news

Wind-Chaos in Antholz, Eder geht der Saft aus

Wind-Chaos in Antholz, Eder geht der Saft aus

Wenn Chicago "Windy City" ist, ist das Antholzer Tal fortan "Windy Valley".

Die Bedingungen in der Damen-Staffel beim Biathlon-Weltcup waren extrem, um es vorsichtig zu formulieren.

Die Athletinnen standen bis zu mehr als zweieinhalb Minuten am Schießstand, ehe sie ihre Schüsse abgeben konnten.

Für viele Nationen erwies sich der Wind nicht als himmlisches, sondern teuflisches Kind. Andere wiederum kamen mit der Situation gut zurechte.

An den Tagen zuvor präsentierte sich Antholz indes von seiner beeindruckendsten Seite - angenehme Temperaturen, Tausende Zuschauer und Sonnenschein en masse ließen das Fan-Herz höher schlagen.

Wie gewohnt blicken wir noch einmal zurück - die Schießbude zum Biathlon-Weltcup in Antholz:

Simon Schempp aka der "König von Antholz"

Das TRIO INFERNALE

 Sieg im Sprint, Sieg im Verfolger - Simon Schempp gelang etwas Historisches. Als erster Biathlet gewann er bei den Herren diese beiden Bewerbe in Antholz in zwei aufeinanderfolgenden Jahren. Inklusive Staffeln durfte er sich nun schon sechs Mal in Folge über einen Podestplatz freuen. Innerhalb einer Saison gelang dies zuletzt Martin Fourcade im Dezember 2012. Jenen Fourcade hat Schempp inzwischen auch im Gesamtweltcup im Visier. Lediglich 23 Punkten trennen die beiden noch. Schempp ist in der Form seines Lebens.

 

Es war eine Demonstration, die Darya Domracheva im Verfolger zum Besten gab. Mit nur einem Schießfehler und toller Laufzeit baute die Sprint-Siegerin ihren Vorsprung kontinuierlich aus. Schlussendlich hatte Daria Virolaynen als erste "Verfolgerin" 1:21,0 Minuten Rückstand. Seit Helena Ekholms Einzel-WM-Gold 2011 in Khanty Mansiysk (2:15,8 Minuten Vorsprung) war dies der größte Abstand zwischen Erst- und Zweitplatzierter. So ganz nebenbei schob sich "Dasha" mit ihren Siegen Nummer 21 und 22 in der ewigen Bestenliste auf Platz fünf vor, den sie sich mit Andrea Henkel und Liv Grete Poiree teilt. Als Sahnehäubchen ließ sie den Rückstand im Gesamtweltcup auf Kaisa Mäkäräinen (FIN) auf 40 Zähler schmelzen. "Sie tritt wieder selbstsicherer auf", erklärt ihr Trainer Alfred Eder gegenüber LAOLA1. "Man sieht, dass sie schießtechnisch stärker ist als Mäkäräinen, im Laufen sind sie gleichauf."

 

Der Aufschwung der deutschen Damen hält an: Nach Franziska Preuß in Ruhpolding gelang in Antholz auch Laura Dahlmeier zum ersten Mal in ihrer Karriere der Sprung aufs Podest. Die 21-Jährige, die im Saisonverlauf immer wieder Probleme mit ihrem Fuß hatte (bei einem Kletterunfall hatte sie sich einen Bänderriss sowie eine Knöchelquetschung im linken Sprunggelenk zugezogen), leistete sich im Sprint keinen einzigen Fehler und landete hinter Siegerin Domracheva sowie Mäkäräinen auf Rang drei. "Mir liegt die Strecke super, es macht wahnsinnig viel Spaß, hier zu laufen", erklärte die 21-Jährige und unterstrich diese Worte mit Rang 13 in der Verfolgung sowie dem verrückten Sieg in der vom Winde verwehten Staffel. Franziska Hildebrand, Franziska Preuß, Luise Kummer und Dahlmeier bewiesen Nerven wie Drahtseile, trotzten den extremen Windböen, überstanden einen Stockbruch und kamen trotz zweier Strafrunden als Erste ins Ziel. Großen Anteil daran hatte Schlussläuferin Dahlmeier, die als einzige Athletin des Bewerbs alle zehn Scheiben traf und hinterher konstatierte: "So etwas habe ich noch nie erlebt."
 

