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Mike Danton: Ein Leben auf Abwegen

Mike Danton: Ein Leben auf Abwegen

„Ich möchte mein Leben genießen, ebenso den Sport. In jeglicher Hinsicht einfach Spaß haben.“

Mike Danton versprüht Glückseligkeit, sogar etwas Lebenslust. Er scheint im Einklang mit sich selbst, im Einklang mit seiner Umgebung. Für den Kanadier ist all jenes keine Selbstverständlichkeit.

Am 16. April 2004 stand Danton vor den Trümmern einer bewegten Vergangenheit. Er bekannte sich schuldig, einen Mord in Auftrag gegeben zu haben. Zwei Tage nach seiner bisherigen Sternstunde - dem Premieren-Treffer in den NHL-Playoffs.

Ein tiefer Einschnitt und zugleich Wendepunkt.

„Im Gefängnis verbrachte ich 65 Monate - davon 22 in Einzelhaft. Ich hatte viel Zeit, um nochmals zu reflektieren, ließ Positives und Negatives Revue passieren“, sinniert der Legionär des HC Znojmo bei LAOLA1 über seinen surreal wirkenden Werdegang. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen?

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„Ein Produkt des Umfeldes“

Auf die Frage aller Fragen antwortet Danton per Exkurs in seine Kindheit. „Persönlichkeit, Einstellung sowie Charakter sind ein Produkt deines Umfeldes. Wie du im Leben stehst, hängt unmittelbar davon ab, wie du erzogen wurdest“, so der Kanadier, welcher nur mit dem Beiwort „biologisch“ seine Eltern erwähnt.

Aufgewachsen in Brampton, einem Vorort der Provinz Ontario, wurde er häufig Opfer von Übergriffen. Vater Steve Jefferson stand wegen Körperverletzung im Konflikt mit dem Gesetz. Er tyrannisierte die Familie.

Ob der hauseigene Hund, Mutter Sue oder „Klein Mike“ – sie alle waren den Wutausbrüchen hilflos ausgesetzt. „Das war nicht besonders förderlich. Ich habe früh derart viel erlebt, musste Tiefschläge verkraften.“

Eishockey gibt Danton Halt

Später bezichtigte Danton in der ebenso atemberaubend wie erschreckenden ESPN-Dokumentation „Stranger than fiction“ den Erzeuger „des Missbrauchs auf allen Ebenen“. Konfrontiert damit, bestritt Jefferson jegliche Anschuldigungen.

Zweifelsohne war es die prägendste Zeit: „Eine Person durchlebt gewisse Phasen der Entwicklung, im Alter zwischen zwei und neun Jahren die wichtigste. Mein Umfeld war nicht gesund, hatte wenig Positives für mich parat.“

Halt fand der Sprössling im Eishockey. Schon damals war er ein Spiegelbild der Lebens-Umstände. Ein Arbeiter frei von Disziplin. Sich Anweisungen unterzuordnen - unmöglich. Zu allem Überdruss versuchte Vater Steve, seinem Sohnemann dies auszutreiben.

Die zwanghafte Suche nach Geborgenheit

„Das Wichtigste ist, Spaß zu haben. Nur kannte ich so etwas nicht. Für schlechte Spielzüge wurde ich ebenso verdroschen wie für schöne Aktionen. Ich begann diesen Sport zu hassen, musste für wirklich alles büßen.“

Dantons zwanghafte Suche nach Geborgenheit führte ihn zu David Frost. Mit dem Nachwuchs-Coach fand der Zehnjährige eine Person, zu welcher er hochblickte. Die er respektierte. Nicht nur im Training auch abseits der Eisfläche wurde der nur 13 Lenze Ältere zu einer Bezugsperson.

Mehr und mehr Zeit verbrachte das Hockey-Talent mit dem in der gleichen Straße wohnenden Frost, übernachtete des Öfteren bei ihm. Um der Gewalt zu entfliehen, kapselte sich Mike gänzlich ab, und schritt in der eishockeytechnischen Entwicklung unaufhaltsam voran.

