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Der Visionär, der kein Retter sein will

Der Visionär, der kein Retter sein will

Philosoph statt Populist. Visionär statt Schwarzseher. Pionier statt Hinterher-Läufer.

Auch wenn seine Frisur einen anderen Eindruck vermittelt, Toni Innauer gehört nicht zu jenen, die – wie er es ausdrückt – „stromlinienförmig denken“.

Kein Wunder, dass in der sportlichen Depression, ausgelöst durch die Sommerspiele 2012, der Ruf nach dem 54-Jährigen, um als „Retter des heimischen Sports“ einzuspringen, laut ist.

„Das ist derzeit kein Thema für mich“, winkt der Skisprung-Olympia-Sieger von 1980 auch 100 Tage nach der Nullnummer von London ab.

Aufgrund seiner Agentur „Innauer + (f)acts“ sei er voll eingedeckt. Zumal ihn auch das Beispiel seines Trainers Baldur Preiml, der seiner Zeit einen desillusionierenden Sprung in das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Sport wagte, abschreckt.

LAOLA1 traf den langjährigen Nordischen Direktor des ÖSV und bekam in einem ausführlichen Interview einen Einblick in die Sichtweisen des Schanzen-Philosophen.

LAOLA1: Auch wenn Sie aus der nordischen Ecke kommen – wie haben Sie die Pleite bei den Olympischen Sommerspielen miterlebt?

Toni Innauer: Ich habe es mir natürlich angeschaut, weil ich noch irrsinnig gerne Sport schaue, insbesondere die Olympischen Spiele, weil man dort Sportarten sieht, von denen man sonst nicht so viel mitbekommt. „Olympia-Pleite“ -  ich habe das selbst einmal erlebt und weiß, dass wir leistungsmäßig gar nicht so schlecht waren. Ich unterscheide da immer zwischen dem, was an Entwicklung passiert sowie an verwertbarer Leistung dagewesen ist, und dem, was an Erfolg da ist.

LAOLA1: Sie haben Erfolg gesehen?

Innauer: Ich finde, dass sich viele Sportler eigentlich gut geschlagen haben, weil der Druck dort enorm war. Ich kenne das, wenn du der Medaille hinterherrennst und merkst, dass auf einmal eh schon alles gegen einen läuft. Egal ob es die Paddler oder die Beachvolleyballerinnen waren – die haben sich richtig gut geschlagen und sind so auch in den Vordergrund gerückt.

LAOLA1: Wie zum Beispiel Fünfkämpfer Thomas Daniel.

Innauer: Genau, der hat plötzlich eine völlig neue Plattform bekommen. Den hat davor niemand gekannt, für den hat sich niemand interessiert. Dann mache ich mir – als etwas komplizierterer Mensch – Gedanken, dass man auf eine solche Sportart erst einmal hinschauen muss, weil die sehr intelligent gebaut ist. Das ist nämlich eine, wo du zeigen kannst, dass Doping alleine nicht hinreichend ist. Mit beispielsweise dem Pferd beim Reiten oder der Pistole beim Schießen kommen so viele Komponenten zusammen, dass es nicht nur auf Kraft oder Ausdauer ankommt. Thomas Daniels (6. Platz; Anm.) Leistung war sensationell. Er ist über sich hinausgewachsen. Als er gemerkt hat, dass unsere anderen Hoffnungen alle weg sind, hat quasi er die Nation getragen.

Toni Innauer ist Vater von drei Kindern

LAOLA1: Wie haben Sie den Umgang mit den Leistungen in Österreich empfunden?

Innauer: Wenn es einmal so weit ist, hast du eh keine Chance mehr. Als Sportler und Olympisches Komitee musst du dann Schadensbegrenzung betreiben. Ich habe das 2002 als Cheftrainer der Skispringer selber erlebt. Damals hatte ich nach dem Tod vom Alois (Lippburger; Anm.) eine Doppelrolle inne. Wenn du auf der schiefen Ebene bist und du machst letztendlich keine Medaille, dann wird die Argumentation hart. Es will eh niemand mehr hören. Das Schöne bei mir damals war, dass man nicht das Vertrauen in alles verloren hat, sondern dass der Schröcksi (ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel; Anm.) zu mir gesagt hat: Toni, du wirst bei uns Sportdirektor bleiben, solange du willst. Das war das Zeichen, sich das Ganze in Ruhe zu überlegen, die Last auf vielen Schultern zu verteilen, neu durchzustrukturieren und sich neuen Dingen offen zu machen, um festzustellen, dass diese Art, wie wir den Sport betrieben haben, ein veraltetes Modell war. Dort haben wir dann begonnen zu diversifizieren, was letztendlich sehr gut war.