Vom Winde verweht

Das TRIO FATALE

 "Es war ein verrücktes Rennen", erklärte Lisa Hauser bei LAOLA1. "Es war an der Grenze. Die Windböen haben das Rennen negativ beeinflusst", meinte Alfred Eder. Gemeint war natürlich die Damen-Staffel am Sonntag. Böen, die sich über zwei bis drei Minuten hinzogen, sorgten für ein Chaos am Schießstand. Besonders arg gebeutelt wurde die Tschechin Jitka Landova. Die 24-Jährige benötigte im Liegendanschlag 1:55,8 Minuten, um alle ihre Schüsse abzugeben, stehend sogar 2:36,4 Minuten. Zum Vergleich: Für fünf Strafrunden benötige man in etwa 1:55 Minuten. Hoch anrechnen muss man ihr und ihren Landsfrauen, dass die tschechische Staffel als einzige ohne Strafrunde davonkam. Insgesamt mussten die teilnehmenden Teams nicht weniger als 93 (!) Extra-Runden absolvieren und damit 14 mehr als in den vorangenen drei Staffeln zusammen. Für einen Rekord sorgten die Koreanerinnen, die sich elf Strafrunden einhandelten.

 

Rang 28 im Sprint, Rang 17 in der Verfolung (je zwei Fehler) - nicht gerade eine Bilanz, die eines Emil Hegle Svendsen würdig ist. Der Norweger hatte in den Einzelbewerben zu kämpfen und büßte im Kampf um die große Kristallkugel jede Menge Terrain ein. Der erste Saisonsieger rutschte inzwischen auf den fünften Platz ab und hat bereits 120 Zähler - umgerechnet zwei Siege - Rückstand auf Fourcade. Welche riesiges Potenzial der "Wikinger" hat, zeigte er erst in der Staffel, in der er die Norweger mit einer tadellosen Schießleistung zum Sieg über Deutschland führte.

 

In Östersund feierte sie ihren ersten Weltcup-Sieg, zudem stand sie in dieser Saison sowohl in Ruhpolding, als auch in Oberhof und Hochfilzen auf dem Treppchen (dreimal Rang drei) - in Antholz enttäuschte die Norwegerin Tiril Eckhoff hingegen. Die Ränge 21 und 24 waren die mehr als durchschnittliche Ausbeute der 24-Jährigen. Ist ihr Höhenflug etwa wieder beendet oder machte ihr nur die Höhenluft zu schaffen? Der nächste Weltcup in Nove Mesto na Morave (5. bis 8. Februar) wird Aufschluss darüber geben.

Darya Domracheva hatte genug Zeit, um sich eine weißrussische Fahne zu holen

Kurioses

Darya Domracheva hat den "Grand Slam" geknackt. Die dreifache Olympiasiegerin hat mit dem Sprint-Erfolg die Disziplinen-Sammlung in dieser Saison komplett. Damit triumphierte sie als erste Athletin seit Tora Berger (2012/13) in allen vier Einzelbewerben innerhalb eines Winters.

 

 Die besten Startläufer der Herren-Staffel übergaben gerade auf den jeweils zweiten Mann, als ein Japaner noch immer Strafrunden abspulte. Tsukasa Kobonoki traf inklusive Nachlader lediglich eine von 18 Scheiben und musste daher neun Strafrunden absolvieren. Kein Wunder, dass die japanische Staffel gleich zweimal überrundet wurde und das Rennen für sie nach sieben Schießeinheiten beendet war.

