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Einseitig oder gerecht? "Böser" Radsport, "guter" Pep

Einseitig oder gerecht?

Man stelle sich vor, der FC Bayern gewinnt das Triple und die deutschen Medien nehmen kaum davon Notiz. Sie verzichten auf Live-Berichterstattung im TV und schenken den Erfolgen des Klubs in Print- und Onlinemedien maximal geringfügig Aufmerksamkeit.

So ähnlich ergeht es derzeit Marcel Kittel, André Greipel und Tony Martin. Sie zählen zu den Hauptdarstellern des größten jährlichen Sportevents, der Tour de France. Wirklich kümmern tut das in Deutschland kaum jemanden.

Der Radsport, in den 90er Jahren und Anfang des neuen Jahrtausends Liebkind unserer Nachbarn, hat inzwischen längst das Image des schwarzen Schafes in der Sportberichterstattung. Zu viele Skandale, zu viele Doper, zu wenig Quote.

Vom Liebkind zum Stiefkind

Viele Gazetten verzichteten darauf, Reporter nach Frankreich zu entsenden, um Informationen aus erster Hand zu erhalten. ARD und ZDF haben sich gar mit Ende der Tour 2011 entschieden, auf Live-Übertragungen fortan zu verzichten. Jene Sender, die den Sport über Jahre hinweg als Leuchtturm ihrer Berichterstattung priesen. Fernsehanstalten, die sich nur allzu gern damit rühmten, den Zuschauern vor den Bildschirmen Stars wie Jan Ullrich oder Erik Zabel präsentieren zu dürfen.

Marcel Titel? Die ARD und der Radsport - das passt nicht mehr zusammen

Im Fall der ARD sogar jener Sender, dessen Logo als Sponsor des Telekom-Rennstalls vom Trikot der Fahrer prangte. Inzwischen bleibt bei den Öffentlich-Rechtlichen die Mattscheibe schwarz, während die Tour läuft. Oder besser gesagt: Sie zeigen Telenovelas und Kochshows anstatt historischer Erfolge der deutschen Pedalritter.

Fünf Etappensiege haben diese bereits errungen, womit auf den deutschen Allzeit-Rekord von 1977 nur noch einer fehlt. Die Quote ist ohnedies einmalig – fünf aus 13. Knapp 40 Prozent aller Etappen endeten mit dem Sieg eines für den Bund Deutscher Radfahrer startenden Profis.

ARD und ZDF ohne Interesse

An der Einstellung der Sender ändert das freilich wenig, eine Rückkehr in die Live-Berichterstattung scheint auf absehbare Zeit ausgeschlossen. „Diese Frage stellt sich derzeit nicht“, zitiert die „Saarbrücker Zeitung“ ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky.

Auch sein Pendant im ZDF, Dieter Gruschwitz, macht den Rad-Fans wenig Hoffnung auf Besserung. Es sei „schwer vorstellbar“, das bedeutendste Radrennen der Welt in naher Zukunft wieder ins Portfolio aufzunehmen. „Ich weiß nicht, ob und wann die Glaubwürdigkeit im Radsport überhaupt wiederhergestellt wird.“

Nun ist es so, dass die Kredibilität in den letzten Jahren wahrlich nicht die Stärke der Velo-Szene war. Unzählige Dopingskandale erschütterten die Sportart bis ins Mark und sorgten – vor allem – im deutschsprachigen Raum dafür, dass das Image nachhaltig geschädigt wurde.

Lieber Triathlon und Leichtathletik

Was viele allerdings nicht zur Kenntnis nehmen (wollen): Der Radsport stellt sich dem Thema Doping. Die Anzahl der Kontrollen im Verhältnis zur Anzahl der Profis ist weltweit führend, als eine von nur ganz wenigen Sportarten will man Sündern mithilfe des Blutpasses auf die Schliche kommen.

