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Debütant Preidler: "Es ist ein Kampf ums Überleben"

Debütant Preidler:

Die Stimme ist heiser und leise, der Tonfall klingt besorgt.

„Ich kämpfe leider mit einer Verkühlung, daher ist die Stimme lädiert“, erklärt Georg Preidler, als ihn LAOLA1 am zweiten Ruhetag der Tour de France erreicht.

Der Steirer liegt gerade am Massagetisch und bekommt die Strapazen der letzten zwei Wochen aus den Beinen geknetet – soweit das nach 2.654,8 abgespulten Kilometern noch möglich ist.

Der Kampf ums Überleben

„Den Ruhetag brauche ich auf jeden Fall“, hört man ihm die Erschöpfung förmlich an. „Momentan ist es ein Kampf ums Überleben“, macht der Debütant keinen Hehl daraus, dass er seinem Leistungslimit gefährlich nahe kommt. „Ich denke man hört, dass es mir nicht gut geht. Ich bin wirklich kaputt.“

Der Stress der Tour bedeutet für den Giant-Alpecin-Profi Neuland. Zwar war er 2013 bei der Vuelta a Espana am Start und hat auch den Giro d’Italia aus dem Vorjahr in den Beinen, doch eine Tour de France ist nicht von ungefähr mit keinem anderen Radrennen der Welt vergleichbar.

„Ich hätte nicht erwartet, dass der Stress im Feld so extrem ist. Alle sind permanent nervös, bisher wurde noch keine einzige Etappe langsam gefahren“, erzählt er von seinen Erlebnissen. Hinzu kommt die drückende Hitze, die es „enorm schwer macht“.

Als wären diese Komponenten nicht schon Belastung genug, musste „Preidi“ auch noch zwei Stürze wegstecken. Einmal wäre er zu verhindern gewesen, meint er, der zweite passierte auf nasser Straße – der ÖRV-Profi war chancenlos.

Er selbst habe zum Glück noch keine derartigen Erfahrungen mit Zuschauern gemacht, sieht in ihnen aber auch Fluch und Segen zugleich. Preidler bezeichnet sie als „Wahnsinn“ im positiven Sinne. „So etwas wie hier habe ich noch bei keinem anderen Radrennen erlebt.“

Fans haben wenig Verständnis

Eben jene Millionen Velo-Interessierten, die so euphorisch und lautstark jubeln, werden allerdings auch hin und wieder zum Problem – wenn sie zu aufdringlich werden. „Natürlich wollen sie immer etwas – ob nun Autogramme oder Trinkflaschen“, erklärt Preidler.

„Wir sind aber hier oft am Limit und müde, sodass man auch mal einfach nur abschalten und mit niemandem etwas zu tun haben will.“ Verständnis dafür bringen die wenigsten auf, sind sie doch selbst häufig nur einen Tag mit dabei und wollen möglichst viel „abstauben“.

Umso glücklicher ist der 25-Jährige, dass er zumindest am Ruhetag auch wirklich seine Ruhe hat. „Für Leute mit vielen Interviewterminen ist es natürlich etwas anderes, aber für mich verläuft es ganz entspannt.“

Diese kurze Auszeit hat er auch bitter nötig, denn in den kommenden Tagen geht es Schlag auf Schlag. Dann kann er sich keine Ruhephasen mehr leisten.


Christoph Nister

 

"Viel Substanz gekostet"

Nichtsdestotrotz setzte sich Preidler in Szene, als er auf der zwölften Etappe mit Bergankunft am Plateau de Beille ausriss und Werbung in eigener Sache machte. Ein Hungerast sowie ein Bienenstich verhinderten, dass er schlussendlich auch in den Kampf um den Tagessieg eingreifen konnte. Von Reue ist jedoch keine Spur.

„Ich würde jetzt allerdings erst zwei, drei Tage später versuchen, in eine Fluchtgruppe zu gehen“, gesteht er. Tags darauf musste er wertvolle Helferdienste für seinen Kapitän John Degenkolb leisten, was an seinen Kräften zehrte. „Das hat enorm viel Substanz gekostet.“

Mit seiner Leistung bislang ist er zufrieden, in den nächsten vier Tagen stehen allerdings noch zahlreiche Alpen-Riesen, darunter der legendäre Anstieg nach Alpe d’Huez, auf dem Programm. Dann wird auch in puncto Gesamtklassement endgültig klar Schiff gemacht.

"Absolut das Letzte"

Für den Steirer scheint es allerdings schon jetzt keinen Zweifel daran zu geben, wer am Ende im Gelben Trikot auf die Pariser Avenue des Champs-Élysées pedalieren wird. „Es kann zwar immer etwas passieren, aber ich sehe Chris Froome als Sieger.“

Der Brite führt aktuell mit mehr als drei Minuten Vorsprung auf Nairo Quintana und bekommt – wie auch seine Sky-Teamkollegen – nicht nur Gegenliebe zu spüren. Der 30-Jährige wurde mit Urin beworfen, Richie Porte bespuckt und geschlagen.

„Das ist absolut das Letzte“, zeigt Preidler überhaupt kein Verständnis für solche Aktionen vermeintlicher Fans. Leute, die dem Radsport nichts abgewinnen können, „sollen lieber zuhause bleiben. Sie müssen sich die Rennen ja nicht anschauen.“ 

 

Einfach mal danke sagen

Im britischen Rennstall wird schon vom „Fußball-Mob“ (Sir Dave Brailsford) gesprochen, die Angst vor Hooligans geht um. Der rot-weiß-rote Tour-Neuling glaubt allerdings nicht daran, dass derart dumme Aktionen in Mode kommen könnten.

„Das radsportbegeisterte Publikum ist ganz anders als in anderen Sportarten. Alle, die am Streckenrand stehen, warten für gewöhnlich stundenlang, um uns kurz vorbeifahren zu sehen.“ Diese Leidensfähigkeit und Treue macht für ihn auch eine besondere Faszination seines Sports aus.

„Es gibt hier einen 92-jährigen Belgier, der im Gruppetto (abgeschlagene Gruppe, die ums Zeitlimit kämpft, Anm.) immer Cola verteilt. Bei solchen Leuten denkt man sich oft, dass man während des Rennens stehen bleiben sollte, um sich für die Unterstützung zu bedanken.“

Ein Top-Lokalmatador fehlt

Die fehlende Anerkennung Froomes von Seiten des Tour-Publikums ortet der Zeitfahr-Meister im Gegensatz zu vielen anderen nicht in dessen Dominanz, die oftmals mit jener Lance Armstrongs verglichen wird, sondern in seiner Herkunft.

„Ich glaube, das liegt am Stolz der Franzosen“, hält er fest. „Hauptsächlich französische Fans buhen und sprechen schlecht über ihn. Würde ein Lokalmatador führen, gäbe es diese Vorfälle nicht.“