 

 Apropos Nachlader. "Ich habe liegend ganz vergessen, dass wir Nachlader benutzen dürfen", verriet uns Lisa Hauser. "Ich war schon wieder auf, als es mir einfiel. Dann musste ich mich wieder hinlegen." Schlussendlich zeigte sie noch eine richtig starke Leistung, wie wir weiter unten genauer erläutern.

 

"Mein Trainer hat mir von einem Start in der Verfolgung abgeraten", erklärte Martin Fourcade, nachdem er den Sprint total verpatzte und nur auf Position 25 beendete. Fourcade widersetzte sich dieser Anweisung und wurde dafür belohnt. Mit bester Laufzeit und fehlerfreiem Schießen kämpfte er sich auf den fünften Platz. "Das ist Biathlon, wie ich ihn liebe", war er erleichtert. Bei der Staffel war er dann aber tatsächlich nur Zuschauer.

 

Stockbruch I: Pechvogel Daniel Mesotisch brach gleich zu Beginn als Staffel-Startläufer der Stock, er verlor wertvolle Sekunden: "Das war Pech. Das hat nicht nur Zeit, sondern auch Kraft gekostet. Dadurch musste ich schon nach der Liegendserie ein Loch zulaufen. Diese Energie hat mir in der letzten Runde gefehlt."


Stockbruch II: Auch der Deutschen Franziska Preuß passierte dieses Missgeschick nur Stunden später - ebenfalls in der Staffel. Lange Zeit musste sie mit nur einem Stock weiterlaufen, ehe sie von einem anderen Team einen zu langen bekam, den sie dann erneut wechseln musste.

 

Gleich in mehreren Nationen klagten Athleten und/oder Betreuer über Unwohlsein. Im ÖSV betraf es Julian Eberhard, den deutschen Bundestrainer Gerald Hönig erwischte es ebenso wie Marte Olsbu aus Norwegen. Da die Teams in unterschiedlichen Hotels untergebracht waren, kann es nicht am Essen gelegen haben.

DJ Boe gibt den Beat vor

Was sonst noch auffiel

Brendan Green, der in Ruhpolding sämtliche 40 Schüsse ins Ziel brachte, schloss in Antholz an seine Leistungen an und feierte als Sprint-Fünfter das beste Weltcup-Ergebnis seiner Karriere - fehlerfrei, versteht sich. Seine Eltern waren extra für die Bewerbe angereist, was Green besonders freute. "Sie sind letzte Nacht nach drei Tagen Reiserei angekommen, es ist großartig, sie jetzt auf der Tribüne zu sehen", war er begeistert. Da konnten er und seine Familie locker darüber hinwegschauen, dass die Super-Serie in der Verfolgung riss. Im zweiten Liegendanschlag musste der Kanadier gleich drei Mal in die Strafrunde. 

 

Persönliche Bestleistungen wurden im Antholzer Tal reihenweise geknackt. So durften sich u.a. Jana Gerekova (Sprint-Vierte), Lena Häcki (Sprint-Zwölfte), Luise Kummer (Sprint-13.), oder auch die Schweizer Damen-Staffel (Rang acht) über starke Ergebnisse freuen.

 

Nicht viele schaffen es, nach so ihrer Babypause so eindrucksvoll und stark zurückzukehren, wie die Französin Marie Dorin Habert, die seit Oberhof wieder im Weltcup-Zirkus vertreten ist. Nach Rang 19. im Sprint arbeitet sie sich im Verfolger dank der zweitbesten Laufzeit auf Rang fünf vor und ist wohl endgültig wieder in der Weltspitze angekommen.

Ole Einar Björndalen feierte Sieg-Jubiläum mit der Staffel. Für den 41-Jährigen war es der 30. Weltcup-Erfolg mit seinen norwegischen Landsleuten. Eine unglaubliche Zahl, die noch beeindruckender wird, wenn man bedenkt, dass die norwegischen Herren in der Weltcup-Geschicht nur dreimal ohne ihn siegreich waren.

