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Berggeflüster: LAOLA1 mit Filzmoser am Dachstein

Berggeflüster: LAOLA1 mit Filzmoser am Dachstein

Der Schnee knarrt unter unseren Schritten. Die Sonne brennt vom stahlblauen Himmel. Das Atmen fällt schwer.

Irgendwo über 2.500m Seehöhe fängt sie an. Die Rede ist von der „Komfortzone“ Sabrina Filzmosers. Während ich wie andere urbane Lebewesen meine leeren Akkus auf meiner Fernseh-Couch auflade, tut Österreichs erfolgreichste Judoka des vergangenen Jahrzehnts dergleichen in den Bergen. Am liebsten am Dachstein.

LAOLA1 hat mit der 34-Jährigen deshalb den Aufstieg gewagt. Der Lohn war nicht nur ein wunderbarer Ausblick, sondern auch tiefe Einblicke.

Startschuss im Tal

Sich mit der zweifachen Europameisterin für eine Berg-Tour zu verabreden, bringt erhebliche Erleichterungen mit sich. Da meine alpine Ausrüstung große Lücken aufweist, werde ich von der Welserin mit Schuhen, Hose, Helm, Gletscher-Brille, Handschuhen, Klettergurt, Steigeisen, Pickel und Sonnencreme ausgestattet.

Hört sich an, als wäre ich halbnackt in die Ramsau gefahren, aber wenn ich gefragt hätte, hätte ich mir bestimmt auch Unterwäsche ausleihen können. Doch das würde zu weit führen.

Nordische Sardinen

Der Morgen-Himmel macht klar: Auch Petrus hat heute Bock. Die Gondelfahrt auf den Gletscher auf rund 2.700 m fällt um acht Uhr unter die Kategorie „Sardinen-Dose“.

Diverse Nationalteams von Langläufern und Kombinierern zieht es aufgrund der perfekten Trainingsbedingungen ebenfalls sehr früh nach oben.

Während ich mich frage, ob ich gerade unwissentlich zwischen Olympiasiegern und Weltmeistern eingepfercht bin, kennt Filzmoser das Gedränge nur allzu gut. Schließlich war sie bereits unzählige Male auf ihrem Dachstein. „Alleine heuer um die 15 Mal“, gibt sie auf meine Frage eine vorsichtige Schätzung ab.

Raketen-Schauen am Nebelmeer

Der höchste Berg Oberösterreichs hat eine besondere Bedeutung für Filzmoser. Er ist mehr oder weniger ein Teil ihres Lebens. Dass er dies geworden ist, hat damit zu tun, dass ihre Tante ein Haus in der Ramsau besitzt. Von Kindesbeinen an entwickelte sich somit eine Bindung zur Dachstein-Region. Getragen von ihren Eltern, an deren Seite sie die Bergwelt kennen lernte.

Beim Aufstieg über einen in den Gletscher-Schnee getretenen Weg, vorbei an den bereits rege frequentierten Loipen-Ovalen, hin zum Einstieg in den Kletter-Steig, verrät Filzmoser, dass sie hier oben am liebsten Neujahr verbringt.

„Wenn dann im Tal manchmal Nebel liegt, schaffen es die Raketen gerade so über den Schleier hinaus und wirken deshalb wie kleine Blumen“, schildert sie mit leuchtenden Augen.

Mit einem kaputten Knöchel

Doch der Berg stellt für die Heeressportlerin auch eine Art Gradmesser dar, um zu sehen, wie fit und belastbar sie ist.

Nur wenige Wochen nach ihrem komplizierten Trümmerbruch im Oberarm, den sie sich im EM-Finale 2013 zugezogen hatte, nahm sie das Gipfelkreuz bereits wieder in Angriff. Auf eigene Faust und mit nur einem funktionstüchtigen Arm.

Ihre grenzwertigste Dachstein-Begehung war jedoch eine andere. „Einmal bin ich mit einem gebrochenem Sprunggelenk hier rauf“, verrät Filzmoser während wir uns einer Gletscherspalte nähern, über die eine Art Schneebrücke führt.

Warum sie das gemacht hat? „Es haben mir damals viele gesagt, dass ich das operieren lassen muss. Ich wollte mir aber beweisen, dass ich das nicht brauche. Dass es ohne auch geht“, hält Filzmoser während des Aufstiegs inne, um kurz durchzuschnaufen. Das zeigt mir, dass nicht nur ich mit der Höhenluft zu kämpfen habe. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob sie mit den kurzen Pausen vielleicht nur Rücksicht auf mich nimmt.

