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Im Würgegriff des "Beckhams aus Simmering"

Im Würgegriff des

Mein Herz rast. Mein Atem ist schwer.

‚Verteidigen, verteidigen!‘, denke ich mir und versuche, meinem Gegner möglichst keine Angriffsfläche zu bieten.

Doch das klappt nicht.

Mit der Präzision einer Python schlingt Mairbek Taisumov seinen Arm um meinen Hals. Ich bringe zwar noch mein Kinn dazwischen, doch als er langsam aber sicher zuzieht, realisiere ich, dass ihm das herzlich egal ist. Mit einer fast sanften Drehung meines Kopfes zur Seite ist jeglicher Widerstand von mir gebrochen – ich muss aufgeben.

Was sich nach einer Trainings-Niederlage anhört, fühlt sich für mich nach kurzem Verschnaufen keineswegs nach einer an. Denn Taisumov ist schließlich nicht irgendwer, sondern der aktuell vielleicht technisch vielseitigste Kampfsportler Österreichs.

Mit Samthandschuhen angefasst

Vielseitigkeit ist das große Zauberwort im Mixed Martial Arts (MMA), wo Taisumov Leichtgewichts-Champion (bis 70 kg) der M1-Global Western Europe Serie ist und sich international einen Namen gemacht hat.

In den USA und Russland zählen Fights mit ihm zu den Highlights. 19 Siege in 23 Kämpfen auf vier verschiedenen Kontinenten sorgen dafür, dass er von seinem Sport leben kann.

Nach unserem kurzen Grappling-Duell am Boden grinst mich Taisumov an. Er klatscht mit mir ab. Ich spüre den gegenseitigen Respekt, bin beeindruckt von seinem Können und seinem Auftreten, weil ich weiß, dass er unsere Sparringrunde zu jederzeit unter Kontrolle hatte und in Wahrheit auf mich achtgegeben hat.

Sich selbst nicht zu wichtig nehmen

In Österreich ist Taisumov außerhalb der MMA-Szene praktisch niemandem ein Begriff. Ihn selbst scheint das jedoch nicht zu stören. Am Boden des Käfigs des Studios MMA Vienna im vierten Wiener Gemeindebezirk sitzend meint er indes mit fast kleinlauter Stimme: „Der Sport bedeutet mir alles“.

 

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"Beckan" hat mit dem LAOLA1-Redakteur sichtlich seinen Spaß

Bescheidenheit und Demut schwingen in seinen Worten mit. Charaktereigenschaften, die von immanenter Bedeutung sind, um den Weg nach oben nicht aus den Augen zu verlieren. Bis zu drei Trainingseinheiten täglich, sechs Tage die Woche, schuftet der 24-Jährige vor einem Kampf.

„Das sind die Hausaufgaben, die man erledigen muss“, spricht er von einer Selbstverständlichkeit, die sein gesamtes Leben bestimmt. Schließlich muss er für einen Kampf knapp zehn Kilogramm abspecken, um die geforderten 70 kg zu erreichen. Ohne Selbstdisziplin geht da gar nichts.

Das gelobte Land

Trotz seiner Bescheidenheit verfolgt freilich auch Taisumov Ziele. Und eines davon ist ein Engagement in der US-amerikanischen Premium-Serie UFC („Ultimate Fighting Championship“). Denn über dem großen Teich erlebt MMA (mehr dazu) einen sagenhaften Boom. Einschaltquoten und auch Gagen gingen innerhalb des vergangenen Jahrzehnts regelrecht durch die Decke.

Klar, dass auch der Wiener in die UFC will. Erste Gespräche mit dem US-Imperium gab es bereits vor rund zwei Jahren. Eine Einigung konnte bislang jedoch nicht erzielt werden. „Sie wollten, dass ich bis 66 kg antrete. Das geht aber nicht für mich. Da müsste ich fast 16 Kilo abnehmen – das ist zu viel“, erklärt Taisumov, der bei M1-Global ohnehin noch einen laufenden Vertrag hat.

Wie er in der UFC, wo Benson Henderson (USA) aktuell den Leichtgewichts-Titel innehat, abschneiden würde? „Ich bin mir sicher, dass er dort reüssieren würde“, prognostiziert Nicolas Löckel, Trainer und Geschäftsführer von MMA Vienna.