 

Es war ein lange hin und her, jetzt herrscht Gewissheit: Olga Zaitseva beendete ihre Karriere. Die 36-Jährige erklärte gegenüber "Russia 2 Television", dass sie sich in Zukunft mehr um ihren Sohn kümmern will. Die zuletzt immer wieder durch die Medien gegeisterten Comeback-Meldungen sind damit ad acta gelegt. Zaitseva gehört zu den erfolgreichsten russischen Biathletinnen aller Zeiten und gewann vier Olympia- (zweimal Gold) sowie acht WM-Medaillen (dreimal Gold). Dazu konnte sie insgesamt 13 Einzel-Weltcuprennen für sich entscheiden.

Rot-weiß-rote Brille

*) Was für ein Lebenszeichen von Julian Eberhard. "Der Sprint war eine richtig gute Leistung und sehr, sehr wichtig für mich", zeigt er sich nach Rang zwölf erleichtert. Besonders beachtlich: Eberhard blieb nach zwei Liegend-Fehlern cool, lief die drittschnellste Zeit und ließ stehend alle fünf Scheiben fallen. Gleich nach dem Rennen klagte er jedoch über Unwohlsein, sein Start in der Verfolgung stand auf der Kippe. "Mir wurde abgeraten, ich wollte aber starten." Der Salzburger schlug sich beachtlich, mit nur zwei Fehlern landete er auf Position 15. Das WM-Ticket rückte damit in greifbare Nähe.

 

*) Auch in der Staffel sollte er der ÖSV-Staffel zu einem Spitzenplatz verhelfen. "Ich der Nacht bin ich aber munter geworden und hatte Schüttelfrost." Ein Start machte keinen Sinn, denn "man trägt die Verantwortung für ein ganzes Team". Ersatzmann David Komatz, Daniel Mesotitsch, Sven Grossegger und Simon Eder machten ihre Sache mehr als ordentlich und wurden in Abwesenheit des erkrankten Dominik Landertinger Vierte.

 

*) Die besten Biathleten der Welt lieferten uns einen packenden Verfolger, der Simon Eder den zweiten Podestplatz der Saison einbrachte. "Hier in Antholz bei diesen Bedingungen und vor dieser Kulisse auf dem Podest zu stehen, ist ein Traum", erklärte der 31-Jährige. Lange gehadert darüber, dass er den Sieg um 0,1 Sekunden verpasste, wurde nicht. "Zum Schluss ist mir leider der Saft ausgegangen", hielt er fest, das Rennen sei dennoch "ein Wahnsinn" gewesen.

 

*) Lisa Hauser erwies sich einmal mehr als konstanteste ÖSV-Dame und sammelte in Sprint und Verfolgung weitere Punkte für die Gesamtwertung. In der Staffel gelang ihr eine kleine Sensation, die Tirolerin blieb bei der Windlotterie cool, ging als Zweite vom Stehendschießen wieder auf die Loipe und übergab als Vierte. "Es war schon etwas Besonderes und hat Spaß gemacht in der Loipe", freute sich sich im Gespräch mit LAOLA1. Am Ende landete das rot-weiß-rote Team auf dem 14. Platz.

 

*) Bei Katharina Innerhofer läuft es weiterhin nicht ganz nach Wunsch. Im Sprint musste sich die Pokljuka-Siegerin der letzten Saison mit Platz 52 begnügen, den Verfolger ließ sie aus. "Aus Sicherheitsgründen", heißt es von ÖSV-Seite, da sich die Salzburgerin nicht topfit fühlte und in der Staffel unbedingt starten wollte. Die 24-Jährige will die kurze Rennpause bis Nove Mesto na Morave nutzen, um wieder auf Top-Niveau zu gelangen.

 

Spruch des Wochenendes

 "Ich habe zwischendurch gedacht, ich werde weggeblasen!" - Angesichts dessen machte Laura Dahlmeier ihre Sache in der Staffel mehr als gut.

 

Henriette Werner / Christoph Nister