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"Serben sind genetisch bedingt wirkliche Talente"

Im zweiten Teil des großen Exklusiv-Interviews mit Gebhard Grisch spricht der Konditionstrainer von Novak Djokovic über seine internationalen Erfahrungen und die Liebe zum Tennis.

Außerdem erklärt er, warum sich Serben und Franzosen im Gegensatz zu Österreich keine Sorgen um den Nachwuchs machen müssen.

>>>>>>>>>Hier geht's zum ersten Interview-Teil, in dem Gritsch über seine Zusammenarbeit mit Novak Djokovic spricht.

LAOLA1: Nadals große Stärke war immer seine Fitness. Ist Novak da mittlerweile gleichgezogen?

Gritsch: Nadal spielt ein relativ durchsichtiges System, das auf seine starke Vorhand aufgebaut ist. Das spielt er schon seit einigen Jahren so und ist damit sehr erfolgreich. Er hat noch nie einen Grund gehabt, das System zu verändern. Jetzt muss er sich etwas einfallen lassen, weil er sieht, dass das System gegen Novak nicht mehr wirkt. Novak kann Nadals Tempo laufen und kontern. Das hat vorher noch nie jemand so wirklich zusammen gebracht. Federer hätte es können, mit einer Ausnahme: Die einhändige hohe Rückhand ist sehr schwierig. Wenn der Ball mit so einem starken Spin und hoher Geschwindigkeit daherkommt, ist es sehr schwierig, ihn einhändig sicher zu spielen. Federer hat wahrscheinlich die beste Koordination überhaupt, aber trotzdem war es nicht möglich. Wenn der Nadal Rechtshänder wäre, hätte Federer viel mehr gewonnen.

LAOLA1: Federer ist auch beinahe der einzige Spieler auf der Tour, der seine Rückhand noch einhändig spielt.

Gritsch: Federer spielt die Rückhand traumhaft und fast perfekt. Mit so einem hohen Spin ist es aber schwierig. Die Muskelstruktur da oben unterstützt die Bewegung nicht so sehr. Mit zwei Armen ist das schon viel einfacher. Aber zum Umlernen ist es natürlich zu spät.

LAOLA1: Wo liegen die Schwächen in Novaks Spiel?

Gritsch: Aus meiner Sicht gibt es eine Schwäche, eine relativ kleine: Er verhaut immer wieder einfache Smashes. Ansonsten ist Novak sehr stark im Defense-Bereich und kann unheimlich schnell in die Offense wechseln. Er kann in jeder Rallye aus jeder Position jeden Bereich anspielen.

LAOLA1:Du hast mit Stan Francker gearbeitet, warst Trainer in Indonesien, auf den Philippinen und in Hongkong. Wie wertvoll ist deine internationale Erfahrung?

Gritsch: Ich glaube, sie ist sehr wichtig. Ich habe auch das Glück gehabt, dass ich fünf Jahre lang in der Academy of Sports in Neuseeland arbeiten konnte. Dort sind einige der besten Trainer der Welt in den verschiedensten Sportarten. Ich habe dort monatlich Seminare gehabt. Es bringt auch sehr viel, wenn man immer mit diesen Leuten zusammensitzt und diskutiert. Das australisch-neuseeländische Konzept ist im Sport eines der bestorganisierten. Die haben sehr viele gute Leute und auch die Wertschätzung ist riesig.

LAOLA1: Das ist ja bei uns eher nicht so der Fall. War das auch ein Grund für dich, dass du Österreich den Rücken gekehrt hast?

Gritsch: Eigentlich schon. Wenn im Ausland Interesse gezeigt wird, dass sie einen haben wollen, und es nichts Gleichwertiges im eigenen Land gibt, dann würden das viele Leute machen. Das ist in anderen Berufen genauso.

LAOLA1: Was hältst du von der Nachwuchsarbeit im österreichischen Tennis?

Gritsch: Ich bin sehr resultatorientiert. Ich sehe sie nicht trainieren, ich sehe nur, wie weit vorne die Spieler im Ranking sind. Bei den Burschen schaut es relativ gut aus. Thiem ist eh schon Weltklasse in seiner Altersklasse. Bei den Mädchen spielt Haas sehr brav.

LAOLA1: Ist es ein Problem, dass die meisten Spieler ihre Entwicklung aus der eigenen Tasche bezahlen müssen und der Verband nur sehr wenig Unterstützung bietet?

Gritsch: Das ist international üblich. Novak hat vom Verband auch nichts bekommen. Die Serben und Russen machen das alle privat. Die Franzosen haben ein super System und werden vom Verband unterstützt. Deshalb haben die auch viele sehr gute Spieler und Jugendliche. So ein System ist optimal, kostet allerdings auch sehr viel Geld.

