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"Wir sind nicht so schlecht, wie uns jeder hinstellt"

Viel wurde über die Nachwuchs-Krise im ÖSV geschrieben und gesprochen.

„Marcel Hirscher und dann lange nichts“, so die Vermutung vieler. Vor allem in den technischen Disziplinen sah es nicht immer rosig aus.

Nach Benjamin Raichs Rücktritt wurde Ski-Fans angst und bange. Könnte es sein, dass sich in Sölden nur der vierfache Gesamtweltcupsieger für den zweiten Durchgang qualifiziert?

Falsche Befürchtungen, wie sich herausstellte. Denn die „zweite Garde“ zeigte beim Saison-Auftakt auf. Einige von ihnen kehrten zu alter Stärke zurück, andere überraschten alle. Was sie selbst zu ihren starken Leistungen sagen, wie sie von Hirscher profitieren und warum sie ihrer Meinung nach doch nicht so schlecht sind, wie alle sagen:

 

Roland Leitinger

Der 24-Jährige war die Überraschung des Rennens. Mit Startnummer 39 fuhr er noch auf Rang 26 und qualifizierte sich in seinem 12. Weltcup-Einsatz erst zum zweiten Mal für das Finale. Dort lieferte er schließlich ein wahres Feuerwerk ab. Der Tiroler nützte die gute Piste und knallte Laufbestzeit in den Schnee. „Ich wusste, dass mit der guten Piste etwas möglich ist. Dass am Ende Laufbestzeit herauskommt, zeigt, was ich drauf habe“, so Leitinger. Läufer um Läufer biss sich an der Zeit des Riesentorlauf-Europacupsiegers der Vorsaison die Zähne aus. Sein bestes Weltcup-Ergebnis (bisher 21. Platz in Are 2014) hatte er schnell sicher, doch es sollte noch weiter nach vorne gehen. „Das war wunderschön. Ich bin noch nie am Leaderboard gestanden. Wenn man sieht, wie Sportgrößen hinter einen zurückfallen, ist das ein sensationelles Gefühl“, beschreibt er diese Momente. Am Ende sollte es Rang sechs werden. Sein Ziel, die Qualifikation für den zweiten Durchgang, übertraf er um Welten. Ob er angesichts der erst zweiten Final-Quali im Weltcup nervös geworden sei? „Nervosität hat eher die Tage vor dem Rennen in Form von Anspannung geherrscht. Vor dem zweiten Durchgang war ich aber gar nicht nervös. Ich war 26. und hatte nichts zu verlieren“, verneint er. Auch die Leistungen seiner Teamkollegen entzücken ihn: „Wir haben gezeigt, was wir können. Es sind alle recht stark gefahren. Das war nur das erste Rennen, es geht noch weiter. Wir sind aber nicht so schlecht, wie uns jeder hingestellt hat.“

Philipp Schörghofer

Letztes Jahr herrschte beim 32-Jährigen nach dem Saison-Auftakt noch Frust. Heuer sieht das ganz anders aus – obwohl sogar noch mehr als Rang 14 möglich gewesen wäre. Ein schwerer Patzer verhinderte ein  besseres Ergebnis. „Ich bin nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Ich bin aber viel bessere Schwünge als in den letzten Jahren gefahren. Das sollte auch ein Laie gesehen haben. Das motiviert mich. Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe, habe mir aber nichts vorzuwerfen, weil ich riskiert habe“, so der Salzburger. Letzte Saison fuhr er nur ein einziges Mal unter die Top 15, heuer gelang es ihm gleich in Sölden. Auch der Routinier zeigt sich von seines Landsleuten begeistert: „Leiti fährt gut, er ist in meiner Trainingsgruppe. Andere, wie Hirschbühl, haben mich richtig überrascht. Auch Hannes ist super gefahren, dafür, dass er so lange nicht mehr RTL gefahren ist. Vom Team her sind wir besser, so können wir uns gegenseitig pushen.“

Hannes Reichelt

„Warum tut er sich das an?“, fragten sich Fans wie Experten ob des Riesentorlauf-Comebacks des 35-Jährigen. Nach dem ersten Durchgang wohl auch er selbst, schließlich erreichte er als 29. gerade noch das Finale. Die Antwort gab er dann im zweiten Durchgang. Zweitbeste Laufzeit, Endrang 16. „Der erste Durchgang war echt zach, da ist die Liebe zum Riesentorlauf erloschen. Im zweiten ging es besser, wenn die Ski jetzt noch etwas leichter um die Kurve gehen würden, könnte das wieder eine richtige Affäre mit dem Riesentorlauf werden“, scherzt der Super-G-Weltmeister. Nach durchwachsenen RTL-Leistungen konzentrierte sich Reichelt eigentlich nur noch auf die Speed-Bewerbe. Im Sommer packte ihn seine alte Sehnsucht aber wieder. „Im Training habe ich nie so einen guten Lauf hinbekommen wie im zweiten Durchgang. Das taugt mir richtig“, jubelt er. Platz 16 bedeutete sein bestes Riesenslalom-Ergebnis seit zwei Jahren, als er in Sölden 15. wurde.

Christian Hirschbühl

„Christian wer?!“, rätselten einige Zuseher im Zielraum, nachdem der Sprecher den Mann mit der Startnummer 52 aufrief. Nach Platz 22 sollte aber jeder den 25-Jährigen kennen. Im ersten Durchgang raste er auf ramponierter Piste auf Rang 20. Dass es dann zu keiner Verbesserung reichte, war nicht weiter schlimm: „Es klingt vielleicht frech, das Ziel war aber der zweite Durchgang. Ich wusste, es ist möglich, ich war im Training an Marcel Hirscher dran. Wenn du ins Ziel fährst und siehst, dass du 19. bist, glaubst du es nicht. Im zweiten Lauf kommen Nervosität und Müdigkeit dazu. Nichtsdestotrotz bin ich sehr zufrieden.“ Konnte er auch sein, schließlich war es nach vier Slalom-Einsätzen (keine Punkte) sein erster RTL-Start im Weltcup. „Es war in den letzten Jahren immer so, dass ich den Riesentorlauf zu 50 Prozent mitgenommen habe. Weil ich so hohe FIS-Punkte hatte, habe ich nicht einmal im Europacup die Chance bekommen. Letztes Jahr habe ich die Reise nach Japan angetreten, richtig gute RTL-Punkte gemacht. Dort kam es ins Rollen“, begründet der Vorarlberger. Hinter Hirschbühl liegen harte Jahre. Drei Saisonen lang flog er aus dem ÖSV-Kader, trainierte beim Vorarlberger Landesverband. Dazu zog er sich auf dem Weg zurück nach oben eine schwere Knieverletzung zu. „Ich habe die Leistungskriterien nicht erfüllt. Nach dem Kreuzbandriss (November 2013) habe ich schon überlegt, ob ich noch weiterkämpfen soll“, schildert er, um anzufügen: „Es hat sich gelohnt.“

 

Matthias Nemetz