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"Es gab in der Saison 2009/10 den riesen Knick!"

Zwei Tage nach Weihnachten verlor das Grazer Eishockey eine Identifikationsfigur. Damals sorgte die Nachricht über den Abschied von Harry Lange für Verwunderung.

Knapp acht Jahre führte der gebürtige Klagenfurter unter anderem als Kapitän die 99ers. Das „C“ auf der Brust verlor er ebenso, wie die „Freude am Sport“.

Der Wahl-Dresdner, bis Saisonende läuft er in der zweiten Liga Deutschlands für die Eislöwen auf, geht im LAOLA1-Talk vor allem mit sich selbst hart ins Gericht: „In Graz hatte ich Familie und Freunde, da wird man vielleicht etwas bequem. Möglicherweise war das ausschlaggebend, weshalb es nicht mehr so funktioniert hat, wie ich mir das vorstelle.“

Woraus diese Bequemlichkeit resultierte und warum Mario Richer der richtige Trainer für die Steirer ist, beantwortet Lange, dessen Frau Cindy weiterhin in Graz lebt, im Vorfeld des 99ers-Heimspiels gegen Jesenice (44. Runde im LIVE-Ticker).

LAOLA1: Harry, nachträglich Gratulation zu deinem Transfer. Wie waren die ersten Wochen?

Harry Lange: Alles ist sehr schnell gegangen. Ich bin gekommen und musste gleich spielen, weil nach Weihnachten der Spielplan eng war. Am 27. Dezember bin ich angekommen, tags darauf folgte das erste Liga-Spiel. Leider hatten wir zuletzt sieben, acht Verletzte, daher standen einzig zwei Linien zur Verfügung. So ist es fast unmöglich zu gewinnen.

LAOLA1: Welchen Eindruck hast du von deinem neuen Arbeitgeber?

Lange: Der Verein wird sehr professionell geführt, das Umfeld passt. Am ersten Tage wurde mir alles zur Verfügung gestellt – Auto, Wohnung und Handy. Das hat wirklich toll geklappt. Im Vorjahr waren die Eislöwen im Halbfinale, dort will man wieder hin. Wir sind sicher besser, als unsere Tabellen-Platzierung (Anm.: 12 von 13 Teams). Natürlich gibt es Unterschiede zu den 99ers. Dennoch steht man im Management um nichts nach. Die Liga hat einen hohen Standard, von den Rahmenbedingungen – die Halle ist erst vier Jahre alt – passt alles. Von Graz bin ich nicht gerade verwöhnt (lacht), dies liegt nicht am Verein, sondern an der Stadt Graz.

LAOLA1: Und auf welchem Niveau bewegt sich das Geschehen auf dem Eis?

Lange: Die EBEL ist garantiert besser. Ich glaube jedoch nicht, dass es ein haushoher Unterschiede ist. Der größte Gegensatz liegt bei den Linien-Einsätzen. In Österreich spielt jeder mit vier Reihen, es wird zumindest versucht. Dadurch ist das Tempo automatisch höher. In der zweiten Liga Deutschlands gibt es meist drei Linien, nur gelegentlich probieren es Teams mit vier. Und man darf nicht vergessen, bei uns laufen acht bis zehn Ausländer herum. Hier sind es fünf Legionäre. Die Eishallen sind fast immer voll, das Interesse ist sehr groß.

LAOLA1: Kommen wir auf deinen etwas überraschenden Abschied aus dem Liebenauer „Eisbunker“ zu sprechen: Wann reifte in dir dieser Entschluss?

Lange: Es war keine Ho-Ruck-Entscheidung. Ich war acht Jahre in Graz, eine wunderschöne Zeit. Mein Lebensmittelpunkt wird weiterhin dort liegen, daran ändert sich nichts. Ich kehre der Stadt nicht den Rücken. Letztlich taten sich drei bis vier Möglichkeiten für einen sofortigen Wechsel auf. Mit meiner Frau besprach ich, ob es überhaupt ein Thema wäre. Wir kamen zum Entschluss: Wenn der Klub zustimmt, nehme ich das Angebot an. Ich bin 28 Jahre alt, möchte nochmals was Neues probieren. Zudem wäre mein Vertrag ausgelaufen – keine Ahnung, ob er verlängert worden wäre.

LAOLA1: Du bist in Besitz eines deutschen Passes, wie kommt das? Inwiefern kam dir das zugute?

Lange: Mein Opa stammt aus Hamburg. Bei der Geburt war mein Vater Doppelstaatsbürger, deshalb sind es mein Bruder Matthias und ich auch. Das war der Hauptgrund, warum derart schnell Interesse bekundet wurde. Das Risiko ist so für die Arbeitgeber wesentlich kleiner.

