news

"Können überleben, jetzt müssen wir uns entwickeln"

Fast 40.000 Zuschauer sind ins Chinnaswamy-Stadion im Süden Indiens gekommen, um dem rein-indischen Endspiel der diesjährigen Champions League beizuwohnen. Ein Umstand, der das Oval nicht nur in einen Hexenkessel verwandelt, sondern auch Millionen Fans vor die TV-Schirme lockt. 

Eine Szenerie, die zwar angesichts der kürzlich aus der Taufe gehobenen "Indian Premier League" bald auch dem Fußball blühen soll, die aber gegenwärtig ausschließlich dem Cricket, der Nationalsportart und "heiligen Kuh" des Subkontinents, vorbehalten ist.

Das finale Kräftemessen der diesjährigen "Twenty20 Champions League" zwischen den Kolkata Knight Riders und dem späteren Sieger, den Chennai Super Kings, verkommt zum Spektakel. Eine der populärsten Sportarten der Welt feiert sich gekonnt selbst.

Es ist gleichzeitig aber auch eine Szenerie, die in vielen Regionen der Welt unvorstellbar scheint. Tief in der Kultur der Commonwealth-Nationen verankert, fristet das eigenwillige, komplizierte Spiel im Rest der Welt überwiegend ein Schattendasein. So auch in Österreich.

Entscheidung "vertagt"

Gerade einmal drei Cricket-Grounds gibt es auf österreichischem Bundesgebiet. Nur rund 800 „Cricketer“ (500 Senioren, 300 Junioren) verteilen sich auf 16 Klubs. Zum Vergleich: Der Österreichische Frisbee-Sport Verband zählt 2000 Aktive in 50 Vereinen. Wo liegen die Gründe für das hiesige Desinteresse am baseballähnlichen Gentleman-Sport?

Auch wenn es Muhammad Ashfaq, Chairman der Austrian Cricket Association (ACA), so drastisch nicht formulieren will ("ich glaube nicht, dass wir ein Schattendasein fristen"), gibt der gebürtige Pakistani im Gespräch mit LAOLA1 zu, dass der Sport hierzulande noch nicht den Stellenwert genieße, den der Verband anstrebe.

Zwar wurde die ACA erst 1981 gegründet, Cricket gespielt wird in Österreich jedoch bereits seit dem 19. Jahrhundert – 1894 endstand der "First Vienna Cricket and Football-Club", ein indirekter Vorgänger der Wiener Austria. Ziel des Spiels ist es, durch das (Weg-)Schlagen des Balles eine Holzkonstruktion ("Wicket") zu schützen und Punkte ("Runs") zu erzielen. So gibt es sechs Zähler, wenn das Spielgerät aus dem Stadion bugsiert wird.

Warum das Spiel trotz langer Tradition hierzulande nie durchgestartet ist, liegt auf der Hand. "Es ist schwierig, die Massen für ein Spiel zu begeistern, das einen Tag lang dauert", begründet Ashfaq.

Das "Wicket" (li.), wird durch Wegschlagen des Balles "geschützt"

Teatime!

Die gängigste Austragungsform des Cricket ("One Day") zieht sich von den Morgenstunden bis in den frühen Abend. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Noch heute dauert ein Länderspiel zwischen den zehn Cricket-Hochburgen (Australien, England, Südafrika, Neuseeland, Indien, Pakistan, Sri Lanka, Bangladesch, Simbabwe und den West Indies, Anm.) mehrere Tage. Gespielt werden zwar nur insgesamt vier Innings, jedoch wechselt das Angriffsrecht nicht, wie beim Baseball, nach drei "Outs", sondern erst wenn alle zehn Schlagmänner ("Batsmen") ausscheiden.

Das sogenannte "Test Cricket" mit all seinen Besonderheiten – während der Begegnungen werden Mittagspausen ("lunch") und Teepausen ("tea") eingelegt – mag zwar angesehen sein und als höchste Form des Cricket gelten, vermarkten lässt es sich jedoch kaum.

Und nicht nur das. Während für die Profis – der indische Superstar Mahendra Singh Dhoni casht jährlich rund 25 Millionen Euro – Cricket an erster Stelle steht, gilt für die Amateur-Sportler in kleinen Ländern genau das Gegenteil. "Es muss zwischen Beruf, Familie und anderen Aktivitäten Zeit für Cricket bleiben und nicht umgekehrt", weiß Ashfaq.

