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Tour: Status quo in den Sonderwertungen

Tour: Status quo in den Sonderwertungen

Mehr als zwei Wochen schinden sich die Profis bereits.

In der Wallonie gestartet, machte sich das Peloton auf, um durch die Vogesen und den Jura zu pedalieren. Nach den Alpen-Etappen, die in diesem Jahr weniger spektakulär ausfielen als in den vorangegangenen, wartet nun der zweite Ruhetag.

Auch am Ruhetag wird gearbeitet

An diesem wird jedoch nicht – wie fälschlicherweise häufig vermutet – nichts getan. Der Körper will in Schwung gehalten bleiben, die Muskulatur darf erst gar nicht den Eindruck bekommen, sich entspannen zu können.

So gehören zwei- bis dreistündige Ausfahrten in einem durchaus hohen Tempo zur Tagesordnung. Der Rest des Tages ist mit Massage, Interviews und Teambesprechungen prall gefüllt, da bleibt selbst für die Familie nur wenig Zeit.

Pyrenäen sind der Scharfrichter

Und dann gilt es natürlich, sich bereits auf die Pyrenäen vorzubereiten. Diese fungieren als Scharfrichter, was den Kampf um das Gelbe Trikot betrifft.

Doch nicht nur das „Maillot Jaune“ ist heiß umkämpft, mit Ausnahme einer Kategorie steht jede Sonderwertung noch unter besonderer Beobachtung. Ein Überblick:

 

GESAMTWERTUNG

Zwischenstand:

  • Leader: Bradley Wiggins (SKY)
  • Platz 2: Chris Froome (SKY) + 2:05 min
  • Platz 3: Vincenzo Nibali (LIQ) + 2:23 min

Es erschien nahezu aussichtslos, die Equipe Sky zu attackieren. Zu stark präsentierte sich das britische Team, dem auch Bernhard Eisel angehört. Speziell Michael Rogers und Richie Porte, die beiden wichtigsten Bergziegen in den Reihen der Truppe, ließen Angriffe immer wieder aufs Neue verblassen und holten die Fahrer – darunter auch Kaliber wie den Italiener Vincenzo Nibali oder Titelverteidiger Cadel Evans (Gesamt-Vierter, + 3:19 min) schier mühelos zurück.

Eine Möglichkeit für die Konkurrenz wäre, eine Allianz zu bilden, um den Sky-Zug zu sprengen und die beiden Klassement-Fahrer Wiggins und Froome zu isolieren. Allerdings ließen die Briten bereits erkennen, im Fall der Fälle Froome zu opfern und diesen für Wiggins arbeiten zu lassen. Dieser ordnet sich zwar unter, scheint aber in seiner Rolle als Edel-Domestike unglücklich zu sein.

„Ich weiß, dass ich fähig bin, die Tour zu gewinnen, aber nicht mit Sky“, gab er gegenüber „L’Equipe“ zu Protokoll. „Unsere Strategie ist auf einen Sieg von Wiggins ausgelegt und alle respektieren das.“ Es sei nicht einfach, gehöre aber zum Beruf. Ein kleines Hintertürchen lässt sich der „weiße Kenianer“, wie er in Anspielung auf sein Geburtsland genannt wird, dennoch offen. Sollte Wiggins Schwächen zeigen, hätte er kein Problem, wie bei der Vuelta 2011 in die Leader-Rolle zu schlüpfen. „Wenn ich das Gefühl habe, dass wir die Tour verlieren könnten,  werde ich Evans oder Nibali folgen, um unsere Chance auf den Tour-Sieg zu wahren.“

 

PUNKTEWERTUNG

Zwischenstand:

  • Leader: Peter Sagan (LIQ) 356 Punkte
  • Platz 2: Andre Greipel (LTB) 254 Punkte
  • Platz 3: Matthew Goss (OGE) 203 Punkte

Titelverteidiger Mark Cavendish musste seine Ambitionen auf ein zweites Grünes Trikot früh ob der Sky-Konzentration in Richtung „Maillot Jaune“ aufgeben. Peter Sagan hingegen bekommt – trotz eines Podestanwärters wie Nibali in den eigenen Reihen – volle Unterstützung seiner Liquigas-Mannschaft und führt das Klassement überlegen an. Inzwischen lautet die einzig verbliebene Challenge: Heil über die Pyrenäen kommen.

„Noch zwei Bergtage, dann glaube ich schon, dass ich Paris im Grünen Trikot erreichen kann“, so der Slowake. Sagan hätte sich den Gewinn dieser Sonderwertung auch redlich verdient angesichts seiner aggressiven Fahrweise, die zahlreiche Ausreißversuche inkludieren. Zudem ist er als dreifacher Etappensieger – gemeinsam mit dem Deutschen Andre Greipel – erfolgreichster Tour-Teilnehmer in diesem Jahr.

Die ersten „Verfolger“ haben bereits aufgesteckt. Greipel verzichtete am Montag, sich Punkte im Zwischensprint zu erkämpfen, um Kräfte zu sparen. Goss hat der Punkteabzug – er wurde nach einem harten Sprint in Annonay von der Jury bestraft und verlor 30 Zähler – den Todesstoß verpasst. „Es ist bitter, durch so eine Aktion um alle Chancen gebracht zu werden“, zeigte sich der Australier „not amused“. Für ihn und seine Equipe Orica-GreenEdge geht es nun nur noch darum, bei der Premieren-Tour zumindest ein Teilstück für sich zu entscheiden.