Namensänderung als Gipfel

Die Erfolge seines Mentors waren unbestritten, dessen Methoden jedoch äußerst fragwürdig. Als Danton der Sprung in die AHL gelang und die Erfüllung des NHL-Traums näher rückte, wurde Frost  - 2008 schuldig gesprochen, minderjährige Mädchen zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben – sein Personal Coach.

Der Wunsch nach Anerkennung wurde zur beängstigenden Abhängigkeit. Steve Simmons, Kolumnist der Toronto Sun, verdeutlichte diesen Eindruck: „Frost übernahm die Kontrolle seiner Persönlichkeit.“

All das gipfelte 2002 in der Namensänderung. Um nicht weiter, wie er selbst sagt, mit seinem Vater assoziiert zu werden, wurde aus Mike Jefferson plötzlich Mike Danton. Kurz darauf debütierte der an 135. Stelle Gedraftete in der Elite-Liga.

„Ich war in meinem Leben gefangen“

Für die New Jersey Devils bestritt der aufstrebende Jungstar 17 Einsätze, im Sommer 2003 folgte der Trade nach St. Louis. Im Blues-Jersey gewann er – auch dank Enforcer-Qualitäten – in Windeseile die Gunst der Zuschauer. Ruhm, welcher dem 23-Jährigen zu Kopf stieg.

„Ich war ein verwirrter, junger Mann, der sich nicht für sich und die Personen herum interessierte. Zu der Zeit wusste ich die Dinge nicht zu schätzen. Meine Einstellung war albern und kindisch. Ich war in meinem Leben gefangen.“

Weshalb er den 10.000-Dollar-Mordauftrag gab, möchte Danton nicht kundtun. In seinem Apartment sollte die Straftat erfolgen, wurde gleichwohl nie vollzogen. Über das Ziel wird bis heute gerätselt, als wahrscheinlichstes Opfer gilt Frost.

So erfolgte am 16. April, zehn Stunden nach St. Louis‘ Aus in den Playoffs, die Inhaftierung.

Gefängnis als letzter Ausweg

Die Schuld dafür macht er an niemandem fest: „Ich schaue in den Spiegel und zeige mit dem Finger einzig und alleine auf mich. Ich selbst brachte mich ins Gefängnis. Ich will keine Person für Fehler beschuldigen, die ich begangen habe.“

Die engsten Weggefährten, sprich Freunde, hätten alles Mögliche unternommen, um Danton aus der misslichen Lage zu helfen. Vergeblich. „Sie wollten mich erreichen, ich schenkte dem jedoch keine Aufmerksamkeit.“ Warum gerade er überhart vom Schicksal getroffen wurde, daran verschwendete Danton nie einen Gedanken.

Geläutert nützt Danton die zweite Chance

„Ich bin nicht religiös. Nichtdestotrotz geschieht alles aus gewissen Gründen. Das Karma kommt und beißt dich in den Arsch. Um alles in den Griff zu bekommen, war ein Timeout nötig. Erst im Gefängnis gelang mir der Turn-Around.“

Die zweiten Chance genützt

Hinter Gittern ereilte Danton ein Selbstfindungsprozess. Das „ziellose, unbeständige“ Dasein sollte endgültig der dunklen Vergangenheit angehören. „In der NHL hatte ich keine schöne Phase. Ich sagte mir: Wenn ich jemals wieder den Sport ausüben darf, muss ich es genießen. Denn eine Karriere kann jederzeit, in jedem Moment und aus jedem Grund zu Ende sein.“

Wartet eine Vielzahl an Ex-Häftlingen zumeist vergeblich auf die Resozialisierung, erhielt der Center – begünstigt durch den Bekanntheitsgrad – jene umgehend. „Als ich herauskam, durfte ich an der Saint Mary’s University wieder Eishockey spielen. Das war die zweite Chance – nicht nur im Sport.“

Danton bildete sich fort. Er widmete sich den Büchern, verbrachte seine Freizeit in der Bibliothek. Kurz gesagt, er begann das Leben zu leben. Und trieb das Vorhaben, in das Profi-Business zurückzukehren, hartnäckig fort.

