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Und plötzlich war da der Strand...

Und plötzlich war da der Strand...

6. Tagebucheintrag, 26.01.2012: Zum Greifen nah

Schon nach der vorletzten Etappe hat Christian Schiester sein großes Ziel erreicht: Nach 36 Kilometern in tropischer Hitze stürmte der Steirer im vollen Galopp in die Fluten des Pazifiks. Nur noch ein Halbmarathon entlang der Westküste Costa Ricas trennen den Ultraläufer davon, trotz seiner Knieverletzung die Route of Fire zu bewältigen.

Leute, heute war ein guter Tag! Die Schwellung an meinem Knie ist zurückgegangen und ich konnte wieder halbwegs Tempo machen. Im ersten Teil der heutigen Etappe ging es im Zeitintervall je nach Platzierung über eine Sprinteinheit von 11 Kilometern. Rund 20 Athleten starteten vor, bevor dann
ich an der Reihe war. Über Stock und Stein entwickelte sich ein richtiges Rennen mit vielen Überholmanövern. Ich konnte bergauf richtig Gas geben und Läufer um Läufer hinter mir lassen. Außer Atem aber glücklich erreichte ich als Erster das Zwischenziel. Zum ersten Mal seit meiner Verletzung verspürte ich wieder Wettkampf-Feeling, ein super Gefühl!

Danach ging es im Massenstart über ruppige Hügeln in Richtung Küste. Ein letztes Mal tauchten wir tief ein in die dichte Wildnis dieses wunderschönen Landes. Die Natur machte es uns noch einmal richtig schwer. Durch brusthohes, dürres Dickicht ging es bergauf und bergab über steile Hügel. Versteckte Fußschlingen und Wurzeln ließen uns mehrmals Male stolpern. Zwei Zentimeter lange Dornen an Ästen und Sträuchen zerkratzen unsere Arme und Beine.

Unzählige rote Ameisen ließen sich bei jeder Berührung von den Pflanzen fallen und verbissen sich sehr aggressiv in unserer Haut. Jeder ist übersäht mit roten Punkten, entzündeten Kratzern und Moskitostichen. Das Thermometer kletterte heute erstmals deutlich über die 40°C-Marke, die Luftfeuchtigkeit und die stehende Hitze im Buschwerk machten allen zu schaffen.

Von einer Sekunde auf die andere öffnete sich dann der Dschungel und ich stürmte hinaus auf riesige Uferbänke. Bis auf wenige Meter reicht der Urwald an die Küste heran und geht unmittelbar in einen gold-braunen Sandstrand über. Ein kühlende Brise und das Glitzern des Meeres hießen mich willkommen und es gab kein Halten mehr. Noch vor der Ziellinie stürmte ich zum ersten Mal in meinem Leben zügellos hinein in den Pazifik, den ich mir in den vielen qualvollen Stunden der letzten Tage zum großen Ziel gesetzt habe. Der restliche Weg entlang des Strandes war ein reiner Genuss. Als Fünfter erreichte ich das Ziel, das eingebettet in der Bucht eines Naturschutzgebietes liegt.

Das Duell um den Sieg ist auch entschieden: Damon Goerke (AUS) und Roiny Villegas (CRC) lagen nach den ersten 200 Kilometern nur sieben Sekunden (!) auseinander. Heute hat sich der Local Hero Villegas um eine Stunde verlaufen und im Ziel bittere Tränen geweint.

Der feuerrote Sonnenuntergang hat am Abend die Palmenhügel, deren Ausläufer Kette um Kette in den Pazifik ragen, in ein flammendes Licht getaucht – ein Bild für Götter! Ich bin froh trotz Verletzung diese Herausforderung gemeistert zu haben. Das ist der Lohn für die Schmerzen der letzten Tage. Die letzten 22 Kilometer entlang der Küste morgen werden mich mit Sicherheit nicht davon abhalten, die Route of Fire erfolgreich zu bewältigen.

RUN ON

Christian Schiester