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Ist MMA zu brutal für Österreich?

Ist MMA zu brutal für Österreich?

Sie gilt als die am schnellsten wachsende Sportorganisation der Welt: Die UFC – die „Ultimate Fighting Championship“.

Um die Jahrtausendwende lag der nordamerikanische Mixed-Martial-Arts-Veranstalter (MMA) am Boden. Mit dem Einstieg von Dana White und dem Sportvertrieb Zuffa LCC begann der rasante Aufstieg. Heute ist die UFC globaler Branchenführer und über eine Milliarde Dollar schwer.

Pay-per-view-Sender liefern das blutige Spektakel in Millionen Haushalte. Der Zuwachs an neuen Fans reißt nicht ab. Kurzum: MMA boomt. Zumindest in Nordamerika. Doch was in den Vereinigten Staaten „in“ ist, das schwappt – Amerikanisierung und kultureller Globalisierung sei Dank – auch schnell nach Europa rüber. Möchte man glauben.

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, widerspricht nämlich Sportsoziologe Otmar Weiß. Laut dem Wiener Wissenschaftler fehle es in der österreichischen Gesellschaft an den notwendigen Grundvoraussetzungen für einen MMA-Boom.

Sport als Spiegel der Gesellschaft

Das Grundproblem von MMA sei der nicht wegzudiskutierende Gewalt-Aspekt. Dieser widerspricht den moralischen Grundprinzipien der Gesellschaft, was eine Massentauglichkeit unmöglich werden lässt.

„Wenn eine Sportart gewisse Wahrnehmungsgewohnheiten, die der Mensch verinnerlicht hat und die auch populär sind, überschreitet, dann halte ich es für unmöglich, dass diese von der breiten Masse gut geheißen wird“, verweist Weiß auf das Beispiel des Boxsports, dessen Bedeutung hierzulande verschwindend gering ist.

„Immer mehr Menschen lehnen das Boxen ab, weil eben der Einzelne mit dieser Art der Auseinandersetzung nicht mehr vertraut ist“, so Weiß, der der Sozialisierung während der Erziehung die entscheidende Rolle zuweist.

In dieser Phase werden dem Heranwachsenden die Werte vermittelt. In Österreich geschehe die Erziehung verfeinert und im Großen und Ganzen gewaltfrei.

Eine Frage des Werte-Nährbodens

Im Vergleich dazu ortet Weiß in den USA eine Zunahme an Gewalt in der Sozialisation, woran er auch – zumindest zu einem Teil – den Zulauf der UFC festmacht. „Die Brutalisierung der amerikanischen Gesellschaft, die seit der Bush-Generation Einzug gehalten hat, ist eine probate Erklärung. Irak-Krieg, Guantanamo, die Waffen-Gesetzgebung – um nur ein paar Stichwörter zu nennen.“

Die Gesellschaft entwickle sich nicht immer in Richtung Humanisierung und Zivilisierung, „sondern es gibt auch immer wieder Rückschritte hin zur Barbarei und früheren Entwicklungsstufen.“

Sportsoziologe gibt MMA in Österreich keine große Chance

Die Veränderung der Werte gehe einher mit Veränderungen in der Erziehung.

Im Gegenzug heißt das: „Wenn ich Kinder so erziehe, dass ich ohne Gewalteinsatz Probleme löse, wenn ich von klein auf Werte wie Toleranz, Humanität und Fairness verinnerliche, dann wird mich so eine Sportart abstoßen.“ Letztendlich gehe es darum, welche Mehrheit von Werten in einer Gesellschaft vorherrscht. Laut Weiß sei dieser Werte-Nährboden in Österreich zu human für ein Massenphänomen MMA.

Der andere Ansatz

Doch der Werte-Verfall ist nur EINE These, welche den UFC-Boom in den USA erklärt. Eine andere ist das Bedürfnis nach mehr Emotion.

„In einer emotions- und affektarmen Gesellschaft braucht der Mensch ein Mindestmaß davon, um ausgeglichen zu sein“, führt Weiß aus.

In modernen Zivilisationen ist praktisch alles geregelt, Risiken sind überall auf ein Minimum reduziert. Egal, ob am Arbeitsplatz oder in der Freizeit. „Emotionen müssen weitgehend unterdrückt werden. Das ist aber nicht der Mensch. Er hat Emotionen und auch das Bedürfnis, sich auszuleben, Grenzen zu erfahren.“

Selbst Hollywood bediente sich dieser Thematik. Brad Pitt und Edward Norton schlugen sich bereits 1999 in „Fight Club“ mit anderen Büro-Hengsten gegenseitig blutig. Ein Zitat aus dem Kassenschlager: „Du bist nirgendwo so lebendig wie in einem Kampf.“ Ein Satz, der den Nagel auf den Kopf trifft.

Die Bedürfnis-Befriedigung kann nicht nur als aktiver Kämpfer, sondern auch als passiver Zuseher erfahren werden.

Der Mangel an Emotionalität finde laut Weiß auch andere Ventile. „Das mündet ebenso in den sogenannten Trendsportarten. Da spielen aber nicht nur Spannung und Affektivität mit rein, sondern auch Momente wie Abenteuer, Erlebnis, Gemeinschaft oder etwa Emanzipation der Frau eine Rolle.“

Reinhold Pühringer