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Bernie Eisel und der ganz normale Giro-Wahnsinn

Bernie Eisel und der ganz normale Giro-Wahnsinn

Er arbeitet für seinen Chef. Er quält sich für ihn und leidet mit ihm. Und tritt dabei von Vormittag bis Nachmittag in die Pedale.

Bernhard Eisel ist der wichtigste Helfer von Weltmeister und Sprint-Superstar Mark Cavendish beim Giro d'Italia - und als Road Captain zudem auch für die Umsetzung der Team-Marschrichtung zuständig.

Also Top-Management, allerdings nicht im gepolsterten Bürosessel sondern am Rennradsattel.

Im LAOLA1-Interview gewährt der Steirer einen Blick hinter die Kulissen der 95. Rundfahrt durch Italien, nimmt uns mit zum Frühstück und in eine Sprint-Entscheidung.

Außerdem spricht er über "Kamikaze-Aktionen", fehlende Disziplin und warum er lieber mit der Freundin als mit Daniel Schorn plaudert.


LAOLA1:
Was kommt vor einer 255 km langen Giro-Etappe auf den Frühstückstisch?

Bernhard Eisel: Wir haben unseren eigenen Chef de Cuisine dabei, der seit Jahren im Radsport tätig ist. Der weiß, was wir brauchen, damit wir dann das Maximum rausholen können. Das kann Porridge (Haferbrei, Anm.) sein oder ein über Nacht angesetztes Müsli. Ich esse meistens auch ein Omelette dazu oder ein Brot mit allem Drum und Dran. Wie man sich einen Sonntagsbrunch vorstellt, nur dass wir das jeden Tag haben.

LAOLA1: Und ein bisschen „dolce vita“ darf mit italienischem Espresso auch sein?

Eisel: Das darf nicht sein, das muss sein. Ein bisschen italienische Kultur gehört auch dazu, außerdem hält Kaffee Radsportler bekanntlich am Leben. Frühstück und Kaffee, dann kann der Tag beginnen.

LAOLA1: Die 11. Etappe beim Giro bedeutet „Bergfest“, im Ziel in Montecatini Terme ist mehr als die Hälfte absolviert. Wie fühlen sich die Beine aktuell an?

Eisel: Sagen wir es einmal so: Es läuft. Aber natürlich spüre ich es, die Stäbchen tun ziemlich weh. Wenn ich an die 6. Etappe zurückdenke, wo ich mit Mark (Cavendish, Anm.) alleine am Ende des Feldes war, da habe ich mir schon gedacht: Ich mag morgen nicht aufstehen, das passiert alles gar nicht. Aber das ist ein Auf und Ab bei einer Rundfahrt.

LAOLA1: Dabei zählt ja für euch vor allem der Sprint, könnte man meinen?

Eisel: Das glauben die Leute, dass wir nur dahin rollen und die letzten 20 Kilometer dann Gas geben. Aber erstens ist es so, dass ich in genau diesen 20 Kilometern so viel Laktat aufbaue, als ob ich den ganzen Tag Vollgas gefahren wäre. Als Sprinter kannst du dich in Wahrheit nie erholen, wenn es bergauf geht, müssen wir auch hinhalten.

LAOLA1: Was überwiegt: Die Freude über die zwei Etappensiege oder der Ärger über die beiden Stürze kurz vor dem Ziel?

Eisel: Schmerzen tut die Kamikaze-Aktion von Ferrari, das war Suizid und hätte noch viel schlimmer ausgehen können. Den Weltmeister stürzen, das Rosa Trikot stürzen und noch fünf, sechs andere Fahrer, das tut schon weh. So etwas muss nicht sein, auch wenn du von einer kleineren italienischen Mannschaft bist und dich präsentieren willst.

LAOLA1: Mancher meint, dass es teilweise sehr chaotisch zugeht im Peloton?

Eisel: Die Disziplin ist wirklich zum Kotzen. Da denkt keiner daran, dass, auch wenn er selbst keine Familie hat, die anderen haben vielleicht eine. Das ist krank, was da teilweise für ein Risiko gegangen und ohne Rücksicht auf Verluste gespurtet wird. Aber da gebe ich auch der UCI die Schuld: So einen Fahrer musst du nach Hause schicken.

LAOLA1: Zahlreiche Top-Stars, zum Beispiel Hushovd und Farrar, haben bereits die Heimreise angetreten. Was wird man von Team Sky und vor allem vom Erfolgs-Duo Eisel/Cavendish in den nächsten Tagen noch zu sehen bekommen?

Eisel: Wir müssen einfach schauen, wie es Cav geht. Am Dienstag ist es ihm nicht so gut gegangen, da war er eher schon zu Hause als im Rennen. Das war ein hartes Stück Arbeit, ihn zu motivieren. Am Freitag haben wir noch eine Flachetappe, die zwar mit nur 121 km hektisch und schnell werden wird, aber da rechnen wir uns schon Chancen aus.

LAOLA1: Bis zum Ruhetag warten inklusive Mittwoch noch fünf Etappen – und dann geht der heurige Giro eigentlich erst richtig los, oder?

Eisel: Bis an den Gardasee sollten wir es eigentlich ohne Probleme schaffen. Dann wird es unmenschlich, vor allem die Etappen am Donnerstag und Freitag mit Alpe di Pampeago und Stelvio.

LAOLA1: Die Veranstalter rühmen sich, dass es härter fast nicht mehr geht. Was sagst du als Fahrer dazu?

Eisel: Die Organisation hat sich verändert, der alte Renndirektor ist gegangen – und der Giro wird sich in den nächsten Jahren auch verändern. Nennen wir es einmal „Altlasten“, die sie jetzt noch erfüllen müssen. Aus Fahrersicht ist es unverständlich: Bei der letztjährigen Tour de France hatten wir eine Etappe, die war 120 km lang mit drei Bergen und Ziel in Alpe d’Huez, das war die spektakulärste Etappe aller Zeiten.

LAOLA1: Und beim Giro?

Eisel: Kein Mensch braucht eine 255 km lange Etappe. Wir verstehen es, wenn es darum geht von A nach B und in die nächste große Stadt zu kommen, die dafür bezahlt. Aber zusätzliche Schleifen und hier noch einmal links abbiegen, das braucht keiner. Wobei ich schon sagen möchte, dass sich in den letzten Jahren viel zum Besseren verändert hat.

LAOLA1: Wie sehr braucht der Giro diese, nennen wir es einmal „Ausflüge“, nach Dänemark, wo der Prolog und die ersten beiden Etappen gefahren wurden?

Eisel: Die Fahrer würden sagen Nein, einfach weil die Transfers ziemlich mühsam sind. Und es ist ja auch nicht UCI-konform, dass wir drei Tage fahren, dann einen Ruhetag haben und dann zwölf Tage durchfahren. Dem lokalen Radsport gibt es natürlich einen Schub, wenn der Giro vorbeikommt. Stell dir vor, was los wäre, wenn fünf Österreicher am Start sind und du Start oder Ziel in Österreich hast.

LAOLA1: Wie ist eigentlich der Kontakt zu den anderen ÖRV-Profis beim Giro?

Eisel: Zum Plaudern bleibt relativ wenig Zeit. Ich habe eigentlich immer etwas zu tun, muss aufpassen oder Cav aus dem Wind halten. Da bleibt nicht so viel Zeit zum Reden. Und wenn wir einmal im gleichen Hotel sind, dann rede ich am Abend lieber mit der Freundin als mit dem Schorn über Radfahren.

LAOLA1: Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Stephan Schwabl