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Ivona Dadic bleibt im "Schlaraffenland"

Ivona Dadic bleibt im

In einem Burschen-Zimmer irgendwo in Sheffield. Da sitzt sie nun.

Dabei ist Sitzen gar nicht die Domäne von Ivona Dadic. An diesem Tag kommt aber ein wenig Ruhe für Österreichs Rekordhalterin im Siebenkampf gerade recht. „Wir haben heute trainingsfrei“, meint sie mit entspannter Stimme am Telefon.

Das besagte Burschen-Zimmer ist ihr aktuelles Zuhause. Die 18-Jährige ergriff die Möglichkeit, für ein paar Wochen in der Trainingsgruppe von Olympia-Siegerin Jessica Ennis mitzutrainieren. „Eine unglaubliche Gelegenheit!“

Und was ist mit dem Burschen, dem das Zimmer gehört? „Es gehörte dem Sohn der Gastfamilie, bei der ich derzeit wohne“, schildert die rot-weiß-rote Senkrechtstarterin im Gespräch mit LAOLA1. Er ist schon seit einiger Zeit ausgezogen.

Der Mann, um den sich alles dreht

Die Nestwärme hilft ihr, sich besser auf die Bedingungen auf der Insel einzustellen. Gast-Papa Ian, der als Manager in einem Autohandel arbeitet, und Mama Jane, die „die meiste Zeit zu Hause ist und Teilzeit noch in einer Bäckerei jobbt“, sorgen dafür, dass es Dadic an nichts fehlt.

Dadic mit einem Teil ihrer Trainingsgruppe samt Ennis und Coach

Die herzliche Art hat es der 25. der Olympischen Spiele angetan. „Die ganze Familie ist sehr lieb, sie hat mich super aufgenommen“, strahlt Dadic, die von dort aus das (beinahe) tägliche Training besucht.

Das findet allerdings im 45 Autominuten entfernten Leeds statt. Den Linksverkehr hat sich Dadic allerdings noch nicht gegeben, weshalb sie das Fahren der jüngeren der beiden Töchter der Gastfamilie überlässt. „Die ist nämlich ebenfalls Siebenkämpferin und trainiert auch bei Toni Minichiello.“

Und Mister Minichiello ist jener Mann, um den sich die britische – angesichts der jüngsten Erfolge  sogar die olympische – Siebenkampf-Welt dreht. Er ist der Macher von Jessica Ennis, die er seit ihrem Leichtathletik-Beginn vor 14 Jahren unter seinen Fittichen hat.

Der erste Eindruck

Nach einigen Wochen im neuen Trainingsalltag ist Dadic auch klar, wie die Erfolge von Ennis zustande kommen. „Das Training hier sieht ganz anders aus. Das lässt sich mit dem von Zuhause überhaupt nicht vergleichen.“ Das fängt schon mal bei der Dauer der Einheiten an. „In Österreich habe ich im Schnitt täglich ca. zwei Stunden trainiert, hier schwitzen wir von neun Uhr vormittags bis fünf Uhr nachmittags.“ Keine Sorge, zu Mittag werden schon eineinhalb Stunden Pause für das Mittagessen eingelegt.

Auch an die Intensität der Einheiten musste sich Dadic erst gewöhnen. Besonders in ihr Gedächtnis eingebrannt hat sich ihre allererste Einheit.

„Ich bin nach der Grundausbildung beim Bundesheer, während der ich kaum trainieren konnte, rübergeflogen. Und da stand dann gleich die Hill-Session, in der wir jeden Sonntag mehrmals einen Berg hinauflaufen, auf dem Programm. Das ist der Horror! Ich dachte, ich muss sterben. Als ich dann irgendwann auf dem Boden gekauert bin, weil ich wirklich nicht mehr konnte, ist Toni zu mir hergekommen und hat gesagt: ‚Welcome to Britian, Baby!‘ Ich dachte mir nur: Na klass…“, kann sie mittlerweile schon darüber lachen.

Seine Begeisterung zeigte Minichiello allerdings erst auf den zweiten Blick. „Als er mich das erste Mal hochspringen sah, hat er nur ‚Oh, mein Gott‘ gesagt. Er hat mich gefragt, wie ich mit so einer Technik überhaupt 1,80 m springen kann“, lacht Dadic, die erst seit drei Jahren Mehrkampf trainiert.

Peu a peu oder Hürde für Hürde

Auch in Sachen Krafttraining ist die österreichische Siebenkampfrekordhalterin ein noch fast unbeschriebenes Blatt. „Wir können jetzt aber nicht alles auf einmal trainieren, sonst wird es zu viel.“

Weshalb der Fokus derzeit vor allem auf den Sprungbewerben und den Hürden liegt. Bezüglich letzterem: „Ich bin zwar extrem schnell, kann das über die Hürden aber nicht umsetzen. Toni meint, dass ich da sehr viele Punkte liegen lasse.“

Zu hören, dass noch viel Luft nach oben herrscht, sorgt bei der Heeressportlerin für einen großen Motivationsschub.

Ein Idol zum Anfassen

Apropos Motivation: Da wäre in ihrer Trainingsgruppe ja auch noch eine gewisse Jessica Ennis. Die Siebenkampf-Heldin, das Gesicht der britischen Leichtathletik, der Superstar. Wie so jemand privat ist?

„Ich bin so fasziniert von dem Mädel“, schwärmt Dadic. „Weil sie in ihrem Leben schon extrem viel erreicht hat, aber ganz normal und bodenständig geblieben ist.“ Von Starallüren keine Spur.

