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Froomes Ausgeglichenheit bringt ihm den Tour-Sieg

Froomes Ausgeglichenheit bringt ihm den Tour-Sieg

Tick, tack, tick, tack.

Alle haben auf die Uhr geschaut und sich gefragt: Reicht es oder reicht es nicht?

Nairo Quintana hatte noch einmal alles in die Waagschale geworfen und auf der vorletzten Etappe der 102. Tour de France mit Bergankunft in Alpe d'Huez mehrfach attackiert.

Sein vierter Versuch am Schlussanstieg brachte ihm schließlich den erwünschten Erfolg, er löste sich von seinem schärfsten Widersacher, dem Gesamtführenden Chris Froome.

Dieser wankte, unterstützt von seinen Teamkollegen rettete er sich aber als Tages-Fünfter (Sieger: Thibaut Pinot) ins Ziel und verteidigte das Gelbe Trikot.

Damit trennen den 30-jährigen Sky-Kapitän nur noch 109,5 Kilometer von Sèvres nach Paris auf die Avenue des Champs-Élysées, ehe er zum zweiten Mal nach 2013 als Tour-Sieger feststeht.

LAOLA1 rollt die alles entscheidende Bergetappe noch einmal auf. Das sind die fünf Lehren des Alpen-Krimis:

Froome ist nicht unschlagbar

30 Sekunden auf dem Weg nach La Toussuire, sogar 80 hoch nach Alpe d'Huez. Chris Froome, in den ersten zweieinhalb Tour-Wochen unantastbar, wurde abwertend bereits als "Maschine" bezeichnet, hat zuletzt jedoch ordentlich "gemenschelt".

Der Brite, in dieser Tour bespuckt, beleidigt, beschuldigt und mit Urin beworfen, erwies sich als durchaus angreifbar, war insgesamt jedoch bei der 102. "Grande Boucle" der stärkste Fahrer im Peloton.

Vor allem dort, wo man es ihm am wenigsten zutraute - am Pavés (Kopfsteinpflaster), bei starkem Wind und in Abfahrten - leistete sich der gebürtige Kenianer nicht den Hauch einer Schwäche, während die Konkurrenz um Nairo Quintana, Alejandro Valverde, Vincenzo Nibali oder auch Alberto Contador des Öfteren Federn lassen musste.

Was auffällt: Es gibt frappierende Parallelen zu 2013. Dort legte Froome den Grundstein ebenfalls schon vor dem letzten Ruhetag und zeigte dann leichte Ermüdungserscheingungen gegen Ende der Rundfahrt. Auch vor zwei Jahren büßte er in Alpe d'Huez Zeit auf Quintana ein.

(Nur) Gemeinsam sind sie stark

Radsport ist ein Teamsport, wie die 20. Etappe wieder einmal eindrucksvoll illustrierte. Auf der einen Seite Movistar mit Nairo Quintana, auf der anderen Team Sky mit Chris Froome.

Der Kolumbianer konnte auf die Unterstützung durch Alejandro Valverde, seines Zeichens Gesamt-Dritter, bauen und wurde von diesem am Col de la Croix de Fer wie auch nach Alpe d'Huez mehrere Kilometer unterstützt.

Hinzu kam Winner Anacona, der sich vor dem Schlussanstieg von den Favoriten absetzte, um schließlich als Relaisstation auf den letzten Kilometern für seinen Kapitän zu schuften. Es war eindrucksvoll, wie der 26-Jährige für seinen Landsmann Tempo machte und sich für diesen aufopferte.

Dasselbe Bild nur wenige hundert Meter dahinter. Richie Porte und Wout Poels erwischten jeweils einen Sahnetag, während Froome - auf zugegeben hohem Niveau - schwächelte. Der Australier und der Niederländer hielten das Tempo hoch, aber nie zu hoch, damit der Brite ihr Hinterrad gerade noch halten konnte.

Erst als sie ihre Akkus komplett entladen und ihre Kraftreserven aufgebraucht hatten, musste Froome selbst sein Tempo gestalten. Ohne die beiden wäre der Vorsprung, den er auf Quintana hatte, noch deutlich schneller geschmolzen.