Kontrollen zu jeder Tages- und Nachtzeit stehen an der Tagesordnung – davon wird jedoch kaum berichtet, stattdessen fällt man über den Radsport her, wenn wieder einmal ein Profi positiv getestet wird.

ARD und ZDF, bereits 2007 nach Bekanntwerden des Dopingfalles Patrik Sinkewitz kurzfristig aus der Tour-Berichterstattung ausgestiegen, ließen den vom Quoten-Zugpferd zum Quoten-Flop mutierten Radsport fallen. Anstatt die Tour zu zeigen, setzte man fortan auf vermeintlich „saubere“ Sportarten wie Triathlon oder Leichtathletik.

Ein genauer Blick würde sich lohnen

Und natürlich auf König Fußball. Dabei schreckt man auch nicht davor zurück, zahlreiche nicht-sportinteressierte Seher zu erzürnen, nur um für kolportierte 54 Millionen Euro pro Saison 18 Spiele der UEFA Champions League zeigen zu können. Bei Misserfolg der Bundesliga-Klubs und/oder ungünstiger Auslosung nimmt man sogar in Kauf, Spiele ohne deutsche Beteiligung auszustrahlen.

Einseitig ist zudem die Art und Weise der Berichterstattung. Während man große Teile der Tour-Übertragungen in den letzten Jahren dafür nutzte, das Thema Doping in sämtliche Einzelteile zu zerpflücken, wird dieses im Fußball nicht einmal ansatzweise erörtert.

Dabei würde sich ein genauerer Blick durchaus lohnen. Die Operacion Puerto, 2006 kurz vor Beginn der 93. Frankreich-Rundfahrt publik geworden, gilt vielerorts als Auslöser für die Krise des Radsports im deutschsprachigen Raum. Jan Ullrich, Ivan Basso, Joseba Beloki und rund 50 weitere Radprofis wurden aufgrund ihrer Verwicklung in selbige medial zerrissen.

Pep und der spanische Gynäkologe

Drahtzieher hinter dieser Dopingaffäre war ein gewisser Eufemiano Fuentes, der kürzlich zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Jener spanische Gynäkologe dürfte auch Pep Guardiola, dem Liebling aller Spanier und seit seinem Wechsel zum FC Bayern auch vieler Deutscher, bestens bekannt sein.

Der Mediziner betreute jahrelang den FC Barcelona, für den Guardiola von 1990 bis 2001 als Spieler die Schuhe schnürte sowie von 2007 bis 2013 als Trainer tätig war. Davon erfährt man jedoch in den Medien wenig bis gar nichts.

Auch nicht von einer positiven Dopingprobe, die Galionsfigur Pep 2001 – beim italienischen Erstligisten Brescia kickend – ablieferte. Jahre später boxten ihn gefinkelte Anwälte aus der Nummer raus. Guardiola wurde jedoch nicht etwa aufgrund erwiesener Unschuld freigesprochen, sondern wegen Verjährung und Verfahrensfehlern.

Mit dem Radsport kann man's machen

Die Medien wissen, dass sie es sich nicht erlauben können, den Branchenführer aus München und dessen Star-Trainer in Verruf zu bringen. Auch ist ihnen klar, dass das Thema Doping im Fußball ein besonders heikles ist. Fuentes wurde mit Mord gedroht, als er preisgab, namhafte spanische Klubs unter seinen Fittichen gehabt zu haben.

Bevor sich jemand die Finger verbrennt, wird über solch dunkle Seiten im Fußball geschwiegen. Es ist scheinbar einfacher, sich auf den ohnehin längst am Boden liegenden Radsport zu stürzen.

Dass Kittel, Greipel, Martin und Co. – möglicherweise - unschuldig zum Handkuss kommen und aufgrund von Verfehlungen ihrer Vorgänger in eine Ecke gedrängt werden, spielt dabei keine Rolle. Es geht dabei ja schließlich „nur“ um den Radsport, der kaum noch jemanden kümmert.

 

Christoph Nister