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40. Mal Götzis - Eine Weltsportart als Stammgast

40. Mal Götzis - Eine Weltsportart als Stammgast

Liegt’s am Wetter? Angeblich nicht.

An der Gastfreundlichkeit? Schon eher.

Ist es das Essen? Womöglich.

Auf die Frage, warum Jahr für Jahr die besten Mehrkämpfer der Welt ins 11.000 Einwohner große Götzis pilgern, hat jeder seine eigene Antwort.

„Wer einmal unsere Luft geschnuppert hat, der kommt wieder“, erklärt Werner Ströhle die seinige. Der 74-Jährige sitzt seit der ersten Stunde im Organisations-Komitee des Mehrkampf-Meetings, welches am 31. Mai und 1. Juni zum 40. Mal stattfindet.

Ein Jubiläum, das von davon zeugt, dass Österreich mit Charme, Engagement und Tradition sehr wohl ein Kalender-Fixpunkt einer weltumspannenden Sportart sein kann.

LAOLA1 blickt mit dem Gründungs-Mitglied hinter die Kulissen des Events im Mösle-Stadion:

  • Wie alles begann

War zuerst die Henne oder das Ei? Im Falle von Götzis war es die Laufbahn. Der Anspruch eines internationalen Meetings kam erst im Laufe der Jahre. „Nach einem Telefonat mit Unterrichtsminister Fred Sinowatz haben wir 1972 mittels Drittel-Finanzierung für 600.000 Schilling die erste Kunststoffbahn in Vorarlberg bekommen. Nur in Graz gab es noch eine“, schildert Ströhle die Anstrengungen des Klubs LG Montfort. „In der Gemeinde-Stube hieß es dann: Lieber Werner, wir haben da ein so schönes Stadion, jetzt soll da drinnen auch etwas geschehen.“

1973 folgte deshalb das erste Mehrkampf-Meeting in Form der Staatsmeisterschaften, bei denen Sepp Zeilbauer mit exakt 8.000 Zählern eine Punktlandung hinlegte. Österreichs internationales Mehrkampf-Highlight war seinerzeit Schielleiten, das jedoch unter veralteten Anlagen litt. „Deshalb entstand die Idee, diesen Wettkampf 1975 erstmals in Götzis aufzuziehen.“

Was anfänglich mit einer Hand voll Nationen begann, gewann über die Jahre an Bedeutung. Der Sprung zum weltbekannten Mekka gelang laut Ströhle im Laufe der 80er-Jahren. „Ohne überheblich sein zu wollen, sind wir heute nach Olympia und den Weltmeisterschaften das beste Mehrkampf-Meeting.“

  • Die Sternstunden

Als passionierter Leichtathlet („Auch wenn es meine Figur nicht mehr verrät, ich war einmal 100m-Läufer.“) kommt Ströhle bei der Frage nach den sportlichen Highlights aus 40 Auflagen sehr schnell der Name Roman Sebrle über die Lippen. Und das wohl auch zu Recht.

Der Moment, als Roman Sebrle 2001 den Weltrekord knackte

2001 durchbrach der Tscheche als erster die magische 9.000-Punkte-Marke und das ausgerechnet im Mösle. „Diese Bestmarke von 9.026 hat zehn Jahre lang gehalten“, spricht der Stolz aus Ströhles Worten.

Doch es sind nicht immer nur Bestmarken, woran man sich erinnert.

1980 und 1984 etwa avancierte Götzis aufgrund des Olympia-Boykotts von West bzw. Ost sogar zum größten Aufeinandertreffen der weltbesten Mehrkämpfer.

  • Ans Herz gewachsen

Da Ströhle, das gesamte OK-Team sowie die rund 450 Helfer am Meeting-Wochenende allesamt ehrenamtlich mithelfen, spielt der soziale Benefit keine unwesentliche Rolle. Und der scheint zu stimmen.

„Mich freut es riesig, wenn die Leute aus dem Ort zu mir kommen und mir sagen, dass sie sich schon auf das nächste Meeting-Wochenende freuen. Mich kennt man in ganz Götzis. Wenn wir etwas benötigen, dann ist jeder sofort bereit zu helfen“, schwärmt Ströhle.

Abseits davon sind es die internationalen Kontakte, die innerhalb der Leichtathletik-Familie entstanden sind und gepflegt werden. „Unter den Sportlern gab es einige, wie etwa ein Jane Fredericks (USA; Anm.) oder ein Michael Smith (CAN), die einem über die Jahre ans Herz gewachsen sind. Dazu kommen freilich die Trainer und Funktionäre, die teilweise 20 Jahre hindurch hierherkommen. Da kratze ich das ganze Englisch zusammen, das ich habe, und schwätze mit ihnen“, schmunzelt er. „Das sind die Erlebnisse, von denen man zehrt und sich wieder darauf freut.“

  • Traurige und skurrile Momente

Niederlagen und Verletzungen gehören zum Spitzensport wie Pickel zur Pubertät. Sie sind verzicht-, jedoch kaum vermeidbar.

