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"Werde heute noch auf Sampras angesprochen"

„Es war mein schönster Sieg und meine bitterste Niederlage.“

Die French Open 1995 werden Gilbert Schaller nicht nur aufgrund des historischen Siegs von Thomas Muster in ewiger Erinnerung bleiben.

Nach seinem Erstrunden-Sieg über den damaligen Weltranglisten-Ersten Pete Sampras schied der heute 46-jährige Steirer gegen den australischen Nobody Scott Draper trotz Matchballs bei eigenem Aufschlag in Runde zwei aus.

„Das tut mir heute noch weh“

„Das tut mir heute noch weh“,  trauert Schaller auch nach 20 Jahren noch der verpassten Chance in Roland Garros nach.

Seit vergangenem Herbst ist der ehemalige ÖTV-Sportdirektor bei McCartney Sports, eine Tochter der McCartney Group deren Eigentümer die Stiefmutter von Beatles-Legende Paul McCartney, Angie McCartney, und seine Schwester Ruth McCartney sind.

In Wien-Brigittenau will Schaller sowohl nationale als auch internationale Talente formen und in die Weltspitze führen.

Im großen LAOLA1-Interview erklärt die ehemalige Nummer 17 der Welt, wie es dazu gekommen ist, warum er lieber in der heutigen Zeit Tennis-Profi gewesen wäre und spricht über die Schwierigkeiten der Verbandsarbeit.

LAOLA1: Heuer jährt sich der Sieg von Thomas Muster bei den French Open zum 20. Mal. Wie sind deine Erinnerungen daran?

Gilbert Schaller: Generell war das Jahr 1995 vom Tom ein Wahnsinn. Er hat damals ja wirklich jedes Turnier auf Sand gewonnen. Dass er dann auch noch die French Open für sich entscheiden konnte, war dann das Tüpfelchen auf dem i. Das war schon sehr, sehr stark. Ich persönlich habe bei den French Open 1995 den schönsten Sieg und die bitterste Niederlage erlebt. In der ersten Runde habe ich Pete Sampras geschlagen und danach gegen Scott Draper verloren. Dafür habe ich miterleben können, wie Tom mit diesem Riesendruck auf seinen Schultern umgegangen ist. Der Druck war enorm und dass er es dann so durchgezogen hat, davor habe ich wirklich größten Respekt. Jeder hat gesagt, dass er heuer gewinnen muss und auch er selbst wird es gespürt haben. Das muss für ihn eine wahnsinnige Befriedigung gewesen sein.

LAOLA1: Du hast den Erfolg über Sampras bereits angesprochen. Erinnerst du dich auch heute noch gerne an diese Partie zurück?

Schaller: Natürlich, es war einfach eine tolle Erfahrung. Es war auch immer mein Ziel, einmal am Center Court der French Open zu stehen und einen großen Spieler zu schlagen. Ich werde heute noch ab und zu darauf angesprochen. Wenn sich die Leute an mich erinnern, dann wird meistens dieses Match mit mir in Verbindung gebracht. Das ist noch in vielen Köpfen drin.

LAOLA1: Danach waren deiner Erwartungen sicherlich hoch und trotzdem setzte es gegen Scott Draper in Runde zwei eine Enttäuschung. Ärgert dich diese Niederlage heute noch?

Schaller: Ja, das ist zugleich das bitterste Turnier meiner Karriere. Ich habe schon 6:4, 6:4, 5:4 geführt und hatte einen Matchball bei eigenem Aufschlag. Zudem hatte ich eine relativ aufgelegte Auslosung bis zum Viertelfinale. Bis dorthin hatte ich nur Gegner, gegen die ich zu diesem Zeitpunkt in meiner Karriere davor noch nie verloren hatte. Das wäre natürlich eine Riesenchance gewesen. Auch im Nachhinein tut das immer noch weh.

Vor allem beim Return hat sich viel verändert

LAOLA1: Wie hat sich das Tennis seitdem verändert?

Schaller: Der Fitness-Level ist viel höher. Im körperlichen Bereich wird viel mehr gemacht. Das Spiel hat sich auch weiter entwickelt. Die Spieler sind kompletter geworden. Die Technik hat ihr übriges dazu getan. Die heutigen Returns wären mit den damaligen Schlägern gar nicht gegangen. Auch die Position am Platz hat sich verändert. Man ist viel näher an der Linie dran und versucht mehr in den Platz reinzugehen, um über die Verkürzung der Wege den Ball schneller zu machen.

LAOLA1: Wären dir die heutigen Verhältnisse mehr entgegengekommen?