„Als ich das erste Mal im Training aufgetaucht bin, ist sie sofort hergekommen, hat mich gefragt, wie es mir geht und ob ich eh gut angekommen bin.“ Dementsprechend angenehm und auch produktiv gestaltet sich die Zusammenarbeit auf dem Trainingsplatz. „Sie hat mir beispielsweise bei den Hürden gezeigt, wie es schneller geht oder redet auch öfter mit dem Trainer darüber, was ich gerade gemacht habe.“

Konkurrenzdenken scheint der lediglich 1,65-m-große Floh demnach nicht zu kennen. „Wahrscheinlich, weil sie von der Leistung weit, weit über mir steht. Aber auch anders glaube ich nicht, dass sie der Typ ist, der mich deswegen schneiden würde.“

Das Mehrkampf-Paradies

Die Trainingsbedingungen in Leeds sind allererste Sahne. „Es ist genauso, wie man es sich vorstellt, wie es sein muss. Ein Phyiso-Therapeut, ein Spitzentrainer,…es ist alles da, was du zum Training brauchst. Wir können das ganze Jahr über in eine Halle vergleichbar mit Linzer Tips-Arena“, gerät sie nach wie vor ins Schwärmen.

Einziger wesentlicher Unterschied zur Halle in der oberösterreichischen Stahlstadt: In Leeds darf sogar Speer geworfen werden.

„In Österreich darfst du das in keiner einzigen Halle. Wenn ich also früher im Winter Speerwerfen wollte, musste ich immer auf Trainingslager fahren. Wenn ich dann wieder heimgekommen bin, war der Klima-Unterschied so hoch, dass ich oft krank geworden bin. Es war nie ein konstantes Training möglich. Das habe ich hier.“

Lust auf neue Herausforderung

Auch wenn Dadic leistungsmäßig als Olympia-Starterin gut in die insgesamt zwölfköpfige Trainingsgruppe („Zwischen 15 und 35 Jahren.“) passt, in technischer Hinsicht hinkt die Welserin mit kroatischen Eltern jedoch deutlich hinterher. „Ich trainiere hier mit Mädels, die noch jünger, aber technisch bereits weiter vorne sind als ich.“

Damit das nicht so bleibt, gibt es ja Minichiello. Doch für „Coach Toni“, wie er auf twitter heißt, bedeutet Dadic Schwerstarbeit. Schwerstarbeit, auf die er sich allerdings richtig freut. „Das ist cool, er ist nämlich voll begeistert von mir, weil ich noch so viel Potenzial habe“, grinst Dadic.

Disziplin Leistung Ort
100 m Hürden 14,55 sec Barcelona 2012
Hochsprung 1,80 m London 2012
Kugelstoßen 12,45 m Götzis 2012
200 m 23,96 sec Mannheim 2012
Weitsprung 6,30 m Ried 2012
Speerwerfen 41,82 m London 2012
800 m 2:10,67 min Götzis 2012
Gesamt 5.959 Punkte Göztis 2012

Zu Weihnachten fliegt Dadic zu ihrer Familie nach Hause

Wie beeindruckt Dadic von ihrer neuen Trainingskollegin tatsächlich ist, untermauert auch die Tatsache, dass aktuell das Buch „Unbelievable - Die Jessica-Ennis-Biographie“ auf dem Nachttisch der „Sport-Emigrantin“ liegt.

Den nächsten Schritt wagen

Die Summe all dieser positiven Aspekte war es schließlich auch, die der Blondine die Entscheidung, nach England zu gehen, sehr leicht machte. Eingefädelt wurde der Trip von Sponsor Kornspitz, der den Kontakt zu Minichiello herstellte. Dieser kannte die Leistungen der Österreicherin und zeigte deshalb Interesse an einer Zusammenarbeit.

Bereits nach der ersten Stippvisite in England und einem Kennenlernen mit Minichiello war für Dadic klar: „Hier will ich hin.“ Und nun, wenige Wochen später, ist in der Oberösterreicherin bereits eine weitere Entscheidung gereift: „Ich glaube, dass ich nach Weihnachten her komme und dann ganz da bleibe.“ Die Heimat zumindest für die nächsten Jahre hinter sich zu lassen – für ein 18-jähriges Mädchen kein leichtes Unterfangen.

„Loszulassen und zu gehen war nicht einfach, weil ich daheim eine tolle Trainingsgruppe hatte. Aber wenn es nicht mehr passt, dann passt es nicht mehr. Mein Traum ist es, in der Leichtathletik weiterzukommen, als Spitzensportlerin zu leben und da musste ich einfach etwas ändern. Ich wäre vielleicht noch ein, zwei Jahre besser geworden, aber nie in der Weltspitze mit dabei gewesen.“

Nach Weihnachten schwebt ihr eine Athleten-WG mit ihren Trainingskollegen vor. „Toni überlegt, dafür ein Haus zu kaufen.“ Finanziell hält ihr Kornspitz den Rücken frei. „Ohne Sponsor wäre das nicht möglich.“ Neben den Flügen, Miete und Essen müssen schließlich auch Trainer, Trainingsstätte und Physiotherapeut bezahlt werden.

Auf zu neuen Ufern!

Mit dem Umfeld verändern sich bei Dadic auch die Zielsetzungen.

„Als ich mit der Leichathletik begonnen habe, war mein Traum, zu Olympischen Spielen zu fahren. Dort war ich aber jetzt schon. Mein neuer Traum ist es nun, bei den nächsten, übernächsten – keine Ahnung bei welchen – Spielen einmal ganz, ganz weit vorne zu landen“, versucht sie sich derzeit auszumalen, wohin die Reise geht.

Sitzend in ihrem Burschen-Zimmer. Irgendwo in Sheffield.

Reinhold Pühringer