Auf engstem Raum bietet er mit Boxen, Kickboxen, Muay Thai, Ringen, Grappling, Wing Tsun und Jiu Jitsu die verschiedensten Richtungen an, die Taisumov und Co. benötigen.

Und was glaubt der Star selbst? Der zuckt lediglich mit den Achseln: „Es wäre nicht richtig, hier in Österreich zu sitzen und darüber zu sprechen, was ich in Amerika gewinnen könnte.“ Große Töne sind nicht sein Metier.

Der Beckham von Simmering

Der Beckham von Simmering
Mit seinen Gegnern geht "Beckan" nicht ganz so behutsam um

Seine Charakterzüge kommen nicht von ungefähr. Taisumov wuchs in Tschetschenien in einfachen Verhältnissen auf. An seinen Vater, der früh verstarb, kann er sich kaum mehr erinnern. Das Bewegungstalent des Sprösslings zeigte sich früh, vorerst jedoch vermehrt auf der grünen Wiese im Fußball. „Ich spielte sogar in der tschetschenischen U16-Auswahl“, erinnert er sich.

Berührungspunkte mit Kampfsport blieben jedoch nicht aus. „In der Schule machte ich Ringen. Das ist dort so wie in Österreich der Turnunterricht.“ Als der zweite Tschetschenien-Krieg in der Kaukasus-Republik um sich griff, flüchtete die aus Südafrika stammende Mutter mit den Kindern nach Wien.

Dort kickte klein Mairbek zunächst für Regionalligisten Simmering, wo er prompt den Spitznamen „Beckham“ verpasst bekam. Daraus wandelte sich im Laufe der Zeit sein aktueller Kampfname „Beckan“ ab. Den Weg zu MMA fand er erst über einen Schulfreund, der ihn zum Jiu Jitsu überredete. „Ich war vollauf begeistert, habe dann auch während der Spiele nur noch an Jiu Jitsu gedacht.“

Das genierte Leben mit dem ruinierten Ruf

Lauscht man Taisumov, ist deutlich erkennbar, dass für ihn MMA ein Sport ist. Nicht mehr und nicht weniger. Die öffentliche Wahrnehmung, insbesondere in unseren Breiten, ist derweil allerdings eine völlig andere. Hierzulande sind MMA-Kämpfe als brutale Gemetzel und menschliche Hahnenkämpfe verschrien.

Taisumov und Löckel können bei diesen Klischees nur den Kopf schütteln. „Das ist Unwissenheit“, sagt Letzterer. „Auch ich habe früher so darüber gedacht, doch seitdem ich mich damit auseinandergesetzt und die dahinterstehende Komplexität erkannt habe, hat sich meine Meinung geändert.“ Sein Rat deshalb: „Herkommen und selbst ausprobieren!“

Woher der schlechte Ruf allerdings kommt, ist ihnen sehr wohl bewusst. Der Grund sind unprofessionelle MMA-Veranstaltungen, von denen es in Österreich zahlreiche gibt. „Dort werden schlecht vorbereitete Kämpfer in den Käfig gelassen oder Kämpfe zweier völlig ungleicher Kontrahenten inszeniert“, weiß Löckel. Die „Cage Fight Series“ und die „Mixed Fight Nights“ zählt er zu den wenigen Ausnahmen.

Eine Frage der Werte

„Beckan“ hat aufgrund seines rasanten Aufstiegs schon lange nicht mehr in Österreich gekämpft. Jedoch würde er gerne einmal FÜR Österreich kämpfen. Seit über zehn Jahren lebt und arbeitet er – unter anderem als Streetworker – hier, auf die Staatsbürgerschaft wartet er aber nach wie vor vergebens.

Im Umgang mit den Trainingskollegen, denen der nunmehrige Bundesliga-Ringer seine Kniffe beibringt, deutet er an, wie groß seine sozialen Kompetenzen sind. „Ich kann das nicht verstehen, schließlich ist er bestens integriert“, wünscht sich Löckel, dass endlich Bewegung in die Thematik kommt.

Doch vielleicht passt ein Mairbek „Beckan“ Taisumov einfach nicht in die österreichische Gesellschaft. Schließlich ist er erfolgreich im Sport, bescheiden und matschkert nicht.

Reinhold Pühringer