news

Warum Kiras Leben jeden berührt

Warum Kiras Leben jeden berührt

Anna Fenninger, Marcel Hirscher, Fußball-Nationalteam…

Vieles bei der Gala-Nacht des Sports ist vorhersehbar gewesen.

Eines jedoch mit Sicherheit nicht: Der Auftritt von Kira Grünberg, die sich für die Hilfs-Aktion „Laufen für Kira“ (Sieger der Kategorie „Sportler mit Herz“) persönlich bedankte.

Als die 22-Jährige knapp drei Monate nach ihrem verhängnisvollen Trainingsunfall auf die Bühne kam, standen die Besucher auf, spendeten lange Applaus. Nicht wenige hatten wie Grünberg selbst Tränen in den Augen.

Gänsehaut!

„Es war ein unglaublich emotionaler Moment für mich“, versuchte es Grünberg danach im Gespräch mit LAOLA1 in Worte zu fassen. Von der Anteilnahme an ihrem Schicksal sei sie überwältigt.

Und diese ist in der Tat außergewöhnlich. Um nicht sogar zu sagen fast schon bizarr.

Denn von einer anderen Warte betrachtet: Rund zehn weitere Rollstuhlfahrer waren bei der Gala-Nacht anwesend. Jeder von ihnen mit seiner ganz eigenen Geschichte, einige davon ähnlich tragisch. Doch selbst als etwa Paraski-Ass Claudia Lösch die Rampe zur Bühne erklomm, um ihre bereits fünfte Auszeichnung als Behinderten-Sportlerin des Jahres in Empfang zu nehmen, war der Emotionspegel im Wiener Austria Center ein gutes Stück von den Grünberg-Sphären entfernt.

Reaktion und Verhalten der Masse fühlten sich zwar definitiv richtig und angebracht an, dennoch stellt sich hierbei die Frage, woran es liegt, dass wir Menschen im Hinblick auf Empathie und Anteilnahme eigentlich derartig verschieden reagieren?

Oder anders: Was muss geschehen, damit Österreich genau bei dem einen von landesweit rund 400 neuen Querschnittlähmungen pro Jahr in dieser Form mitfiebert?

Das sagt die Wissenschaft

„Im Fall von Kira Grünberg ist der Fall recht eindeutig. Was hier auftritt, ist der Fall von Nähe“, erklärt Vera Esser, Psychologie-Doktorandin an der Universität Salzburg. Dieser sogenannte „Mere-Exposure-Effect“ besagt: Je häufiger wir einem Reiz ausgesetzt sind, desto wahrscheinlicher mögen wir ihn.

„Das führt beispielsweise dazu, dass wir eher mit Menschen befreundet sind, mit denen wir oft zu tun haben, wie etwa Arbeitskollegen“, führt Esser näher aus.

In Bezug von Grünberg sei dieser Effekt über die Medien entstanden. Ab dem Zeitpunkt des Unfalls habe fast jedes Detail und in Folge jedwede Entwicklung verfolgt werden können. Vom drohenden Umbau des Elternhauses bis hin zur Rehabilitation in Bad Häring. „Dadurch bekommen Menschen das Gefühl, dass Grünberg ein Teil ihres Lebens ist, wodurch die Anteilnahme viel höher ist“, so Esser weiter.

Anders gelagert

Essers Erklärungsversuch passt auch zur fast zeitgleich verunglückten Vanessa Sahinovic. Die Synchronschwimmerin sitzt nach dem Bus-Unfall im Rahmen der Europaspiele in Baku ebenfalls im Rollstuhl, absolviert mit Grünberg gerade gemeinsam die Reha.

Die anfänglich große Welle des Mitfühlens flaute bei der 16-Jährigen rasch ab. Auf Wunsch der Eltern war ein Nachrichtenstopp verhängt worden. Lange war bei der Niederösterreicherin nicht einmal die letztliche Diagnose bekannt.

Das Schweigen rund um Sahinovic ist mittlerweile zu einem Teil passé, was mit diversen Hilfsaktionen einhergeht. So findet am 7. und 8. November etwa das 24-Stunden-Schwimmen in der Therme Bad Radkersburg zu ihren Gunsten statt.

Der pure Lebenswille

Auch Claudia Lösch hatte sich über den Auftritt Grünbergs riesig gefreut. Die dreifache Gold-Medaillengewinnerin der diesjährigen Paraski-WM in Panorama und die Ex-Stabhochspringerin kennen einander aufgrund der räumlichen Nähe schon länger. „Kurz vor ihrem Unfall haben wir noch gemeinsam in der Kraftkammer trainiert.“

In Puncto öffentlicher Anteilnahme spricht die 27-Jährige einen anderen Aspekt an: „Ich finde es toll von Kira, wie sie von Anfang an ihr Schicksal angenommen hat, keine Sekunde lang in die Mitleidsrolle verfallen ist.“ Mit dieser könne Lösch nämlich selbst überhaupt nichts anfangen und erachte sie auch von manch gut gemeinter Hilfs-Aktion als fehlgeleitet.

Und tatsächlich hat sich Grünberg bislang keinen Moment lang als Leidende präsentiert. Im Gegenteil: Sie demonstriert Stärke. Im Rahmen der Gala legt sie neuerlich eine ungebeugte Lebensfreude an den Tag. „Mir geht es ja gut, mein Leben ist nach wie vor schön“, entgegnet sie auf Journalistenfragen.

„Genau das ist das eigentliche Phänomen Kira“, meint deshalb ihr Manager Tom Herzog. Laut ihm habe es das befürchtete Loch, in das Österreichs Rekordhalterin aller Altersklassen irgendwann fallen würde, nicht gegeben.

Für ihn macht die Besonderheit des Falls Grünbergs die Mischung. Diese setze sich aus dem davor schon existierendem Bekanntheitsgrad, dem Schicksal an sich und vor allem aus ihrem Umgang damit zusammen. „Ich finde das einzigartig“, meint Herzog, laut dem es unzählige internationale Medien-Anfragen für Grünberg gibt.

„Bislang haben wir international noch nichts wahrnehmen können.“ Dies werde man nun peu a peu ändern. So sei im Dezember etwa ein Auftritt bei „SternTV“ geplant.

Alles freilich in Absprache mit Grünberg und ihren Bedürfnissen.

 

Reinhold Pühringer