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Einradfahren: "Als ob man die Schwerkraft austrickst"

Einradfahren:

Über Stock und Stein springen, von 3.000 Meter hohen Bergen abfahren und elegante Kunststücke vorführen - all das traut sich Stephanie Dietze auf nur einem Rad.

"Einradfahren ist eine besondere Sportart, da man eine gewisse Grenze überwinden muss, um sie zu können", beschreibt Stephanie Dietze ihre außergewöhnliche Sportart. Die 27-Jährige ist unter anderem zweifache Weltmeisterin im Paar-Freestyle und gewann zweimal die Salzkammergut Trophy im Downhill.

Das Besondere: Beim Einradfahren muss man zunächst lernen, sich auf dem Rad durch ständiges, aktives Balancieren überhaupt halten zu können. "Deswegen machen es nicht so viele Leute, aber die, die es machen, verbindet eine gewisse Geduld und ein gewisser Ehrgeiz", sagt die Deutsche, die aus Rodgau in Hessen stammt und von 2006 bis 2010 in Wien gelebt und studiert hat.

Seit 2011 wohnt sie in Berlin und ist als Online Marketing Managerin und freie Journalistin tätig.

Aller Anfang ist schwer

Um das erste Mal einige Meter mit dem Einrad durchgängig fahren zu können, dauert es eine Weile und braucht Geduld.

"Ich habe zwei Wochen jeden Tag eine Stunde geübt und konnte dann recht schnell circa 50 Meter fahren", beschreibt Dietze ihre ersten Versuche mit dem Sportgerät.

Anfängern rät sie vor allem eines: "Nicht aufhören. Am Anfang hat man das Gefühl, dass es gar nicht geht, aber nach einer Weile merkt man, dass es kleine Verbesserungen gibt. Man muss dranbleiben und immer weiter machen, dann braucht man sich immer weniger festhalten und kann bald frei fahren".

Wachsende Sportart

Noch kennt man sich in der stetig wachsenden Einradszene. "Man hilft sich weiter und freut sich, Leute zu treffen, die die gleiche Leidenschaft teilen." Dies geschieht etwa auf den alle zwei Jahre stattfindenen Weltmeisterschaften namens "Unicon". Seit zehn Jahren hat Dietze keine einzige verpasst.

"Einradfahrer, die zu großen Treffen fahren, gibt es mittlerweile circa 2.000. Das heißt aber nicht, dass alle, die Einrad fahren können, dahin kommen. In Deutschland kommen auch einige Hundert zu den deutschen Meisterschaften, in Frankreich ist es ähnlich", schätzt die Deutsche.

Wie sieht es hierzulande aus?

"In Österreich wächst Einradfahren gerade sehr stark. Es gibt einige Vereine, die viele junge Fahrer haben. Gerade in Gegenden wie Bad Goisern gibt es viele Bergeinradfahrer, das bietet sich ja an", spricht sie aus Erfahrung.

In einer Disziplin hält eine Österreicherin sogar den Weltrekord: Im Einrad-Hochsprung. Maria Wegscheider sprang 2012 auf der 16. "Unicon" 0,90 Meter hoch.

Neben den von Dietze ausgeübten Disziplinen, dem Freestyle und dem Bergeinradfahren, "MUni" genannt (Mountain Unicycling), werden auch Teamsportarten auf einem Rad ausgeübt, dazu gehören etwa Einrad-Basketball oder Einrad-Hockey.

Sponsoren gesucht

Pläne für neue Projekte wurde bereits geschmiedet: "Im Juli wollen wir in der Schweiz in den Alpen fahren und im nächsten Jahr möchte ich gerne nach Kanada, wo die nächste Einrad-WM stattfindet. Vorher will ich dort die ganzen Bike-Parks für Mountainbikes fahren. Das ist ein Traum von mir."

Doch wer finanziert das aufwändige Hobby? "Wir suchen gerade nach Sponsoren. Bisher zahlen wir alles aus eigener Tasche, aber langsam kommen wir an unsere Grenzen, da wir immer mehr machen wollen - immer höher hinaus, immer weiter weg und in immer abgelegenere Gebiete. Dazu soll alles professionell fotografiert und gefilmt werden."

Gegen die Angst

Eine Frage, die sich angesichts der waghalsigen Abenteuer stellt: Hat die 27-Jährige denn gar keine Angst?