LAOLA1: Was waren die Beweggründe für deinen Wechsel?

Lange: In Graz hatte ich Familie sowie Freunde, da wird man etwas bequem. Möglicherweise war das ausschlaggebend, weshalb es nicht mehr so funktioniert hat, wie ich mir das vorstelle. Da beziehe ich mich rein auf meine Leistung, mit Coach, Management oder Vorstand gab es gar keine Probleme. Sie wirkten anfangs überrascht, als ich um die Vertrags-Auflösung  bat. Die 99ers waren mehr als nur ein Arbeitgeber. Nach acht Jahren kennt man jede Person im Verein und einige Fans.

LAOLA1: Schon Florian Iberer verließ die steirische Landeshauptstadt und heuerte in Dresden an. Wie intensiv war der Kontakt vor der Vertrags-Unterzeichnung?

Lange: Ich erkundigte mich, um mir ein Bild zu machen, wie es in Dresden zugeht und ob ich mich mit den Gegebenheiten anfreunden kann. Mit Kapitän Patrick Jarrett, Bruder von 99ers-Verteidiger Cole, nahm ich ebenso Kontakt auf wie mit Kellen Briggs, der US-amerikanische Tormann, ist ein sehr guter Freund. Für mich war wichtig, Freude am Sport und Selbstvertrauen wieder zu erlangen. Denn das ist Alles, durch die limitierte Eiszeit hat das gelitten. Dies muss ich mir selbst zuschreiben. Vielleicht war ich zu lange in Graz, jetzt muss ich mich neu beweisen.

LAOLA1: Du zeigst dich sehr selbstkritisch: Was ist mit „zu bequem geworden“ gemeint?

Lange: Ich kann es selbst nicht definieren. Es gab 2009/10 den riesen Knick. Innerlich stellte das sang- und klanglose Aus im Viertelfinale nach dem Gewinn des Grunddurchgangs eine große Enttäuschung dar. Vor allem wie reagiert wurde. Meines Wissens gab das Management Head Coach Bill Gilligan alle Möglichkeiten, die Mannschaft zu halten. Eine Vielzahl von Österreichern verließ den Klub, Legionäre wurden stattdessen geholt. Obwohl ich dachte, wir könnten in den kommenden Jahren Erfolg haben. Endlich bekamen die Fans das Eishockey zu sehen, welches sie verdient hatten. Es war ein Bruch, als alles auseinander fiel. Ich will die Schuld nicht am einstigen Trainer festmachen, das ist lediglich mein persönliches Empfinden.

LAOLA1: Und vergangenes Jahr?

Lange: Da gab es Gruppen-Bildungen. Ich habe das schönste Jahr bei den 99ers als Kapitän erlebt, das nächste war weniger schön. Wir haben zwar versucht uns zusammenzuraufen, doch der Graben war zu tief. Aus jenem Grund sind wir gegen Wien im Viertelfinale mit 0:4 ausgeschieden.

LAOLA1: Konnte der neue Mann auf der Kommandobrücke, Mario Richer, diese Wogen glätten?

Lange: Im Großen und Ganzen ist es gelungen. Für diese Mannschaft ist er genau der richtige Trainer. Große Neuzugänge waren im Sommer nicht möglich, da Graz nicht die Summen anderer Klubs zahlen kann. Eines ist auch klar: In Österreich bekommt man nicht nur Legionäre, die top sind. Das lässt sich nicht finanzieren. Letztlich kamen man zum Schluss: Allein geht‘s nicht, wir müssen zusammenhalten. Um den Marktwert zu erhöhen, muss das Team Leistung bringen. Heuer haben es alle begriffen. Die Moral stimmte, selbst wenn der Start holprig war.

LAOLA1: Die Top-6 haben die Grazer verpasst. Jetzt geht es in der Qualifikations-Runde um die letzten beiden Playoff-Plätze. Was ist deinem „Herzensklubs“ noch zuzutrauen?

Lange: Wenn die 99ers ihre Form wahren, die Goalies Frederic Cloutier und Fabian Weinhandl weiter glänzen, als auch die dritte Linie um Lefebvre trifft, ist die Mannschaft schwer zu schlagen. Nur in der Zwischenrunde können zwei, drei Spiele ausschlaggebend sein, mit den Caps und VSV keinesfalls ein Zuckerschlecken. Ich wünsche mir, dass Graz in den Playoffs endlich wieder eine Serie gewinnt.

Das Gespräch führte Christoph Köckeis

 

TV-TIPP: LAOLA1.tv zeigt zum Abschluss des Grunddurchgangs zwei Spiele LIVE:

19:15 Uhr: BW Linz vs Vienna Capitals
19:15 Uhr: Zagreb - RB Salzburg