Nicht nach außen getragen

Nicht nach außen getragen
Filzmoser-Selfie vom Aufstieg mit LAOLA1

Ihr Husaren-Stück mit dem kaputten Knöchel konnte sie erfolgreich bewältigen, doch Spaziergang war es freilich keiner. „Ich war am Ende vollkommen entkräftet, hatte blutige Hände vom Stahlseil“, erinnert sie sich.

In der Öffentlichkeit spricht sie allerdings nur sehr ungerne über ihre unzähligen Verletzungen. Es wirkt, als wolle sie die Blessuren nicht in den Vordergrund stellen.

Mir fällt dazu ein Gespräch mit Kanute Helmut Oblinger ein, der mir verriet, dass Filzmoser bei den Olympischen Spielen in Peking mit einer gebrochenen Zehe an den Start gegangen war, dies aber davor und danach nie erwähnt hatte.

Wahrscheinlich macht sie das, damit so eine Verletzung am Ende nicht für eine Ausrede gehalten wird. Nicht von den Medien und schon gar nicht vom eigenen Unterbewusstsein. Denn hart zu sich selbst ist sie zweifellos.

Die „falschen“ Charakterzüge

Die Brücke über die Gletscherspalte überqueren wir einzeln, mit etwas Abstand, um im Falle des wortwörtlichen Falles einander helfen zu können. Das Passieren verläuft problemlos. „Darum geht man immer morgens auf einen Gletscher, weil da Schnee und Eis tragfähiger sind“, erklärt mir Filzmoser und holt die Steigeisen hervor.

Da ich so etwas nur aus Filmen kenne, hilft sie mir beim Anlegen. Ganz ruhig, unaufgeregt und geduldig macht sie das. Ich frage sie, ob sie eine gute Trainerin wäre. Sie überlegt kurz, schüttelt aber den Kopf. „Im Anfängerbereich vielleicht schon, aber sobald es um Leistung geht eher nicht, weil ich erstens sehr hohe Ansprüche an die Athleten hätte und zweitens nicht der Typ bin, der Leuten in den Arsch tritt. Ich finde, dass jeder Sportler soweit sein muss, dass er weiß, was er will und was er dafür bereit ist zu tun. Aber ich habe im Laufe der Jahre mitbekommen, dass es viele Athleten gibt, die den täglichen Tritt brauchen.“

Dieses Maß an Reife und Eigenständigkeit sind Eigenschaften, anhand derer Filzmoser selbst beschrieben werden kann. Im Judo-Nationalteam werden der zweifachen WM-Medaillengewinnerin deshalb auch Freiheiten wie etwa ein separates Konditionslager gewährt. Diesen Bonus zahlt sie mit Erfolgen zurück, die sie aktuell an die sechste Stelle der Weltrangliste hieven.

Angehängt und abhängig

Auf den letzten, recht steilen Metern bis zum Einstieg in den Klettersteig gehe ich mit dem Pickel zu Werke. Ich fühle mich wie ein echter Bergsteiger.

Als sich Filzmoser wenig später mit den beiden Karabinern, die durch Seile mit ihrem Klettergurt verbunden sind, am Stahlseil des Steigs einhängt, meint sie kurz: „Normalerweise hängt man sich immer zweifach ein.“

Was heißt „normalerweise“? Filzmoser: „Wenn ich alleine hier bin, tue ich das aus Zeitgründen meistens nicht“, gibt sie zu verstehen, dass das Gelände keine große Herausforderung für sie darstellt.

Modischer Auftritt

Modischer Auftritt
Der Beweis: Wir waren oben

Wir treffen am Weg einen Ramsauer, der – wie sich herausstellt – bereits 80 Lenze zählt. Nicht nur das Alter, auch seine stil-echte Ausrüstung ringen uns Verwunderung ab. Wollene Wanderstutzen und Hut, statt Klettergurt und Helm – das macht etwas her.

Ob wir mit 80 auch noch so agil sind? „Ganz bestimmt. Das ist ja alles Vorsorge“, meint Filzmoser. Wobei mir ich da für meinen Teil nicht so sicher bin.

Bei Filzmoser kann ich mir das gut vorstellen. Schließlich zieht sie das Hinausschieben von Grenzen förmlich an, was wiederum ihre Verehrung für Bergsteiger-Legende Reinhold Messner erklärt.

