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"Wenn es mir gut geht, renne ich wie ein Hase"

Am 3. Mai 2015 erlebt der einzigartige Wings for Life World Run seine zweite Auflage.

Dabei steht auch heuer wieder der gute Zweck im Vordergrund: Alle Startgelder fließen in die von Red Bull initiierte Wings-for-Life-Stiftung und kommen der weltweiten Rückenmarksforschung zugute. Oder kurzum: „Wir laufen für alle, die nicht laufen können.“

Der österreichische Extremläufer Christian Schiester wird sich ebenfalls wieder, zeitgleich (13 Uhr MEZ) mit Teilnehmern auf sechs Kontinenten, auf die Flucht vor dem Catcher Car begeben. Die Vorbereitung dazu ist im vollen Gange: „Ich bin noch viel unterwegs in nächster Zeit. Ich bin einmal in Chile, dann gehe ich noch ein bisschen in die Sahara trainieren, aber das Highlight ist natürlich der Wings for Life World Run 2015.“

Der 47-jährige Steirer, der bereits Wettrennen durch die Antarktis, die Wüste, den Dschungel und das Himalaya-Gebirge bestritten hat, hofft dabei, dass es diesmal im wahrsten Sinne des Wortes besser läuft als letztes Jahr.

Im LAOLA1-Interview erklärt Schiester, was 2014 schief lief, warum er diesmal nicht in Österreich an den Start geht und warum er gerne als Botschafter fungiert.

LAOLA1: Christian, am 3. Mai steht zum zweiten Mal der Wings for Life World Run auf dem Programm. Dabei startest du heuer ja nicht in Österreich.

Schiester: Stattdessen in Peru. Das wird eine lässige Geschicht. Mich reizt es dort zu laufen, weil für mich der imaginäre Vorjahrssieger eigentlich der Peruaner Remigio Huaman Quispe ist. Ohne dem Österreich-Sieger Ketema nahe treten zu wollen, aber Quispe hat ganz schwierige Verhältnisse gehabt, war am Ende aber trotzdem nur ein paar Meter hinter Ketema. Und das ist etwas, was mich fasziniert hat und als es geheißen hat, der kommt nach Österreich, habe ich mir gedacht, dass ich dann halt bei ihm laufe.

LAOLA1: Du hast die Bedingungen in Peru angesprochen. Inwiefern sind diese dort schwieriger als in St. Pölten?

Schiester: Es ist schon einmal eine andere Tageszeit. Der Start ist mitten in der Früh (Anm.: 6 Uhr Ortszeit), das Klima ist viel spannender als bei uns. Ich werde sehen, wie es dort ist.

LAOLA1: Wie wirst du dein Rennen anlegen?

Schiester: Ich werde wie im Vorjahr versuchen, zwischen 65 und 70 Kilometer zusammenzubringen, dafür müsste ich im Schnitt 15 km/h rennen, das wären vier Minuten pro Kilometer. Was schlussendlich passiert, wird die Tagesform zeigen. Wenn es mir gut geht, renne ich wie ein Hase.

LAOLA1: Inwiefern beeinflusst das Charakteristikum des Rennens, dass dir die Ziellinie im Rücken näher kommt, deine Renntaktik?

Schiester: Das ändert nichts. Für mich geht es darum, bis zum letzten Tropfen Blut zu laufen und für mich selber in das Ganze einzutauchen. Die ganzen Taktiken und Strategien überlasse ich den anderen. Das bin ich einfach nicht. Ich halte mir auch immer eine gewisse Dummheit heilig. Es wäre falsch bzw. es ist nicht mein Stil, herzugehen und irgendwelche genauen Pläne anzulegen.

LAOLA1: Bei der Erstauflage vor einem Jahr ist es für dich nicht wunschgemäß verlaufen...

Schiester: Das gehört dazu. Es gibt niemanden, der den Erfolg gepachtet hat. Ich habe damals im Vorfeld sehr hart an mir gearbeitet, bin sehr viel auf der Straße gelaufen, was nicht so wirklich mein Terrain ist. Also habe ich die Kilometer runter geprügelt und mir leider bei Kilometer 10,5 diese Wirbelsäulenverletzung zugezogen, bei der ich mir den vierten Lendenwirbel ausgekegelt habe. Und dann ist einfach das komplette System zusammengebrochen.

Auszeichnung beim Ocean Floor Race: "The man with the best blister ever!"

LAOLA1: Nur sechs Wochen vor dem Wings for Life World Run 2014 hast du bereits am Ocean Floor Race durch den ägyptischen Teil der Sahara teilgenommen. Inwiefern hat das deine damalige Vorbereitung beeinträchtigt?

Schiester: Der Läufer muss laufen! Das ist mein Job. Wenn ich dort laufen will, dann laufe ich dort, Vorbereitung hin oder her. Und da will ich jetzt gar nicht sagen: Hätte ich dort nicht teilgenommen, wäre ich beim World Run besser gelaufen. Das eine ist Theorie, das andere Praxis. Es hätte auch ganz anders ausgehen können, ich mache mir jetzt deshalb nicht ins Hemd. Sondern ich sage mir: Ich bin dort gelaufen, habe ein gutes Ergebnis geholt (Anm.: Platz 2), dann bin ich den World Run gelaufen und habe das Rennen leider nicht beenden können. Deshalb stehe ich jetzt wieder am Start.

LAOLA1: Der Kampf gegen die Querschnittslähmung steht beim Wings for Life World Run im Mittelpunkt. Du fungierst als Botschafter. Was waren deine Beweggründe dafür?

