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"Judo ist dort so wie bei uns Skifahren"

Peter Seisenbachers schwimmt wieder auf der Welle des Erfolgs.

Der 52-Jährige mischt als georgischer Teamchef derzeit den Judo-Weltcup auf.

In Oberwart etwa gewannen die Seisenbacher-Schützlinge mit zwei Mal Gold sowie je einer Silbernen und Bronzenen den Medaillenspiegel. Etwas, das den Seisenbacher-Schützlingen beim Saisonauftakt in Tiflis in noch eindrucksvollerer Manier gelang, als sie sechs von insgesamt sieben möglichen ersten Plätzen holten.

Kurzum: Das kleine Georgien mischt mit den Schwergewichten mit.

Nicht immer unumstritten

Für den Wiener eine Bestätigung seiner Arbeit. Eine Bestätigung, die auch notwendig war, schließlich stand er nach der der mauen WM 2011 (nur eine Bronzene) bereits zur Diskussion.

„Die Verbandsleitung ist aber der Meinung, dass ich bis zu den Olympischen Spielen weitermachen soll“, erklärt der Doppel-Olympiasieger.

Im LAOLA1-Interview gibt Seisenbacher einen tiefen Einblick in das Judo-Wunderland Georgien und stellt der heimischen Szene eine wenig schmeichelhafte Diagnose:

LAOLA1: Herr Seisenbacher, wie darf man sich die Arbeit als georgischer Teamchef vorstellen? Sind Sie viel in Georgien?

Peter Seisenbacher: Nein, 95 Prozent der Zeit sind wir unterwegs. Entweder sind wir in Trainingslagern oder bei Wettkämpfen. Es ist fast alles durchgeplant. Ich fahre nur zum Wäschewechseln nach Hause.

LAOLA1: Judo besitzt in Georgien einen immens hohen Stellenwert. Wo liegen da die Unterschiede zu Österreich?

Seisenbacher: Judo in Georgien muss man sich so wie Skifahren bei uns vorstellen. Es kennt sich jeder aus, es hat jeder schon irgendwann einmal gemacht, es kennt jeder die Stars und es ist auch wichtig, ob sie Erfolg haben. Georgien hat vier Millionen Einwohner, das bedeutet, dass es auch vier Millionen Head Coaches gibt, die dir am Montag nach dem Wettkampf genau sagen, warum du gewonnen oder verloren hast.

LAOLA1: Das heißt, dass sich auch die Medien darauf stürzen.

Seisenbacher: Nicht nur das, selbst die Politik hat großes Interesse am Judo. Das bedeutet aber auch, die hohe Politik spricht überall mit, versucht, das Beste herauszuholen, schaut sehr genau, was passiert. In den Zeitungen wird alles kommentiert. Die TV-Sender berichten sogar über kleinste Entscheidungen. Als wir die Aufstellung für das nächste Turnier preisgaben, kamen fünf Fernseh-Stationen zur Pressekonferenz. Als wir beim Heim-Weltcup in Tiflis relativ gut abgeschnitten haben, wurde die komplette Mannschaft am nächsten Tag im Ministerium empfangen. Außerdem haben sie unglaubliche zwei Millionen US-Dollar als Prämie auf den Olympia-Sieg ausgesetzt, der für einige Georgier durchaus in Reichweite ist. Sprich: Da geht es um sehr viel.

Seit Juli 2010 betreut Peter Seisenbacher das georgische Nationalteam

LAOLA1: Was wird im Trainingsalltag anders gemacht als in Österreich?