 

BERGWERTUNG

Zwischenstand:

  • Leader: Fredrik Kessiakoff (AST) 69 Punkte
  • Platz 2: Pierre Rolland (EUC) 55 Punkte
  • Platz 3: Chris Anker Sörensen (STB) 39 Punkte

Wie am ersten Ruhetag darf sich Fredrik Kessiakoff auch am zweiten mit dem rot gepunkteten Jersey schmücken. Der Schwede, der dieses zwischenzeitlich an Thomas Voeckler abgeben musste, ist bestimmt nicht der stärkste Kletterer im Peloton, vielleicht aber der geschickteste. Im Gesamtklassement stellt er keine Gefahr dar, so kann er attackieren, ohne von Sky verfolgt zu werden. So hamsterte er immer wieder Zähler, die ihm die Führung einbrachten.

Sein schärfster Verfolger, Pierre Rolland aus dem Team Europcar, rangiert an neunter Position im Kampf um Gelb und wird von der Konkurrenz mit Argusaugen beobachtet. Erst recht, nachdem er auf der „Reißnägel-Etappe“ einen Ehren-Kodex verletzte und attackierte. Was jedoch für den Franzosen spricht: Im Hochgebirge ist er klar stärker einzuschätzen als sein schwedischer Kollege.

Nur wenige haben Chris Anker Sörensen auf der Rechnung, dagegen favorisieren viele Thomas Voeckler. Der Vorjahres-Vierte scheint seinen Tritt wieder gefunden zu haben und gewann bereits eine Etappe. Zwar hegte er in Interviews keine Ambitionen auf das „polka dot jersey“, jedoch lässt seine Fahrweise anderes vermuten. Der Liebling der Massen sprintete zuweilen sogar um den einen oder anderen Punkt. Kessiakoff sollte den Europcar-Kapitän im Auge behalten.

 

NACHWUCHSWERTUNG

Zwischenstand:

  • Leader: Tejay van Garderen (BMC)
  • Platz 2: Thibaut Pinot (FDJ) + 1:54 min
  • Platz 3: Peter Sagan (LIQ) + 40:35 min

Peter Sagans dritter Rang in dieser Sonderwertung ist zweifellos aller Ehren wert, muss in diesem Fall allerdings vernachlässigt werden. Mit einem Rückstand von mehr als 40 Minuten hat der Allrounder keine Chance auf den Sieg – sofern sich seinen besser klassierten Rivalen nicht der Verletzungsteufel in den Weg stellt.

Nachdem sich auch Rein Taaramae, der in der ersten Woche noch sensationell unterwegs, dann aber viel Zeit einbüßte, und Tony Gallopin, der krankheitsbedingt zum Ausstieg gezwungen war, aus dem Kampf um den Sieg in der Nachwuchswertung verabschiedeten, läuft alles auf den Zweikampf zwischen Tejay van Garderen und Thibaut Pinot hinaus.

Van Garderen hat den Vorteil, der stärkere Zeitfahrer zu sein, Pinot jenen, das gesamte Team im Fall der Fälle hinter sich zu wissen. Das ist beim US-Amerikaner nicht der Fall, da BMC Racing weiter Cadel Evans‘ Kampf um einen Podestplatz die Hauptaufmerksamkeit zukommen lässt. „Ich werde weiter für Cadel kämpfen“, zeigt sich van Garderen dem Australier gegenüber loyal.

 

TEAMWERTUNG

Zwischenstand:

  • Leader: RadioShack-Nissan
  • Platz 2: Sky ProCycling + 12:38 min
  • Platz 3: BMC Racing + 17:46 min

Dieser Sonderwertung wird in der medialen Berichterstattung leider nicht jener Wert beigemessen, der ihr zustünde. Der Radsport ist ein Teamsport, so gesehen ist die Teamwertung ein Ausdruck dessen, wie stark eine Equipe ist. Zwar enttäuscht RadioShack bislang im Einzelklassement – die mit Stars gespickte Truppe hat keinen in den Top-5, doch mit all ihren Einzelkönnern hat sie es geschafft, sich einen komfortablen Zeitpolster zu erarbeiten.

Wer glaubt, Sky würde diesen Sieg einfach so abgeben, der irrt gewaltig. 12:38 min Rückstand erscheinen viel, sind in dieser Kategorie aber verhältnismäßig wenig. Am Montag wollte RadioShack den Vorsprung ausbauen, Fränk Schleck attackierte früh im Rennen, um in eine Fluchtgruppe zu kommen. Doch Sky schob dem Luxemburger gnadenlos einen Riegel vor und ließ ihn nicht ziehen.

„Die RadioShack-Jungs wollten ihr Guthaben ausbauen. Schleck hat es zum Beispiel einige Male versucht, was wir unterbinden mussten“, so Sportdirektor Sean Yates. Die drittplatzierten BMC-Jungs gelten als krasse Außenseiter, fehlt ihnen doch neben Evans und van Garderen ein dritter Top-Kletterer.

 

Christoph Nister