Karma is a bitch

Die Worte, die Chris Froome ihm nach der 19. Etappe hinter den Kulissen der Siegerehrung flüsterte, waren derart deutlich, dass Tagessieger Vincenzo Nibali sie nicht wiedergeben wollte. Der Italiener hatte im Anstieg zum Col de la Croix de Fer just in jenem Moment attackiert, als der Brite einen Defekt hatte.

Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass der Mann in Gelb in einer solchen Situation nicht attackiert werden darf. Entsprechend sauer war Froome, wenngleich Nibali keinen direkten Zusammenhang zwischen dessen mechanischem Problem und seinem Angriff ausmachen wollte.

Das Schicksal bestrafte den Italiener dennoch, denn unmittelbar vor Beginn des Anstiegs nach Alpe d'Huez wurde der Vorjahressieger von einem Defekt gestoppt, verlor den Anschluss an die Spitzengruppe und konnte diesen auf den folgenden 13,8 Kilometern nicht wiederherstellen.

Umso bitterer für Nibali, der sich nach seinem Parforceritt am Vortag berechtigte Hoffnungen auf den dritten Gesamtrang machen durfte. So blieb dem "Hai von Messina" zwar die Freude über einen Tagessieg, in Paris bleibt ihm jedoch - vorausgesetzt, es passiert nichts Unvorhersehbares - ein Platz am Stockerl verwehrt.

"Abteilung Attacke" kommt zu spät

Über mehrere Tage hinweg kündigte Nairo Quintana an, alles ihm Mögliche zu tun, um Froome in Bedrängnis zu bringen. Letztendlich hat er das jedoch nur an zwei Tagen - am Freitag und am Samstag - auch tatsächlich in die Tat umgesetzt. Ob er mit einem früheren Angriff reüssiert hätte, bleibt ungewiss. Fest steht: Seine Attacken in Alpen haben gefruchtet, aber nicht zur Wende gereicht.

Der 25-Jährige war am Ende dieser "Großen Schleife" der stärkste Kletterer, leistete sich jedoch davor den einen oder anderen Patzer zu viel. Etwas mehr als eine Minute kassierte er in La Pierre-Saint-Martin, drei Sekunden im Teamzeitfahren, elf weitere an der Mur de Huy.

Verluste, die allesamt verschmerzbar gewesen wären, hätte die kolumbianische Bergziege nicht schon am zweiten Tag auf dem Weg nach Zeeland in den Niederlanden aufgrund einer Windkante 1:28 Minuten Rückstand aufgebrummt bekommen.

"Alleine gegen den Wind, das hat mich die Tour gekostet", resümierte Quintana nach seinem Alles-oder-nichts-Versuch auf den 21 Kehren nach Alpe d'Huez. Am Ende bleibt ihm immerhin sein zweiter zweiter Platz nach 2013. "Ich bin damit zufrieden", erklärte er. Ganz glauben wollte man ihm seine Worte jedoch nicht.

Ende gut, alles gut

Es sah richtig düster aus für die im Vorjahr so erfolgsverwöhnte "Grande Nation". Die Franzosen, seit 1985 (Bernard Hinault) auf einen Tour-Sieger wartend, hatten große Hoffnungen in ihre Aushängeschilder gesetzt, wurden jedoch in der ersten Tour-Hälfte bitter enttäuscht.

Jean-Christophe Péraud (Vorjahres-Zweiter), Thibaut Pinot (Dritter) und Romain Bardet (Sechster) zogen aus, um ihr Heimatland stolz zu machen, fingen sich jedoch schon in den ersten Tagen ein paar heftige "Watschn" in Form von großen Zeitrückständen ein.

In ihrer Ehre gekränkt, erwiesen sich die Lokalmatadoren in Folge als wahre Kämpfer. Der 38-jährige Péraud stürzte schwer, setzte die Tour aber trotz unerträglicher Schmerzen fort, wenngleich er keine Akzente mehr setzen konnte.

Anders die beiden Youngster. Der 24-jährige Bardet gewann die Alpenetappe nach Saint-Jean-de-Maurienne und fightete bis zuletzt um das Bergtrikot, während der 25-jährige Pinot sich im Radsport-Mekka Alpe d'Huez die Krone aufsetzte. Die Ehre der Gastgeber ist damit wiederhergestellt.


Christoph Nister