LAOLA1: Warum haben die Serben so viele gute Tennis-Spieler?

Gritsch: Erstens sind sie genetisch bedingt wirkliche Talente. Sie sind physisch sehr stark und haben eine irrsinnig gute Koordination. Sie sind ja auch in anderen Ballsportarten sehr gut. Die zweite Geschichte ist, dass sie nicht verwöhnt sind. Die meisten sind in einem schwierigen Umfeld aufgewachsen und bereit, eine Riesenleistung zu bringen, um sich selbst eine Chance zu geben, erfolgreich zu sein. System gibt es dort aber keines. Die müssen sich alles selber organisieren. Novak hatte anfangs allerdings eine sehr gute Trainerin, die früher auch Monica Seles trainierte. Eine sehr intelligente Frau, die ihm das Basiswissen so beigebracht hat, dass es ihm jetzt noch extrem hilft.

LAOLA1: Novak ist jetzt 24 Jahre alt. Kann er die nächsten vier, fünf Jahre dominieren?

Gritsch: Das hängt sehr von seinem Willen ab. Natürlich muss er auch gesund und in der Persönlichkeitsentwicklung positiv bleiben. Es können alle möglichen Probleme auftauchen. Rein vom Talent her und so wie er sich zur Zeit verhält, kann man davon ausgehen, dass er so weitermachen will.

LAOLA1: Wem traust du zu, Novak in absehbarer Zeit zu gefährden?

Gritsch: Der Newcomer des Jahres ist für mich Raonic, der für mich ein unglaubliches Potenzial hat. Er hat den perfekten Körper. Unglaublich starke Beine, einen relativ schmalen Oberkörper, eine unglaubliche Beschleunigung aus der Hand. Man wird sehen, was er erreichen wird. Er hat jetzt schon die Qualitäten, dass er jeden Spieler schlagen kann. Tomic ist auch sehr gut und gefährlich. Bei ihm stellt sich aber die Frage, ob er wirklich die Disziplin aufbringen wird, systematisch weiter zu arbeiten. Das Talent und das Umfeld hat er – die Australier unterstützen ihn bestmöglich.

LAOLA1: Wie geht Djokovic mit einer Niederlage um?

Gritsch: Oft ist es danach nicht sehr lustig. Aber da ist er nicht der Einzige, der so agiert. Das sind eben alles Winner-Typen. Es ist gut, dass sie nicht verlieren können. Denn wenn man verlieren lernt, dann hat man nicht mehr den Biss, gewinnen zu wollen. Wir spielen oft Golf und was der da schon aufgeführt hat, wenn er verliert – da ist er nicht zum aushalten. Da ist er schon einmal mitten in der Runde weggelaufen. Nach einer halben Stunde kommt er dann aber wieder und entschuldigt sich.

LAOLA1: Djokovic ist einer von vielen Tennis-Spielern, die gerne Golf spielen. Woran liegt das?

Gritsch: Fast jeder Tennisspieler spielt Golf. Es ist eine ganz gute Erholung, weil man mental einfach schön abschalten kann.  Wenn du morgen ein Match hast mit 800 oder 900 Millionen Zuschauern und deine Ehre auf dem Spiel steht, lastet ja ein unglaublicher Druck auf dir. Wenn du diesen Druck los werden kannst, ist das ja ein Riesenvorteil. Und wenn du fünf Stunden Golf spielen gehst, kannst du das.  Das sind die Kleinigkeiten, die oft nicht beachtet werden. Wir haben in Wimbledon gemeinsamt in einem Haus gewohnt und versucht, eine total relaxte Atmosphäre  zu bewahren. Herumblödeln, Tischtennis spielen, Fußball – immer eine Ablenkdung, damit er nicht den Druck spürt.

LAOLA1: Wie lädt Djokovic normalerweise seine Akkus auf?

Gritsch: Generell macht er das sehr gut, auch wenn du manche Matches wie das Finale in Wimbledon nicht zur Seite schieben kannst. Nach einem Spiel versuchen wir, das Tennis möglichst schnell auf die Seite zu schieben. Vielleicht wechselt man ein paar kurze Sätze gleich danach, sobald wir ins Auto einsteigen und wegfahren, wird aber kein Wort mehr über Tennis geredet.

LAOLA1: Ist Novak Djokovic das größte Projekt deiner Karriere?

Gritsch: Es wird wahrscheinlich schwer zu toppen werden. Wenn man mit so einem Talent arbeitet, ist es natürlich auch eine Wahnsinns-Genugtuung und eine Herausforderung. Auf diesem Level ist jeder Fehler unverzeihbar.

Das Interview führten Christian Frühwald und Christoph Nister