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Sport-Psychologe: Herminator ein gutes Vorbild

Sport-Psychologe: Herminator ein gutes Vorbild

Der Schock sitzt tief.

Mindestens neun Monate muss Anna Fenninger nach ihrem schweren Trainingssturz in Sölden pausieren. Kreuzband, Seitenband, Innen- und Außenmeniskus sowie die Patellasehne sind gerissen.

Nicht nur physisch, sondern auch psychisch stellt diese Verletzung eine enorme Herausforderung dar. "So ein Sturz ist immer ein dramatisches Ereignis", weiß Sport-Psychologe Günter Amesberger.

Der ehemalige Mental-Betreuer des ÖFB-Nationalteams, der momentan als sportpsychologischer Verantwortlicher des Projekts 12 tätig ist, weiß, was in Sportlern nach so einem dramatischen Ereignis vorgeht.

Bei LAOLA1 äußert sich der Fachbereichsleiter der Sportwissenschaften an der Uni Salzburg zum tragischen Unfall Fenningers. Die Verletzungsanfälligkeit einer Athletin kann immer auch mit Stress zusammenhängen, erklärt Amesberger.

 

LAOLA1: Anna Fenniger ist schwer gestürzt, sie blickt einer langen Verletzungspause entgegen. Wie wichtig ist die sportpsychologische Betreuung in so einer Situation?

Günter Amesberger: So ein Sturz ist immer ein dramatisches Ereignis. Man wird aus dem Alltag und seiner Entwicklung gerissen. Je nach individueller Kompetenz, mit so etwas umzugehen, ist es unterschiedlich, wie viel Betreuung man braucht. Die Sportpsychologie bietet eine ganze Reihe von Maßnahmen und Strategien an, um mit so etwas zurechtzukommen.

LAOLA1: Welche Strategien sind das zum Beispiel?

Amesberger: So etwas läuft immer in mehreren Schritten ab. Im ersten Teil geht es um die emotionale Regulation - den Schock, den Ärger, die Wut oder die Trauer zu verarbeiten. Da muss jemand präsent sein, der zuhört und hinhorcht, was die Person beschäftigt: In weiterer Folge geht es um die kognitive Begleitung: Wie geht man mit dem Unfall um? Welche Veränderungen ergeben sich dadurch? Und wie kann ich die Ziele neu definieren? Auf der anderen Seite ist auch die Regeneration Thema, wo mentales Training unterstützend wirken kann. So kann man sich langsam aber sicher wieder an die sportliche Karriere herantasten.

Betreut auch Österreichs Segler: Amesberger

LAOLA1: Was geht bei einer Sportlerin im Kopf nach so einem Sturz vor?

Amesberger: Das ist sehr unterschiedlich. Zunächst geht es immer um den Frust oder die Enttäuschung. Danach verwenden Sportler und Sportlerinnen unterschiedliche Strategien. Eine Möglichkeit ist, an andere Sportler zu denken, die ähnliche Verletzungen hatten und die es ebenso zurück geschafft haben. Ungünstige Strategien sind, wenn man danach fragt, wie man den Fehler vermeiden hätte können oder warum gerade einem selbst so etwas passieren muss. Andere denken eher nach vorne, sehen das als neue Herausforderung und nützen den Zeitpunkt, um die Karriere neu auszurichten. Das sind konstruktivere Zugänge.

LAOLA1: Fenninger hat in ihrer Karriere schon alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Wie schwer ist es für solche Champions, sich für die Fortsetzung der Laufbahn zu motivieren? Steht bei Fenninger möglicherweise sogar ein Karriereende im Raum?

Amesberger: Man kann nicht in sie hineinschauen. Aber bei Hermann Maier hat man beispielsweise gesehen, dass so eine Situation eine "Jetzt erst recht"-Haltung heraufbeschwören kann. Die Herausforderung, nach einer schweren Verletzung zurückzukommen, hat er als Arbeit an der eigenen Persönlichkeit begriffen. Alternativ kann man natürlich auch sagen: "Ich habe alles erreicht, will diese Verletzung jetzt ausheilen und mache ein neues Buch in meinem Leben auf". Diese Dinge abzuwägen ist ein Prozess, der gut unterstützt werden muss.

Amesberger mit Hickersberger

LAOLA1: Abschließend noch eine Frage zu ihrer ehemaligen Aufgabe als Mentalbetreuer des Nationalteams. Sie haben in dieser Funktion die EURO 2008 miterlebt. Nun steht wieder eine EM-Endrunde an – für die meisten der Teamspieler ist das eine völlig neue Situation. Wie groß ist die Gefahr eines Lagerkollers?

Amesberger: So wie ich die Mannschaft einschätze, hat sie eine ganze Menge Strategien zur Verfügung, mit so einer Situation positiv umzugehen. Diesem Team ist etwas gelungen, was eine gewisse Einzigartigkeit darstellt. Es geht darum, diese Einstellung jetzt fortzuführen. Inhaltlich und sachlich wird beim ÖFB-Team so sauber gearbeitet, dass sich die Thematik Lagerkoller wohl kaum stellt. Falls doch, sind sie in den Händen des Teamchefs und des Betreuerteams perfekt aufgehoben. Das ist im Moment die letzte Sorge, die ich mir machen würde.

