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Der letzte Tag in der Karriere der Caroline Weber

Der letzte Tag in der Karriere der Caroline Weber

Am Sonntag um 16:46 Uhr verlässt Caroline Weber den Wettkampf-Teppich. Und zwar für immer.

Beim Publikum der Heim-EM in der Wiener Stadthalle bedankt sie sich artig mit einem Lächeln und Küssen.

Die mit Abstand erfolgreichste Rhythmische Gymnastin in der österreichischen Geschichte verabschiedet sich nach rund zehn Jahren nationaler Dominanz mit einem acht Platz im EM-Finale der Keulen in die Sportler-Pension. Ein würdiger Schlusspunkt für sie, ein rührender Moment für alle Beteiligten.

Selbst den Hallensprechern Susanna Pröll und Wolfgang Bachschwell versagt unter Tränen kurz die Stimme.

Weber strahlt über das ganze Gesicht, fällt ihrer Trainerin Lucia Egermann um den Hals. „Jetzt ist es echt vorbei“, flüstert diese ihrer Athletin ins Ohr.

Es ist der letzte Tag in der aktiven Karriere von Caroline Weber. Ein Tag, der trotz ihrer ganzen Routine früher als üblich beginnen muss.

 

7 Uhr: Tagwache.

Auch wenn die Nacht nicht allzu lange dauerte, hat Weber zumindest gut geruht. Ganz im Gegenteil zum ersten EM-Tag, dem Freitag. „Die Nacht davor war schlimm. Ich habe mir viele Gedanken gemacht: Mein letzter Wettkampf! Heim-EM!“

Das Ergebnis ist bekannt. Ein Patzer in der Reifen-Kür sorgte ausgerechnet an ihrem Geburtstag für bittere Tränen und eine weitere schlechte Nacht. Der Verlauf ihres Abschieds-Wochenendes hatte zweifellos etwas Dramaturgisches. Denn wie in einem Drehbuch üblich, erfing sich auch Weber vom anfänglichen Dämpfer und riss mit der Quali für das Keulen-Finale das Ruder herum.

„Das hat alles gelöst“, berichtet sie. Aus Anspannung wurde mit einem Schlag Freude. Und dementsprechend erholsam war deshalb auch ihre Nacht auf Sonntag.

 

8:30 Uhr: Weber steht in der Wr. Stadthalle auf dem Teppich.

Nach einem schnellen Frühstücksbrot muss sie zur Probe. Aber nicht ihre Keulen-Kür, sondern die Choreographie für die Gala, der sportliche unbedeutende Showteil nach dem Wettkampf, muss einstudiert werden, was freilich eine zusätzliche Belastung bedeutet.

„Ja, aber da das alle österreichischen Athletinnen gemeinsam machen, haben wir sonst nie Gelegenheit, das zu üben, darum eben am Vormittag“, hat die Vorarlbergerin volles Verständnis. Danach zurück ins Hotel zum Schminken, was im Falle Webers, die das selbst macht, knapp 30 Minuten dauert. „Wenn ich überhaupt so lange brauche.“

Bei ihrem Wettkampf-Outfit bedarf es Vorsicht. Der Stoff ist zwar durchaus reißfest, das Problem sind jedoch die kleinen Steinchen drauf. „Die gehen relativ leicht runter“, warnt Weber. Ein paar sind keine Tragik, aber verliert sie zu viele, fällt es optisch auf.

 

14 Uhr: Das Aufwärmen bzw. der Psycho-Krieg beginnt.

Durch einen Vorhang abgetrennt von der Wettkampf-Fläche liegen in der Stadthalle zwei weitere Teppiche. Dort bereiten sich die Athletinnen auf ihre Einsätze vor und finden ganz nebenbei auch noch Zeit, um das eine oder andere Psycho-Spielchen zu spielen.

Im Wesentlichen geht es um zwei Sachen: 1. Die Gegner zu verunsichern und 2. den anderen Nationen beim Aufwärmen möglichst wenig Platz zu lassen. „Die ehemaligen Ostblock-Staaten beherrschen das perfekt“, kennt Weber die Mätzchen aus dem Effeff.

„Auch wenn sie menschlich eigentlich voll okay sind, werden sie von ihren Trainern so gepusht, dass du das Gefühl bekommst, dass sie die Aufwärmfläche förmlich niederrasen.“ Weber sieht sich das Ganze lieber vom Rand aus an und versucht sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Ein Schuss Routine ist da kein Nachteil.

Nichtsdestoweniger ist das Klima unter dem Gros der internationalen Spitzenathletinnen recht familiär. Grundvoraussetzung, um wirklich dazuzugehören, ist jedoch auch das Beherrschen der russischen Sprache. Etwas, dem Weber auch nach so vielen Jahren nicht mächtig ist. „Ich kann es mittlerweile zwar lesen, aber eine Unterhaltung kann ich nicht führen.“

 

16:45 Uhr: Der letzte Tanz.

Ein allerletztes Mal gibt ihr Nationaltrainerin Egermann mit auf dem Weg, dass Weber die letzte Kür ihrer Karriere genießen und für das Publikum tanzen solle. „Beim Rausgehen habe ich noch einmal daran gedacht, dass meine Eltern und so viele Freunde von mir gekommen sind", verrät sie.

Und dann geht’s los. In den folgenden 90 Sekunden bleibt sie zu der ausgewählten Flamenco-Musik ohne großen Fehler und belegt mit 17,233 Punkten Rang acht, was die Einstellung ihres bisher besten EM-Ergebnisses (Minsk 2011 mit dem Band) bedeutet.

„Die Erleichterung ist riesengroß“, erwidert Weber im Anschluss auf die ersten Journalisten-Fragen. Wie groß sie tatsächlich ist, ist ihr bei ihren Auftritten bei der abschließenden Gala deutlich anzusehen.

Zu „I did it my way“, „Smooth criminal“ und „Wiener Blut“ darf Weber noch einmal eine Ehrenrunde im übertragenen Sinn drehen. Ohne Druck und mit ganz viel Freude. Auch wenn nicht alles glatt läuft. „Als ich mir bei ‚Smooth criminal‘ die Hose runterreißen wollte, ist sie nicht runtergegangen. Mir war das kurz sooo peinlich“, lacht sie.

 

19:45 Uhr: Aufräumarbeiten.

Die Heim-EM ist Geschichte. Die Zuschauer sind schon am Weg nach Hause, die Helfer sind bereits mitten im Abbau. Und Caro Weber? Die sitzt noch im Wettkampf-Outfit bei Journalisten. Freude scheint ganz offensichtlich Gefühle wie Kälte oder Hunger überdecken zu können.

Sie beteuert noch einmal, dass sie der Rhythmischen Gymnastik nicht vollkommen den Rücken zuwenden werde, sondern dass sie als Trainern auch etwas zurückgeben möchte.

Genau jetzt beginnt für Weber aber ein neuer Lebensabschnitt. Oder besser gesagt, eine Verlagerung ihres Lebens-Fokus'. Anstelle des Sports soll bei der zweifachen Olympia-Teilnehmerin nun die Schauspielerei treten. Der neue Fokus will jedoch sehr rasch bedient werden. Bereits am nächsten Tag soll sie an der „1st Filmacademy“, wo sie studiert, Dialogszenen vorspielen. „Ich kann sie aber noch nicht auswendig.“ Die Heim-EM war dann eben doch wichtiger.

Es scheint also, als könnte der letzte Tag in der Karriere der Caroline Weber ein durchaus langer werden. Aus welchen Gründen auch immer.

Reinhold Pühringer