"Doch, immer. Letzten Sommer waren wir für ein Projekt in den Dolomiten, haben einen 3.000er bestiegen und sind runtergefahren - so hoch war ich noch nie mit dem Einrad. Dort ist es sehr alpin, die Steine sind lose, es gibt viel Geröll. Die Wege sind schmal, rechts geht’s steil nach oben, links steil nach unten und in der Mitte ist so ein 50 Zentimeter breiter Weg. Da muss man sehr aufpassen, dass man sich nicht die Pedale an der Felswand anhaut und entweder das Einrad runterfällt oder man selbst. Da habe ich schon Angst."

Doch sie hat gelernt, was sie sich zutrauen kann und was nicht. Dietze ist vorsichtig: "Wenn es zu schwer wird und das Risiko zu groß ist, schiebe ich lieber."

Faszination Herausforderung

"Während des Fahrens hat man nicht viel Zeit, Angst zu haben, weil man sich so konzentrieren muss", erklärt die 27-Jährige.

Allerdings: "Bevor man aufs Rad steigt, muss man sich schon überwinden, aber das ist genau die Herausforderung, die mich so fasziniert. Ich bin die ganze Zeit konfrontiert mit der Angst, dass ich mir wehtue oder runterfalle und schaffe es jedes Mal, diese zu überwinden."

 

Henriette Werner

Wie alles begann

Wie kommt man dazu, Einrad zu fahren? Bei Stephanie Dietze hat die Leidenschaft schon früh begonnen: "Ich fahre seit fast 20 Jahren. In meinem Heimatdorf hat sich ein Verein gegründet und auf einmal sind alle Mädchen aus dem Dorf Einrad gefahren." Im Gegensatz zu den meisten anderen, die nach einigen Jahren wieder aufhörten, machte sie immer weiter und fuhr zu internationalen Wettkämpfen.

Begonnen hat sie mit Freestyle: "Das ist ein bisschen wie Eiskunstlaufen, man macht Tricks zur Musik und mit Kostümen. Das habe ich jahrelang gemacht und dann hat es mir irgendwann gereicht. Ich wollte auf den vielen Reisen nicht mehr nur die Turnhallen von innen sehen."

Somit verlagerte sie das Ganze einfach nach draußen: "Bei der WM 2009 in Neuseeland sind wir viel übers Land gefahren und waren offroad mit dem Einrad unterwegs. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht und seitdem mache ich es regelmäßig."

Nicht alltäglich

Regelmäßig bedeutet, dass sie zwei-, dreimal die Woche trainiert. Dazu setzt sie sich mit einigen befreundeten Aktiven immer neue Ziele.

"Zuerst haben wir gesagt, wir überqueren die Zugspitze. Als wir das 2010 geschafft hatten, hieß es, wir machen 2011 die Alpenüberquerung. Dann haben wir im letzten Jahr gesagt, wir müssen mal über 3.000 Meter fahren und so steigert sich das immer ein bisschen", beschreibt Dietze ganz locker, was die meisten Menschen für total abwegig halten würden: Einen Berg mit dem Einrad zu meistern.

Dabei schützt sich die Wahl-Berlinerin stets mit einer Ausrüstung aus Helm, Knie- und Schienbeinschonern sowie Handschuhen. Zumindest beim Bergeinradfahren sind diese Schützer auch im Wettkampf vorgeschrieben, beim Freestyle hingegen tragen die Sportler keinen Schutz.

Der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen

In den Bergen ist man auf dem Einrad zwar langsamer als mit dem Mountain Bike, dafür bleibt mehr Zeit, die Landschaft zu genießen. Immer dabei: Pumpe, Flickzeug, Bremsöl, Speichen und ein Ersatzschlauch. "Ein Ersatzrad kann man leider nicht mitnehmen, weil es viel zu schwer ist. Sobald es sehr steil wird, muss man das Rad tragen."

Laut Dietze ist die Verletzungsgefahr beim Einrad geringer als mit dem Fahrrad: "Man fährt langsamer und kann jederzeit in alle Richtungen abspringen. Beim Fallen hat man keinen Lenker vor sich, an dem man sich verletzen kann und landet somit meistens auf den Füßen oder kann sich schnell abrollen". Bisher hat sie außer einem angerissen Band und den obligatorischen Schrammen und blauen Flecken keine gröberen Verletzungen davongetragen.

Auch vom Fahrgefühl unterscheidet sich das Einradfahren vom Fahrradfahren: "Es ist etwas ganz Anderes, weil man sich so fühlt, als ob man die Schwerkraft austrickst. Man kann sich nirgends festhalten und hat keinen starren Rahmen, deshalb muss man es die ganze Zeit ausbalancieren. Das fühlt sich total gut an, weil es einem zu Beginn unmöglich erscheint".