Schaller (lacht): Definitiv. Wenn ich mir jetzt Turniere wie die Stadthalle oder Wimbledon anschaue, dann auf jeden Fall. Heute kann man sogar in Wimbledon von der Grundlinie spielen. Auch die ganzen Hallen-Turniere sind viel langsamer geworden. Was Thomas und mein Spiel betroffen hätte, wäre es uns sicher entgegengekommen. Ich hätte gerne in der heutigen Zeit gespielt. Das wäre für mich viel angenehmer gewesen. Damals waren die Nicht-Sandplätze eindeutig schneller.

Andreas Haider-Maurer trainierte mit Schaller in der Südstadt

LAOLA1: Was sagst du zum Aufschwung von Andi Haider-Maurer und Gerald Melzer, die früher beide bei dir in der Südstadt trainierten?

Schaller: Die Entwicklung der beiden hat mir sehr gut gefallen. Gerade bei Gerald wurde ich seinerzeit kritisiert, warum ich ihn in die Südstadt holte. Er hat aber wirklich eine Riesenentwicklung hingelegt. Beim Andi ist es super, dass er jetzt quasi im letzten Anlauf den Sprung nach vorne geschafft hat und nun konstant seine Leistungen bringt. Die Konstanz war immer sein Problem. Jetzt hat er eine Stufe erreicht, auf der er nicht mehr unsicher agiert, sondern einfach sein Ding durchzieht.

LAOLA1: Was traust du den beiden noch zu?

Schaller: Gerald kann es auf jeden Fall in die Top 100 schaffen. Danach muss man schauen, wie er sich Woche für Woche bei den großen Turnieren schlägt. Er hat ein gefährliches Spiel und kann auch die Top 50 ankratzen. Bei Andi geht es darum, die Top 50 zu halten und vielleicht die Top 35 anzuvisieren.

LAOLA1: Der neue ÖTV-Präsident Groß ist gerade dabei, einen neuen Plan für die Südstadt zu machen. Was würdest du ihm raten?

Schaller: Vorschläge von außen sind schwierig. Ich weiß nur, dass es derzeit etwas chaotisch ist. Wichtig wäre es, schnell wieder Strukturen zu schaffen und ein Vertrauen aufzubauen. Die Leute brauchen eine Orientierung.

LAOLA1: Florian Pernhaupt wurde vor wenigen Wochen als neuer ÖTV-Sportkoordinator vorgestellt. Ist er eine gute Wahl?

Schaller: Ich kenne ihn sehr gut, weil ich ihn in die Südstadt geholt habe. Er ist für diese administrativen Aufgaben sicher gut geeignet. Es ist aber kein leichter Job. Die Zukunft wird zeigen, ob die Aufgabenaufteilung funktioniert.

Das Gespräch führte Christian Frühwald

LAOLA1: Kannst du die Kritik an den langsamen Belägen nachvollziehen oder empfindest du die aktuellen Verhältnisse als fairer?

Schaller: Das ist schwer zu sagen. Auf der einen Seite hat sich die Technik weiter entwickelt. Die Bälle zu kontrollieren ist ein großes Thema, wenn die Schläger mehr Geschwindigkeit produzieren können. Die Zuschauer wollen auch Ballwechsel sehen. Auf der anderen Seite muss man schon sagen, dass die heutigen Spieler-Typen sehr gleich sind. Spielstile, wie sie ein Edberg oder Rafter praktiziert haben, gibt es heute nicht mehr. Alles ist sehr schablonenhaft geworden. Das ist die Gefahr bei der jetzigen Entwicklung. Da muss man einen Mittelweg finden, dass es auf schnelleren Belägen Möglichkeiten gibt, auch einmal ans Netz zugehen. Heutzutage ist das wirklich schon eine Rarität.

LAOLA1: Du bist seit Ende letzten Jahres wieder aktiv in der Tennis-Szene unterwegs, bist Sportdirektor der McCartney Akademie in Wien-Brigittenau. Was bedeutet das bzw. wie hat sich diese Aufgabe ergeben?

Schaller: Das hat sich über den Kontakt von Reinhold Kiss (Anm.: ehemaliger Manager von Jürgen Melzer) ergeben. Der bisherige Geschäftsführer, der auch für McCartney Sports tätig ist, hat sich aus gesundheitlichen Gründen etwas zurückgezogen. Ich wurde angesprochen, ob ich in diesem Bereich etwas machen kann. Davor haben sie vor allem im Künstler-Management Veranstaltungen gemacht. Nun wollten sie auch vermehrt im Sport etwas tun, da Sport im weitesten Sinne ja auch Entertainment ist. Durch Kiss war schon eine Affinität zum Tennis gegeben und dann wurde ich eben kontaktiert, ob ich diesen Sportbereich leiten will. Nachdem ich die Leute dort kennengelernt und das Gefühl hatte, das die Chemie passt, habe ich zugesagt. Seitdem versuchen wir, etwas aufzubauen. Wir haben mittlerweile Florin Mergea und Marin Draganja unter Vertrag, die im Doppel schon in den Top 20 stehen. Aus österreichischer Sicht haben wir den Sam Weissborn. Langfristig wollen wir auch etwas bei den Damen machen und im Junioren-Bereich aufbauen. Im Herbst wollen wir in Österreich mit einem Projekt starten, das gerade noch in der Planung ist.