„Man muss sich immer vor Augen führen, dass Messner damals sein ganzes Umfeld sowie die Ärzte erklärt haben, dass es einfach unmöglich sei, einen 8.000er ohne Sauerstoff-Gerät zu besteigen. Er hatte aber so viel Vertrauen in sich, dass er es dennoch getan hat“, sagt Filzmoser über den seit kurzem 70-jährigen Pionier. „Egal ob am Berg oder im Sport – was wir machen, ist nur ein Nachmachen von Dingen, die Leute wie er sich getraut haben.“

Selbst einmal einen 8.000er zu besteigen, reizt sie jedoch nicht. Neben den Kosten schreckt sie vor allem die übermäßige touristische Verwertung der höchsten Berge der Welt ab.

Desinfektion auf höchster Stufe

Nach einem rund zweistündigen Marsch über Schnee, Eis und Fels taucht plötzlich der Gipfel unmittelbar über uns auf. Ein mit bunten Fähnchen behangenes Kreuz aus Metall-Streben manifestiert den höchsten Punkt Oberösterreichs auf knapp 3.000 m Seehöhe.

Wir gratulieren uns zum Gipfel-Sieg und ziehen uns etwas Warmes über, ehe ich von Filzmoser einen Crashkurs bekomme, wie die umliegenden Berge und Ortschaften heißen. Da ich mehr der reine Genießer bin, merke ich mir nicht viel, nicke die Erläuterungen aber interessiert ab.

Die Jause wird ausgepackt. Filzmoser zieht einen Flachmann aus einer Seitentasche ihres Rucksacks. „Mir wurde letztens gesagt, dass man am Berg immer einen Schnaps mithaben muss, um Wunden desinfizieren zu können“, grinst sie und reicht mir das Fläschchen, dessen Inhalt von ihrem Onkel kommt.

Ich nehme einen Schluck und befinde ihn für sehr geschmackvoll. „Ich kann das nicht beurteilen, für mich brennt das einfach nur“, verzieht Filzmoser, die nur bei besonderen Anlässen mit Alkohol anstößt, nach einem Nipper das Gesicht.

Und da wird mir wieder bewusst, dass sie doch mehr Sportlerin als Bergführerin ist.

 

Vom Dachstein berichtet Reinhold Pühringer

Als brave „Lehrerin“ tut sie es dann aber doch und muss sich somit genau wie ich zwischen den Stahlseilen, die nach wenigen Metern wieder enden, immer umhängen. Das scheint sie aber nicht weiter zu stören. Sie meint, dass es sie viel mehr störe, wenn sie in gefährlichen Situationen anderen blind vertrauen müsse. Wie beispielsweise im Vorjahr, als sie bei einer Tour auf den 6.814 m hohen Ama Dablam im Himalaya von einem Schneesturm überrascht wurde.

Durch Glück entkam ihre Expeditionsgruppe, die noch aus zwei finnischen Alpinisten und fünf Sherpas bestand, einer Tragödie. Im Gegensatz zu anderen Bergsteigern, denen der Sturm zum Verhängnis wurde. Ungern erinnert sich Filzmoser an das Gefühl, neben der Witterung auch auf die Einschätzung anderer angewiesen zu sein. „Es bleibt dir nichts übrig, als die Ruhe zu bewahren. Etwas anderes kannst du nicht machen.“

Kurz überlege ich, ob ich heute in einer ähnlichen Situation bin, lege den Gedanken angesichts des Kaiser-Wetters und meiner doch recht vertrauenswürdigen Bergführerin aber schnell wieder ad acta.

Rauer Umgang

Behände erklimmt Filzmoser Meter für Meter am steilen Felsen. Ich versuche ihr zu folgen, weiß aber, dass ich sie in Wahrheit bremse. Sie lässt mich das aber nicht spüren, schiebt stattdessen sogar die eine oder andere kurze Pause ein. Für ein Selfie oder etwas Panorama-Schauen.

Ich nütze einen dieser Stopps, um mir die ausgeborgten Handschuhe anzuziehen, da das Stahlseil bereits erste Spuren hinterlassen hat. Filzmoser macht diesbezüglich keine Anstalten. „Das ist gut für die Hornhaut auf den Händen, die ich dann für das Seilklettern brauche“, schmunzelt sie. Unter Judoka ist Seilklettern eine gängige Trainingsmethode, um sich die notwendige Griff-Kraft anzueignen.

Die Bewegungen am Fels weisen Ähnlichkeiten auf. Dass Berg-Touren gut für die Grundlagen-Ausdauer sind, dürfte ohnehin jedem klar sein.