LAOLA1: Kann man das auf den Sommersport umlegen?

Innauer: Der Sommersport sollte merken, dass wir nicht so weit weg waren. Aber da will ich kein Konzept vorgeben. Ich finde, dass sich das ÖOC nicht schlecht verhalten hat. Sie haben gesagt: Wir brauchen jetzt keine großen Zurufe, wir werden versuchen, vernünftige und richtige Schlüsse daraus zu ziehen. Das ÖOC hat bislang auch keinen Zugriff gehabt. Es ist ja kein Sport-Entwickler. Die Arbeit an sich machen die Fachverbände. Das sind die Keimzellen, die für die Leistungsentwicklung verantwortlich sind. Das ÖOC kann nur unterstützen, das Ganze flankieren, aber mehr kann es nicht tun.

LAOLA1: Haben Sie schon für die tägliche Turnstunde unterschrieben?

Innauer: Ja, selbstverständlich. Für mich ist das ein Reflex. Ich habe das davor schon in Kolumnen gefordert.

LAOLA1: Glauben Sie, dass im Zuge der Aktion der täglichen Turnstunde und der dahinter steckenden Problematik ein Prozess in Gang kommt, der dem Land zeigt, dass Sportministerium nicht gleich Sport ist, sondern dass da auch Bildung, Gesundheit, Immigration, Tourismus und vieles mehr mit reinspielt?

Innauer: Ich habe es unterschrieben, weil ich glaube, dass man drüber nachdenken muss, dass sich die Zeiten wirklich geändert haben. Dass man bei allem, was man Kindern in der Schule an Wettbewerbsfähigkeit mitgibt, wissen muss, wenn ich diesen vor 30 Jahren noch als gegebenen Teil übersehe, dass sie dann auch die geistige Konkurrenzfähigkeit und die Art und Weise, wie ein moderner Mensch mit der Welt umgehen muss, nicht mitbekommen. Das muss man vermitteln! Ich würde nicht einmal Turnstunde sagen, sondern Bewegungsstunde, weil es um Bewegung geht und nicht um irgendwelche Abfolgen. Das ist eine Kulturtechnik. Wie man früher gesagt hat, dass sie Englisch lernen müssen, damit sie sich verständigen können, müssen sie heute – weil es nicht mehr gegeben ist – rechtzeitig lernen, ihren Körper so zu bewegen, damit der ein Leben lang ein guter Begleiter ist. Das muss ich jung genug lernen.

LAOLA1: Mit Blick auf den Spitzensport gibt es eine Reihe an Punkten, die seit London kritisiert werden. Sei es das Fördersystem, die Dachverbände oder die Arbeit in den Fachverbänden. Wenn man Ihnen freie Hand lassen würde, wo würden Sie den Hebel ansetzen, um dem österreichischen Sport wieder auf die Sprünge zu helfen?

Innauer: Ich will nicht sagen, dass ich da ein Konzept hätte. Ich habe mich zur Turnstunde geäußert, bin ansonsten beschäftigt genug. Das sind Themen, bei denen man schnell ein paar Schlagworte sagen kann, aber das will ich nicht. Vieles liegt ohnehin auf der Hand. Es ist auch sehr viel diskutiert worden - interessant wird nur, gibt es Entscheidungen? Passiert tatsächlich etwas? Es sind viele kluge Köpfe im österreichischen Sport tätig, die sehr wohl wissen, wo Optimierungen möglich wären. Nur die Frage ist, ist es möglich, dass man das am Ende auch umsetzen kann? Egal um welchen Ansatz es sich dabei handelt – das sind Sachen, bei denen es nicht bloß davon abhängt, dass der ÖOC-Chef oder ein Minister sagt: Wir wollen das. Sondern da geht es viel tiefer hinein in Zusammenhänge. Das ist etwa ähnlich schwierig wie eine Pensions- oder Verwaltungsreform. Das sind Dinge, die über viele Jahre gewachsen sind, wo Arbeitsplätze dranhängen.

