gute Seele. Es wird viel über den aufbrausenden Rösch gesprochen, der immer seine Späße macht. Er ist aber ein toller Mensch.

LAOLA1: Schön zu hören?

Rösch: Das geht runter wie Öl. Das hat er vorhin noch auswendig gelernt. (lacht)

LAOLA1: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christoph Nister

 

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