LAOLA1: Wie groß ist euer Team?  Bist du in erster Linie für die Spieler-Akquirierung zuständig?

Schaller: Genau. Ich versuche die Spielerkontakte herzustellen. Mit Draganja bin ich aber auch auf der Tour unterwegs, etwa 30 Wochen im Jahr, und ich bin auch sportlicher Berater von Mergea. Ich arbeite mit Martin Spöttl und Ivan Galic zusammen. Ab Herbst werden wir unser Team vergrößern, wenn wir im Jugendbereich starten.

LAOLA1: Du warst jahrelang ÖTV-Sportdirektor in der Südstadt? Wie beurteilst du im Rückblick diese Zeit?

Schaller: Es war sicher eine hektische und turbulente Zeit, weil es auch viele mediale Querschüsse gab. Im Team, also mit Präsident, Sportdirektor und Trainerstab, herrschte aber immer eine angenehme Atmosphäre. Es wurde einem ein Rückhalt gegeben, obwohl ein Gegenwind herrschte. Wir haben einiges richtig, aber sicherlich auch manches falsch gemacht. Es war leider sehr viel Politik im Spiel. Man konnte nicht immer seine Intentionen durchsetzen, wie man wollte, weil man andere Interessen berücksichtigen und dadurch Kompromisse machen musste, die man eigentlich nicht für richtig hielt. Es ist schwierig, ein Gesamtkonzept in Österreich zu erstellen, weil die Landespräsidenten ihre eigenen Interessen haben und das nicht immer kompatibel mit den Gesamtinteressen des ÖTV ist. Diesen Föderalismus kennt man aus der Politik. Im Nachhinein betrachtet war es für mich eine gute Schule, weil man viel lernt – auch, wie man in einem Verband arbeitet und kennenlernt, was es heißt, in solchen Strukturen zu stecken. Es ist immer relativ leicht von außen zu kritisieren, wenn man nicht weiß, auf welcher Basis manche Entscheidungen getroffen werden. Für Außenstehende ist das oft schwer nachvollziehbar.

LAOLA1: Was hättest du heute anders gemacht bzw. wo sind Fehler passiert?

Schaller: Zu Beginn haben wir uns nur auf die Südstadt und die eigenen Spieler konzentriert. Wir haben uns erst später geöffnet und gesehen, dass beides seine Berechtigung hat, also auch andere Spieler unterstützt werden sollen. Österreich ist ein kleines Land und wenn wir Talente haben, die nicht in die Südstadt wollen, sollen diese auch gefördert werden. Auf der anderen Seite muss es ein Geben und ein Nehmen sein. Diese Leute können nicht nur das Geld nehmen, sondern müssen auch kooperativ sein. Der erste Fehler war, dass man anfangs nur die Südstadt gefördert hat und der zweite Fehler war, dass man bei den externen Förderungen nicht hart blieb, wie ich es ursprünglich gefordert hatte. Die Richtlinien sind immer mehr aufgeweicht worden. Und da bricht dann irgendwann das System einmal zusammen. Das System muss durchsichtig, fair und für alle gleich sein.

LAOLA1: Zum Ende deiner Ära begann auch schon die Streitigkeit zwischen der Familie Thiem und dem ÖTV.

Schaller: Richtig. Es gab schon zu meiner Zeit immer wieder Angebote finanzieller Natur, die aber abgelehnt wurden. Es war immer schon ein leidiges Thema und ist es leider immer noch. Es ist schade, weil Dominic gerne im Davis Cup spielen würde. Ich habe auch schon mit anderen Leuten im Team gesprochen und die sind über diese Diskussion natürlich auch nicht glücklich. Wenn man Dominic Extra-Geld gibt, verärgert man die anderen Spieler.

LAOLA1: Vor allem als Davis-Cup-Kapitän sitzt man in dieser Situation zwischen den Stühlen.

Schaller: Der Vorteil von Stefan Koubek ist, dass er Günter Bresnik sehr gut kennt und eine andere Gesprächsbasis hat, als die meisten anderen. Es ist aber natürlich keine leichte Situation. Über kurz oder lang führt für Dominic aber sowieso kein Weg vorbei, im Davis Cup zu spielen. Alles andere wäre für ihn karriereschädlich.