LAOLA1: Das heißt, es ist ein gesellschaftliches Problem. Ist Österreich keine Sportnation, sondern mehr ein Kulturland?

Innauer: Österreich ist ein sehr wohlhabendes Land und wir sind alle keine typischen Sportler mehr. Wenn nicht eine riesige Kultur da ist, die dem entgegenhält, wie es etwa der Skisport tut, dann ist Österreich fast zu wohlhabend, um zu sagen: Wir sind ein typisches Leistungssport-Land. Es muss geschickt über eine Kultur aufgebaut werden. Von selber wird es nicht passieren, weil es sehr einfach ist, den leichten Weg zu wählen und nicht den harten über den Leistungssport zu gehen. Auch die Chance, über den Spitzensport sozial aufzusteigen - wie es in vielen anderen Ländern der Fall ist - brauchst du bei uns nicht. Dort stellt der Sport noch eine Riesen-Chance dar.

 

Das Interview führten Peter Rietzler und Reinhold Pühringer

LAOLA1: Es wird immer wieder kritisiert, dass die Turnlehrer nicht ausreichend ausgebildet sind. Es wird angedacht, das Trainerwesen da mit reinzuholen. Macht es Sinn, wenn man den pädagogischen Teil noch dazu macht, damit Trainer künftig in die Schulen gehen, um dort den Turnunterricht zu leiten? Damit das weg von den Schulen und hin zu den Vereinen geht...

Innauer: Da kommen wir in die Diskussion Ganztagsschule oder nicht. Da merkt man, dass sich dort dann einiges lösen würde. Weil dann hätte man die Zeit, die Kinder dort zu beschäftigen. Wie man das dann löst – mit Lehrern oder außenstehenden Trainern – da wäre sicher vieles möglich, weil die Vereine auch Interesse haben würden, dort etwas anzubieten. Im Scouting würden sich Möglichkeiten ergeben. Aber das hängt einfach mit den Modellen zusammen. Da gibt es verschiedenste Lösungen, die man da durchdenken muss und je nach Ort und Gegebenheit, das eine oder andere besser greifen würde. Nur Tatsache ist, dem Menschen, der jetzt in die Schule kommt, muss beigebracht werden, wie er mit seinem Körper umgeht, weil er einfach viel zu viel sitzt.

LAOLA1: Wie müssen die Leute aussehen, die ihnen das beibringen? Sind das die Lehrer, die teilweise die Verantwortung für mögliche Unfälle in der Turnstunde nicht übernehmen wollen?

Innauer: Da könnte man schon Programme schaffen, die ungefährlich genug sind, dass diese die Lehrer auch machen können. Die Ausbildung dafür, um das im Volksschulbereich zu machen, müsste man wohl verfeinern.

LAOLA1: Aber Tatsache ist, dass das in der Volksschule passieren muss, weil dort die Weltmeister und Olympiasieger von morgen gemacht werden?

Innauer: Ich rede da gar nicht vom Weltmeister-Machen. Weil diejenigen, die einmal Weltmeister werden, die machen schon zwischen sechs und zwölf Jahren täglich mehr als nur eine Stunde. Und das kann die Schule alleine sowieso nie übernehmen. Aber es kann sein, dass jemand in der ersten Klasse merkt, dass es ihm Spaß macht und er noch gerne ein wenig mehr machen möchte. Anders würde er vielleicht gar nicht draufkommen. Aber hier geht es mir mehr um das Gesamt-Gesellschaftliche, dass es aus gesundheitspolitischer, sozialpsychologischer Sicht wichtig ist, dass die Kinder lernen, mit ihrem Körper umzugehen. Die Chance dazu haben sie heutzutage in vielen Regionen nicht mehr.