LAOLA1: Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Jakob Faber

LAOLA1: Maier kann also ein positives Vorbild für Fenninger sein?

Amesberger: Ja, sicherlich. An ihm hat man gesehen, dass man selbst nach einer schweren Verletzung sehr gut zurückkommen kann. Es spielen aber auch medizinische Überlegungen eine Rolle. Man muss schauen, ob Spitzensport nach der Verletzung überhaupt noch so möglich ist, dass langfristig keine gesundheitlichen Schäden davongetragen werden.

LAOLA1: In letzter Zeit musste sich die Olympiasiegerin mit viel Rummel um ihre Person herumschlagen – Der Streit mit dem ÖSV und die Trennung von ihrem Manager. Kennt die Sportwissenschaft Studien, die auf einen Zusammenhang zwischen Stress und Verletzungsanfälligkeit hindeuten?

Amesberger: Klar! Es gibt sogar ein eigene Stress-Injury-Theory, die genau diese Komponenten beschreibt, dass Stress-Faktoren grundsätzlich das Verletzungsrisiko erhöhen. Aber das sind Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Solche Verletzungen können jederzeit passieren. Durch bestimmte Rahmenbedingungen – erhöhte Ermüdung, geringere Konzentration – können sie aber wahrscheinlicher werden.

LAOLA1: Kann das auch bei Fenningers Sturz eine Rolle gespielt haben?

Amesberger: Für diesen konkreten Fall kann ich nicht sprechen, aber natürlich kann das einen Einfluss haben. Stress-Faktoren sind im Kontext von Verletzungen immer wichtig. Genauso sind aber vorangegangene Verletzungen immer der größte Prädiktor für eine Verletzung. Psychische Faktoren haben da eher moderierende oder beschleunigende Funktion. Das Problem ist, man kann nie einen Kausalfaktor festmachen, weil das ein sehr komplexes Geschehen ist. Aber statistisch gesehen erhöhen "Critical Life Events", also kritische Lebensereignisse, die Verletzungsgefährdung.

LAOLA1: Wie gehen Sportler und Sportlerinnen mit solchen kritischen Lebensereignissen um? Nimmt man diesen schweren Rucksack überall hin mit oder wird der zur Seite geschoben?

Amesberger: Das kommt immer darauf an. Eine Grundkompetenz von Sportlern ist, mit Zusatzbelastungen so umzugehen, dass man sie außerhalb der sportlichen Betätigung bearbeitet und den Rucksack symbolisch ablegt, sobald das Training beginnt. Athleten, die dafür nicht gebrieft sind, haben das Problem, unkonzentriert zu sein und die Sinnhaftigkeit des Trainings in Frage zu stellen.

LAOLA1: Kann eine Verletzungspause in diesem Sinn auch eine Chance sein, den Kopf frei zu kriegen?

Amesberger: Wir sehen immer wieder, dass verletzte Athleten sehr stark in den Leistungssport zurückkehren. Man darf nicht vergessen, dass der heutige Wettkampfbetrieb Sportler enorm fordert und die Ressourcen ausgeschöpft werden. Über die Saison muss man ein enormes Energie-Mmanagement betreiben. In dem Sinn kann man über Verletzungen wieder frisch in Wettkämpfe hineingehen und sich neu vorbereiten sowie Umstellungen vornehmen, für die in der normalen Wettkampfsaison keine Zeit und Platz ist.

LAOLA1: ÖSV-Damen-Cheftrainer Jürgen Kriechbaum hat angekündigt, das Gespräch mit den Teamkolleginnen suchen zu wollen. Halten Sie das für eine sinnvolle Maßnahme oder reine Panikmache?

Amesberger: Wenn man Jürgen kennt, weiß man, dass er kein Panikmacher ist. Er weiß, was in der Mannschaft los ist und wie es das zu verarbeiten gilt. Also das macht absolut Sinn, weil sich sowieso jeder darüber Gedanken macht. Die jeweiligen Schlussfolgerungen, die man daraus zieht, offen anzusprechen, ist ein ganz wichtiger Punkt der Verarbeitung. Ansonsten schwelgt dieses latente Thema immer im Hintergrund herum.

LAOLA1: Was würden Sie Anna Fenninger und dem Betreuerteam für einen Ratschlag geben?

Amesberger: Da gibt es diese berühmte Aussage, dass sich ein Ratschlag immer aus zwei Dingen zusammensetzt: Das eine ist der Rat, das andere der Schlag. Was wir in solchen Fällen machen, ist eher genau hinschauen, was die Bedürfnisse sind. Es geht also eher um Unterstützung, weniger um Ratschläge. Der Prozess muss begleitet und die richtige Richtung gelenkt werden.