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Brändle über fliegende Radfahrer, Klassiker & Stürze

Brändle über fliegende Radfahrer, Klassiker & Stürze

Klassiker sind keine einfachen Rennen und Radsportler hart im Nehmen - diese Erkenntnisse sind durchaus nicht neu.

Wenn allerdings Profis samt Rennrädern in Straßengräben geweht werden und einige sogar im Wasser landen, wo sie ihre Schwimm-Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen, ist eindeutig eine Grenze überschritten.

"Es war wie auf einem Schlachtfeld. Man musste sich gegen den Wind stemmen, hatte Schräglage. Wenn man durch ein Schlagloch nur leicht den Bodenkontakt verlor, hat es einen umgeweht. Man schoss quer über die Straße durch das Feld und hat den Rest umgeräumt", schilderte Mailand-San-Remo-Sieger John Degenkolb (Giant-Alpecin) seine Erlebnisse beim belgischen Halbklassiker Gent-Wevelgem.

Fahrer fliegen einfach umher

Auch der Österreicher Matthias Brändle in Diensten des IAM-Teams sah das ähnlich: "Es waren schon sehr extreme Bedingungen. Wenn die Fahrer einfach umherfliegen, ohne einen Fehler zu machen, nur aufgrund des Windes, dann sind die Verhältnisse meiner Meinung nach überschritten. Die Veranstalter haben es dennoch durchgezogen. Mir war es nach 90 Kilometern zu gefährlich, ich hab zu viele Stürze gesehen, bin selbst hingefallen und habe dann gesagt, die sollen ihr eigenes Rennen fahren, ich hab für heute genug."

Doch weder Orkane noch Schneestürme überzeugen moderne Radrenn-Organisatoren heutzutage davon, die Sicherheit der Fahrer über das Spektakel zu stellen und ein Rennen zum Wohle der Protagonisten abzubrechen.

"Zwischenzeitlich hätte man zumindest das Rennen neutralisieren sollen oder es 90 km später starten, da ist der Wind auch etwas weniger geworden. Davor war es meiner Meinung nach zu extrem", findet Brändle im Gespräch mit LAOLA1.

Flandern steht vor der Tür

Immerhin, wenn am Ostermontag die 99. Ausgabe der Flandern-Rundfahrt ausgetragen wird, soll das Wetter besser werden.

Das ist gut, denn 2015 führt das ohnehin schon sehr schwere "Radsport-Monument" über 19 statt wie im Vorjahr 17 Anstiege.

Brändle, der am Donnerstag für den verletzten Franzosen Jerome Pineau kurzfristig ins Aufgebot seines Teams gerückt ist, freut sich auf seine Premieren-Teilnahme. "Die Flandern-Rundfahrt ist neben Paris-Roubaix eines der größten Eintagesrennen. Ich bin schon sehr gespannt, wie es wird", erklärt er kurz nach seiner Landung in Brüssel.

"Ich konnte nur noch reinfahren"

Neben den 19 "Hellingen" gibt es sechs große Kopfsteinpflaster-Passagen, die den Fahrern Respekt einjagen. "Kopfsteinpflaster liegen mir schon, aber es sind einfach sehr gefährliche Rennen. Da ist es wichtig, dass man sich in einer guten Position befindet, weil sehr viele Stürze passieren", so Brändle, der selbst in den Massensturz beim E3 Harebelke verwickelt war.

"Es war Kopfsteinpflaster, es war rutschig, vor mir waren einige Fahrer gestürzt und ich konnte nur noch reinfahren. Dabei habe ich mir das Fußgelenk ein wenig überdehnt, aber das ist schon fast wieder gut. Zudem habe ich mir einige Prellungen geholt. Es ist gefährlich, aber das gehört zu den Klassikern dazu."

Offen wie nie

Wer heuer gewinnt, ist offen wie nie - immerhin fehlen mit Fabian Cancellara (Wirbelbruch bei einem Sturz beim E3 Harelbeke) und Tom Boonen (Ellenbogenbruch nach Sturz bei Paris-Nizza) zwei Dreifach-Sieger der "Ronde" und auch Edvald Boasson Hagen ist nach seinem Sturz bei Gent-Welvegem (Schlüsselbeinbruch) nicht dabei.

"Es sind viele gute Fahrer am Start und der Sieger ist auf jeden Fall ein sehr kompletter Rennfahrer und muss in Topform sein. Ich denke, vom Quick-Step-Team kann jeder gewinnen und mein großer Favorit ist Geraint Thomas vom Sky-Team, der ist in den letzten Tagen sehr gut gefahren. Aber auch Greg von Avermat von BMC oder Sep Vanmarcke von Lotto – es gibt einige gute Fahrer, die Sonntag gewinnen können. Es ist viel offener als in den letzten Jahren."

Kindheitstraum geht in Erfüllung

Mit seiner eigenen Form ist der Oman-Rundfahrt-Etappensieger zufrieden. "Ich bin auf einem höheren Niveau als im letzten Jahr, das ist immer mein Ziel, jedes Jahr einen Schritt nach vorne zu machen. Klar, zu den besten fehlt schon noch was, aber mit ein bisschen Glück und der richtigen Gruppe ist bei so einem Rennen immer was möglich", so der Vorarlberger, für den die Teilnahme etwas ganz Besonderes ist.

"Flandern und Roubaix sind einfach die größten Rennen. Wenn ich mir zwei Siege aussuchen dürfte, würde ich diese beiden Rennen wählen. Da herrscht bei mir große Vorfreude auf die Rennen, die ich mir früher immer im Fernsehen angeschaut habe", sagt der ehemalige Stundenweltrekordhalter (51,852 km), dessen Bestmarke inzwischen vom Australier Rohan Dennis (52,491 km) geknackt wurde.

"Ich habe gewusst, dass er gebrochen wird", ist der 25-Jährige darüber nicht enttäuscht. "Ich war nicht mehr in Top-Form, aber es war eine super Werbung und hat mir sehr weitergeholfen, also hätte es keinen besseren Moment geben können".

Selbstvertrauen gestiegen

Man merkt ihm noch immer die Freude über diesen besonderen Triumph an. "Es war ein sehr schöner Erfolg und er hat mir auf jeden Fall dabei geholfen, bekannter zu werden. Man merkt das bei den Rennen und bekommt auch mehr Respekt von den anderen Fahrern."

"Es hat mir aber auch in anderer Hinsicht geholfen, ich habe nun das Selbstvertrauen, vor einem Rennen zu sagen, ich kann heute gewinnen. Vor dem Stundenweltrekord musste ich viele Interviews geben und immer sagen, dass ich es schaffen kann. Da lastet schon ein gewisser Druck auf einem", beschreibt Brändle.

Eine Woche nach der Flandern-Rundfahrt startet er also bei Paris-Roubaix, wieder eine Woche darauf steht das Amstel Gold Race an. "Danach werde ich mal fünf, sechs Wochen Rennpause einlegen, in der es vielleicht ein Höhentrainingslager geben wird. Anschließend werde ich die Dauphiné fahren. Wenn ich mich gut gezeigt habe und die Mannschaft zufrieden ist, dann geht es zur Tour de France...".

 

Henriette Werner