Der Jubelschrei im Ziel, als er den Einser auf der Anzeigetafel aufleuchten sah, war die richtige Antwort. Seine Fahrt beschrieb der Radstädter als genial, das Gefühl im Ziel als traumhaft, der Schmerz war wie weggeblasen.

„Vor diesem Publikum als Erster abzuschwingen ist unbeschreiblich, da geht nichts drüber. Dieser Sieg ist auch ein Geschenk an die Fans und an Österreich.“

Dass es kein Triumph auf der Original-Streif mit Hausberg und Traverse war, tat der Freude keinen Abbruch. „Die Gondel bleibt die gleiche.“

Tränen lügen nicht

Die einzigen Wermutstropfen an einem nahezu perfekten Tag waren das Fehlen von Freundin Larissa und die leere Tribüne bei der Flower-Ceremony.

„Leider ist das VIP-Zelt hier in Kitzbühel zu gut, aber das hat mich gestört. Ich würde mir wünschen, dass in Zukunft mehr Leute bis zur Siegerehrung hier bleiben.“

Bei der abendlichen Siegerehrung am Dach des Zielhauses platzte der Auslauf der Streif aber dann aus allen Nähten und Reichelt kämpfte wie schon am Nachmittag mit den Tränen.

Bei der Startnummernauslosung war er der große Abwesende. Zum Frühstück gab es ein Schmerzmittel und ein Gespräch mit Salomon-Renndirektor Günter Mader, der Reichelt kennt wie kaum ein anderer im Ski-Zirkus.

„Er hat mir gesagt, dass er nicht garantieren kann, dass er fährt. Aber vielleicht hat ihm genau das den entscheidenden Kick gegeben“, erzählt Mader im Gespräch mit LAOLA1.

Keine große Show machen

Die finale Entscheidung über Reichelts Antreten fiel erst 15 Minuten vor dem Start. „Ich bin noch frei fahren gegangen und da habe ich gemerkt, dass der Rücken keine Probleme macht, wenn ich sauber fahre.“

Nachsatz: „Ich wollte keine große Show aus der Geschichte machen, denn ich möchte für fairen Sport und nicht für krumme Dinger stehen. Wenn ich an den Start gehe, bin ich bereit.“

Reichelt, in diesem Winter schon drei Mal Zweiter, ging mit Startnummer 22 und also als letzter Läufer der Top-Gruppe ins Rennen.

Die Fahrt von Bode Miller und dessen Fehler hatte er gesehen, den Lauf von Aksel Svindal später nicht mehr mitbekommen. „Da hatte ich genug mit mir selber zu tun, um den inneren Schweinehund zu überwinden.“

Emotion siegt über Schmerz

Der bellte noch jedes Mal, wenn sich der Hobby-Pilot auf den Weg ins Starthaus machte, am Samstag aber ganz besonders laut.

„Ich habe mir schon gedacht, dass es rundgehen wird, aber das war der absolute Wahnsinn“, konnte Reichelt die ganzen Emotionen in sich aufsaugen. Die Verarbeitung selbiger wird aber wohl einige Tage in Anspruch nehmen.

Preisgeld und Extra-Prämie

Genau wie die Überweisung der 70.000 Euro Preisgeld für den Sieg. Für Ausrüster Salomon und Reichelts Helm- und Haubensponsor wird der Triumph teuer.

Von fünfstelligen Beträgen im mittleren Bereich ist die Rede. Günter Mader wollte die Zahlen nicht kommentieren.

Der Tiroler bestätigte aber, dass es für Kitzbühel eine Extra-Prämie gibt, die „sicher höher ist als in Lake Louise.“

Amtlich: Ein wilder Hund!

Viel wichtiger als Geld ist für Mader, der in Kitzbühel Abfahrt, Super-G und Kombination gewinnen konnte, aber die Tatsache, dass sein Schützling nun wirklich ein waschechter Abfahrer sei.

„Seit heute ist es amtlich: Jetzt gehört der Hannes zu den ganz wilden Hunden.“

Für Sportdirektor Hans Pum ist Reichelt in den letzten Jahren außerdem zur Führungs-Persönlichkeit herangereift. „Für den Hannes freut es mich ganz besonders, denn er war schon so oft knapp dran.“

Siege gerecht aufgeteilt

Wie am vergangenen Wochenende in Wengen, als ihm nur die Kleinigkeit von sechs Hunderstel auf den siegreichen Lokalmatador Patrick Küng fehlte.

„Die Schweizer haben in Wengen gejubelt, wir hier in Kitzbühel – so soll es doch sein“, hatte Pum ob der fast schon kitschigen Verteilung der Siege leicht lachen und dachte auch gleich an die Olympische Spiele.

„Wir Österreicher sind ja auch in Russland daheim.“

 

Stephan Schwabl