Entscheidung zwischen Eishockey und Frost

„Wonach ein Crack, der nicht spielen kann, am meisten trachtet, ist die Kameradschaft. In die Kabine zu gehen, zu flachsen, Fußball zu spielen oder im Training etwas Unsinn zu machen. Das ging mir ab. Solche Freundschaften können nur unter Hockey-Spielern generiert werden.“

Um diese Sehnsucht wieder zu stillen, brach er den Kontakt zum einstigen Förderer und Vater-Figur Frost ab. „Wenn ich es wirklich will, kann er kein Teil sein. Ich musste mich zwischen dem Sport und ihm entscheiden – und ich habe Ersteres gewählt. Das ist alles, was ich darüber sage.“

Schlagzeilen möchte er fortan auf dem Eis schreiben, nicht mit einem Privatleben – Danton und Frost sagte man gar eine Liebesbeziehung nach – das aus den Bahnen gerät. Daran wird seit der Entlassung im März 2009 eifrig gebastelt.

„Um mich dem europäischen Style anzupassen“

Ende Juli nahm der 1,75 Meter große Crack ein Engagement auf dem „alten Kontinent“ an. Sein wegen der Vorgeschichte verhängtes Einreiseverbot in die USA, behinderte nämlich die Laufbahn in Nordamerika, somit entschied er sich für Schweden. „IFK Ore war der Wegbereiter zurück in das bezahlte Hockey. Ich bin dem Verein und zuvor St. Mary’s unendlich dankbar.“

Vom Raunen ob der Vertrags-Unterzeichnung in der dritten „Tre Kronor“-Spielklasse ließ sich Danton nicht beirren. Ein Rückschritt, der von langer Hand und mit Weitblick geplant war. „Jeder meinte, das wäre eine blöde Idee. Ich benötigte das Abenteuer, um mich dem europäischen Style anzupassen.“

Interessantes Detail: Neben seiner Performance – 41 Punkte in 27 Spielen – überzeugten besonders Dantons Qualitäten als Lebensretter. Mit dem im Gefängnis angeeigneten Wissen, bewahrte er einen Mitspieler davor, bewusstlos die Zunge zu verschlucken.

Die Skeptiker ließ Danton verstummen

„Die Zweifel, ob ich wirklich noch auf dem Level bestehen kann oder wie mein Charakter ist, konnte ich aus dem Weg räumen. Ich kann noch Eishockey spielen, mir ist die Umstellung auf Europa gelungen. Viel wichtiger ist: Mein Leben läuft geregelt ab.“ Dies vernahm auch Znojmo-Trainer Martin Stloukal, der nicht lange zögerte.

„Er hat mich per Mail kontaktiert. Wir kannten uns vom Trainings-Camp der New Jersey Devils“, gibt Danton zu verstehen. So unterschrieb er im Dezember beim Liga-Neuling und fand schnell Gefallen an den Rahmenbedingungen.

„Es ist eine typisch europäische Stadt. Die Bauten sind voller Historie. Die Fans sorgen für großartige Atmosphäre. Sie schreien und trommeln, das kannte ich nicht.“ In der EBEL, die er mit der American Hockey League vergleicht, wartet nun ein Schnitt-Duell im Kampf um zwei verbleibende Playoff-Tickets.

„Die glücklichste Zeit“

Bei den Vienna Capitals benötigt das tschechische Team einen Erfolg, um den Anschluss zu den 99ers und dem VSV zu wahren. Zudem könnte man sich von den Hauptstädtern absetzen. Mit Spaß und der Erfahrung von 87 NHL-Spielen versucht Danton den talentierten Kollegen die nötige Lockerheit zu verleihen.

„Ich habe viel durchgestanden, weiß wie man mit Stress und Druck umgeht. In der Kabine bin ich der Erste, der Witze macht, im Training auf die Skates schießt oder ein Bein stellt. Fast nach jeder Einheit stürmen zwei, drei Jungs auf mich zu, um sich zu revanchieren. Wenn du sie fragst, werden sie sagen: Mike kann seinen Mund nicht halten, er kann gar nicht 31 Jahre alt sein.“

Mental fühlt sich Danton selbstredend „viel älter“. Er scheint bereit die Trümmer der Vergangenheit zu beseitigen. Und er versichert: „Ich erlebe die mit Abstand glücklichste Zeit.“

Keine Selbstverständlichkeit in Anbetracht seines surrealen Lebens.

Christoph Köckeis