Doch der lebensfrohe Ströhle tut sich merklich schwer, sich an Trauriges im eigentlichen Sinne zu erinnern. „Schwierig zu sagen…aber wenn am Sonntagabend die Siegerehrung ist, treibt es dich schon zu Tränen. Sogar die härtesten Brocken müssen sich zusammennehmen, damit sie nicht so richtig loslegen.“

Auch Jessica Ennis gewann in Götzis

Vielmehr fallen dem Obmann des Vereins zur Förderung der Leichtathletik in Götzis skurrile Vorfälle ein. Wie etwa als in den 80er-Jahren ein Mannschafts-Arzt aus der DDR kurzerhand verschwand. „Plötzlich hat es am Sonntagnachmittag geheißen, dass er nicht mehr da ist. Der hatte sich einfach abgesetzt.“

Oder als sich der Deutsche Christian Schenk einst im Hochsprung verletzte und ihn der anwesende Arzt aus Schruns, der justament ebenfalls Christian Schenk hieß, umgehend operierte. Die Namensgleichheit verband. „Der freundschaftliche Kontakt besteht bis heute“, überwiegen bei Ströhle eindeutig die positiven Erinnerungen.

  • Der besondere Charakter

Was das Budget angeht, verfolgen die Veranstalter in Sachen Startgeld eine klare Linie: Es gibt keines. „Es war schon immer und ist bis heute so“, so Ströhle. Preisgeld hingegen gibt es sehr wohl. Dies geht vom Sieger (rund 14.000 Euro) bis runter zum Zehnten.

Auch Dreifach-Weltmeister und Olympiasieger O'Brien bekam keine Extra-Wurst
„Wir legen großes Augenmerk auf das Rundherum mit Unterkunft und Betreuung. Die Sportler wissen, dass sie bei uns gut aufgehoben sind.“

Da wird auch für Superstars keine Ausnahme gemacht, was auch der Grund ist, warum Dan O'Brien noch nie im Mösle zu bewundern war. „Der wollte neben seinem Coach auch noch seine halbe Familie mitnehmen. Wir sollten für Flug und alles aufkommen. So etwas ist in unserem Budget aber einfach nicht drinnen. Auch nicht für einen Olympiasieger.“

  • Die Unterstützer

Neben der breitaufgestellten Basis an ehrenamtlichen Helfern darf das Meeting auf eine fast 30-jährige Zusammenarbeit mit Sponsor Hypo zurückblicken. Eine Zusammenarbeit, die dem Vernehmen nach vor einer Verlängerung bis 2018 steht.

Geht es nach Ströhle, darf an dieser Stelle der bereits verstorbene Architekt Helmut Rainer nicht unerwähnt bleiben. „Als wir früher von der Gemeinde aus den Anbau an die Tribüne mit dem Fernsehturm, der Wasser-Aufbereitung und anderen Dingen gemacht haben, hat er die Planung übernommen. Nicht nur, dass er dies gratis gemacht hat, hat er den Statiker und andere involvierte Personen angewiesen, kein Honorar zu verlangen.“ Die Ersparnis habe sich auf rund eine Million Schilling belaufen. „Er hat für immer einen Platz in unserem Herzen.“

  • Die Österreicher

Bei der Frage nach dem beeindruckendsten heimischen Mehrkämpfer braucht Ströhle nicht lange zu überlegen: „Sepp Zeilbauer!“

Der Steirer, der sich dreimal für Olympische Spiele qualifizierte, dominierte gemeinsam mit Georg Werthner knapp ein Jahrzehnt lang den heimischen Zehnkampf und feierte in Götzis neben seinem Staatsmeistertitel 1973 zwei internationale Siege (1977, 1981).

Dadic qualifizierte sich 2012 für Olympia

Von solchen „Local Heroes“ können die Veranstalter heute nur träumen. „Diese Zeiten sind leider vorbei. Heute ist es schwierig für eine Randsportart wie Leichtathletik. Es gibt so viele Sportarten, die am Pool der Jugendlichen mitnaschen. Damit haben alle zu kämpfen“, meint Ströhler.

Nach der verletzungsbedingten Absage von Olympiastarterin Ivona Dadic ruhen die Hoffnungen auf Dominik Distelberger, der auf seinen ersten 8.000er losgeht, sowie Götzis-Debütant Dominik Siedlaczek.

  • Ein Ausblick

Wie spätestens die Golden-Roof-Challenge beweist, macht die Herausarbeitung des Event-Charakters auch vor der Leichtathletik nicht halt. Kurz, knackig, spektakulär soll der Sport an die Frau und den Mann gebracht werden. Attribute, die im Mehrkampf jedoch nur schwer umsetzbar scheinen und aus Sicht von Ströhle zumindest für Götzis auch keine Notwendigkeit darstellen.

Götzis kann sich auf eine treue Fan-Gemeinde zählen

„Das Wichtigste ist nun mal der Sport. Sicher, beim Züricher Meeting gehst du um halb acht ins Stadion und um ca. zehn ist das wieder fertig. Bei uns zieht sich der Wettkampf hingegen von Samstagvormittag bis Sonntagabend durch. Wenn da einer zwei Tage da ist, dann ist er wirklich ein Fan. Aber die haben wir gottseidank“, spricht er von der Wichtigkeit des Zustroms aus der Schweiz und Süddeutschland.

Richtig eingefleischte Anhänger nehmen sogar noch weitere Strecken in Kauf. „Da haben wir eine Gruppe aus der Nähe Hamburgs. Die kommen jetzt schon das 15. Mal und sind jedes Jahr an die sechs Tage da. Die kennen Götzis besser als mancher Einwohner. Mit dem Bürgermeister sind sie längst per du. Eine sensationelle Truppe!“

Mit Charme, Engagement und Tradition. Götzis eben.

 

Reinhold Pühringer