"Doch die Zeiten ändern sich und so auch der Cricket-Sport", erklärt er. In seinen Worten schwingt Hoffnung mit.

Cricket 2.0

Im 2003 eingeführten Twenty20-Format sieht der Funktionär die Chance, die Popularität des Sports zu steigern. Dabei ist es nicht so, als wäre ihm die traditionelle Austragungsform zu langweilig geworden. Er bevorzuge nach wie vor das "Test"-Format, "das echte Cricket."

Doch welcher Fan will schon stundenlang auf ein Ergebnis warten? Welcher Aktive will seine gesamte Freizeit auf dem Feld verbringen? "Also ist Twenty20 das Beste, was dem Sport passieren konnte. Vor allem hierzulande", deklariert sich der ACA-Obmann. Der Name rührt übrigens daher, dass ein Spiel anstatt aus mehreren Innings, nur noch aus jeweils 20 Over (je 120 gespielten Bällen, Anm.) besteht.

Die Dauer eines Spiels pendelt sich somit bei etwa drei Stunden ein. Das eröffnet nicht nur dem Breitensport neue Möglichkeiten. Auch in den großen Cricket-Nationen gewann man so neue Sponsoren und profitierte von TV-Deals. ESPN bezahlte für die Zehn-Jahres-Rechte an der Twenty20 Champions League mehr als 700 Millionen Euro.

Akademie als Grundstein

Eine österreichische Mannschaft wird an einer Champions League gewiss niemals teilnehmen und auch auf das große Geld wartet die ACA vergebens. Doch der hiesige Verband weiß das und backt ohnehin kleinere Brötchen.

Das wenige Geld – es sind Fördergelder des Weltverbandes (ICC) – wird in die Jugend investiert. Doch die Randsportart hat es schwer, neben populären Teamsportarten Beachtung zu finden. Deshalb setzt die ACA an der Wurzel an. "Wenn wir Cricket in Österreich vorantreiben wollen, müssen wir das Spiel an die Schulen und Kindergärten bringen und die Jüngsten dafür begeistern", erklärt er.

In diesem Jahr rief der Verband zudem die Cricket-Akademie in Wien Donaustadt ins Leben, vorerst ohne eigenes Schulprogramm. "Das Training findet nur an den Wochenenden statt", erklärt Ashfaq, der aber früher oder später Schul-Kooperationen anstrebt. Eine Teilnahme am Akademie-Programm ist für die Spieler ist zurzeit kostenlos.

Superstar M.S. Dhoni muss sich nicht sorgen

Kopfsache

Nicht zuletzt aufgrund der Jugendförderprogramme und des Twenty20-Formats, wächst die Zahl der "Cricketers" in Österreich. Doch ein Problem kann der Verband nicht lösen. Das des komplizierten Regelwerks.

Während bei anderen populären Mannschaftssportarten auch für Laien auf den ersten Blick große Teile des Regelwerkes zu erfassen sind, ist das beim Cricket anders. Auch Ashfaq fällt es schwer, den Ablauf in einem Satz zusammenzufassen.

Er spricht lieber davon, was den Sport so einzigartig macht. "Cricket ist ein Gentlemen-Sport, es geht respektvoll zu, Entscheidungen des Schiedsrichters werden stets akzeptiert. Das Spiel findet auf mentaler Ebene statt, es geht um Strategien und darum, Schwächen in der Defensive und die Beschaffenheit des Platzes zum Vorteil zu nutzen", schwärmt Ashfaq und fügt lachend hinzu, "und es ist der einzige Sport mit Tea-Time und Lunch".

Vorwärts

Dank des intensiven Jugendförderprogramms und der attraktiveren Formate, bieten sich der Austrian Cricket Association in Zukunft neue Möglichkeiten. 2016 will der Verband Erfolge ernten. Dann soll dem Nationalteam der Aufstieg in die höchste europäische Division gelingen. Für das kommende Jahr strebt man nun erst einmal die BSO-Mitgliedschaft an.

Obmann Muhammad Ashfaq weiß jedoch, dass noch viel Arbeit vor ihm liegt. "Der erste Schritt ist getan, wir können überleben. Jetzt müssen wir uns entwickeln."

 

Kevin Bell