Seisenbacher: Der Umfang ist viel geringer. Als ich gekommen bin, haben sie, wenn es gut geht, vier Mal pro Woche trainiert und dann haben sie gerade einmal fünf Randoris (Sparing-Runden; Anm.) gemacht. Sie haben mir zwar versichert, dass sie in der Früh in ihren Dörfern - in denen die meisten von ihnen leben - Laufen gehen, Holzhacken, Hendljagen oder was weiß ich. Aber im Endeffekt war es jedem selbst überlassen. Das habe ich umgestellt, habe versucht, internationales Niveau hineinzubringen. Die Alten haben protestiert, die Jungen haben eingesehen, wenn sie nicht mitziehen, sind sie nicht in der Mannschaft. Einige Ältere haben allmählich umgeschwenkt. Da ich ihnen gezeigt habe, was in Japan oder anderswo los ist, sehen sie langsam ein, dass die Welt ein wenig mehr macht.

LAOLA1: Themenwechsel: Wie beurteilen Sie aus der Ferne die aktuelle Situation in Österreich?

Seisenbacher: Es hat sich nichts geändert. Die Situation ist genauso wie vor zwei Jahren. Wir haben eine alte Stamm-Mannschaft, die sich schön langsam verabschiedet. Da gibt es Höhen und Tiefen, da diese routinierten Leute verletzt oder auch einmal außer Form sind. Und dann gibt es eine junge Nachwuchs-Mannschaft, die allerdings nicht die Qualität hat. Das haben wir allerdings schon vor zwei Jahren gewusst. Die machen die Lücke nicht zu. Bei Olympia werden hoffentlich die Alten noch einmal dem Verband Erfolge bringen, danach wird es allerdings schwer.

LAOLA1: Wo würden Sie den Hebel ansetzen?

Seisenbacher: Ich glaube, dass es für das österreichische Judo keine schnellen Reparatur-Lösungen gibt. Ich denke, dass da jemand eine seriöse, langfristige Aufbau-Arbeit machen muss.

Das Interview führte Reinhold Pühringer

LAOLA1: Österreich kommt auf knapp über 20.000 eingeschriebene Judoka. Georgien?

Seisenbacher: Das ist nicht so klar zu bestimmen, weil sie keine Mitgliedschaften im Verband haben. Im Nachwuchsbereich haben sie sehr viele. Bei den Erwachsenen kann ich pro Gewichtsklasse aus einem Kreis von zehn international guten Kämpfern schöpfen. Sie haben ein traditionelles Ringen namens Chidaoba, das ist quasi wie der Standkampf im Judo nur auf Sägespäne. Ein bisschen wie bei uns das Ranggeln. Es ist allerdings kein Bodenkampf dabei. In den georgischen Dörfern macht das praktisch jeder Bub. Auch die Judo-Kämpfer gehen an den Wochenenden ringen, manchmal auch zum Sambo (Mischung aus Jiu-Jitsu und Ringen; Anm.). Bei den georgischen Judo-Meisterschaften kommen sie alle zusammen. Die Ersten erhalten ein Jahresgehalt, die Zweiten und Dritten bekommen auch noch etwas. Bis zum Sechsten, Siebten zurück dürfen sich die Leute Hoffnungen auf internationale Einsätze machen.

LAOLA1: Welche Rolle genau spielen Sie in diesem System?

Seisenbacher: Georgien hat genügend gute Trainer. Diese waren aber allesamt in den alten Regeln verhaftet. Sie haben ihren ganz eigenen Stil aus dem Chidaoba entwickelt. Da wurde viel mit den im Judo mittlerweile verbotenen Beingreifern gearbeitet. Sie haben sich nicht mehr hinausgesehen. Hätten sie wieder einen ihrer alten Trainer genommen, wären sie Gefahr gelaufen, dass die Mannschaft die alten Fehler immer wieder macht. Deshalb haben sie jemanden von außen geholt, der die klassisch japanische Technik mitbringt und der auch ein Set an Trainingslagern anbietet. Sie waren beispielsweise vor meiner Zeit noch kein einziges Mal in Japan. Da strecke ich jetzt meine Fühler aus und vereinbare Kooperationen. Dadurch entwickeln wir einen neuen Stil. Ich versuche, ihnen mehr Bodenkampf und Griff-Varianten zu zeigen. Das ist eine sehr junge Mannschaft, mit 20, 21 Jahren, die erst am Karriere-Beginn steht.