Schiester: Ich habe einen sehr guten Bekannten, der vor 22 Jahren vom Baum gefallen ist und seitdem querschnittsgelähmt ist. Als Botschafter ist es mir daher wichtig, dass man auch auf die andere Seite des Lebens schaut. Wir sehen oft nur die großartigen Erfolge oder großartige Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und etwas darstellen wollen, was sie in Wirklichkeit gar nicht sind. Es gibt jedoch genug Menschen, denen es nicht so gut geht, die noch dazu gar nichts dafür können. Und es gibt drei Millionen Menschen, die im Rollstuhl sitzen, weil sie eine Wirbelsäulenverletzung haben. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, sich zu fragen: Wie gut geht’s mir eigentlich?

LAOLA1: Zusätzlich bist du als Läufer für diese Rolle prädestiniert.

Schiester: Natürlich gibt es auch diesen Bezug. Ich glaube, dass es wichtig ist, zur Jugend zu sagen: Auch ihr müsst ein bisserl nachdenken! Jetzt funktioniert noch alles klasse, aber mit zunehmendem Alter wird es immer schwieriger und wenn ihr nichts für euch macht, dann geht es prozentuell sehr schnell bergab und bald habt ihr ein ganz großes Problem.

LAOLA1: Hast du schon Pläne für die Zeit nach dem Wings for Life World Run?

Schiester: Ich werde nächstes Jahr aufbrechen und sieben Jahre um die Welt segeln. Ich werde mir die lässigsten Plätze der Welt aussuchen, segle hin und gehe dort laufen.

LAOLA1: Hört sich nach einem gewaltigen Großprojekt an.

Schiester: Ja, mir gehen die Ideen nicht aus. Der Südpol ist überhaupt der geilste Platz der Welt. Dort muss ich unbedingt noch hin und die Weltumsegelung ist etwas, wo ich dieses Abenteuer noch intensiver leben kann. Das Laufen an sich ist zwar eine tolle Geschichte, aber daraus ist eine ganz eigene Denkweise entstanden, die mich Dinge tun lässt, die sich andere nicht trauen. Das Segeln gehört nicht zu den Dingen, bei denen man nur den Schlüssel umdreht und einfach auf das Meer raus fährt, sondern da musst du alles können: Ich bin Elektriker, ich bin Installateur, ich bin Navigator - ich bin alles auf dem Boot.

LAOLA1: Sieben Jahre sind eine halbe Ewigkeit. Warum so lange?

Schiester: Weil ich keinen Stress haben will. Ich gehe nicht her und sage: Ich segle nur herum, damit ich behaupten kann, ich bin herumgesegelt. Sondern ich will mir wirklich explizit diese ganz speziellen Plätze suchen.

LAOLA1: Keine Angst vor Einsamkeit?

Schiester: Nein, einerseits ist die ganze Welt bevölkert, andererseits kann ich mit mir selbst umgehen. Und wenn ich alleine bin, muss ich auf niemanden aufpassen. Zudem werden Freundin und Kinder dort und da nachfliegen. Ich werde es mir so einrichten, dass ich an den schönsten Plätzen meine Buben bei mir haben werde.

LAOLA1: Weißt du bereits, wann der genaue Startschuss zum Abenteuer erfolgt?

Schiester: Im Oktober 2016 geht’s los. Ich bin gerade dabei, das Boot umzubauen und kümmere mich um die Organisation.

LAOLA1: Hast du dir schon die Route zurechtgelegt?

Schiester: Ich werde es sozusagen verkehrt herum angehen. Das Schiff liegt momentan in Griechenland, ich könnte jetzt von dort nach Spanien segeln, rüber zu den Kanarischen Inseln, danach in die Karibik und das war es dann. Das machen die meisten. Ich mach es andersherum: Ich fahre gegen den Wind. Von Kreta nach Port Said (Anm.: Hafenstadt im Nordosten Ägyptens), anschließend durch den Suezkanal und dann wandere ich auf kulturellen Spuren. Ich möchte nach Mekka, danach  auf die andere Seite der Arabischen Halbinsel nach Oman, Jemen, Dubai, dort auf das Burj Khalifa (Anm. Höchstes Bauwerk der Welt, ca. 830 Meter) hinauflaufen. Dann zu den Seychellen, bis Malaysien, durch den Pazifik, unten um Südamerika herum und noch vieles mehr.

LAOLA1: Genau eine Woche nach dem Wings for Life World Run feierst du deinen 48. Geburtstag. Hast du spezielle Wünsche im Kopf?  

Schiester: Ich stehe dem Alter gelassen gegenüber. Ich habe einen Körper, der super funktioniert, in dem ich mich wohl fühle, den ich hege und pflege. Das Einzige, was ich mir wünsche, ist, dass dies noch lange so bleiben möge. Wenn nicht, habe ich sehr viel erlebt.

LAOLA1: Quäle deinen Körper, sonst quält er dich, lautet dein Motto. In diesem Sinne, wie lange hast du eigentlich noch vor, dich zu quälen?

Schiester: Es geht nicht immer um das Quälen, ich gewöhne mich daran. Und ich glaube, dass sich jeder in irgendeiner Form ein bisschen quält. Ich werde jedenfalls nicht aufhören, an mir zu arbeiten, somit ist die Qual eh schon da. Egal, ob du 48 oder 84 bist - entscheidend ist, was du drauf hast! Es gibt viele, die sehr jung sind, aber nix drauf haben. Mein Ziel ist es, dran zu bleiben und auch in hohem Alter etwas draufzuhaben.

LAOLA1: Danke für das Gespräch!

 

Das Gespräch führte Andreas Gstaltmeyr