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Ein Jedermann

Ein Jedermann

„Ich weiß nicht, warum du dir das antust“, schüttelte John Daly den Kopf, als er den völlig verschwitzten Tiger Woods aus der Kraftkammer kommen sah.

„Wenn ich dein Talent hätte, müsste ich das nicht tun“, erwiderte Woods.

Diese Anekdote ist Beweis genug: John Daly hatte alles, um einer der erfolgreichsten Golfer aller Zeiten zu werden.

Wirklich alles? Naja. Fast alles. Ihm fehlten die richtige Einstellung und die nötige Konsequenz.

Ein Jedermann

1991 kam der Kalifornier aus dem Nichts und gewann völlig überraschend die PGA Championship. Doch anstatt anschließend Erfolg um Erfolg einzuheimsen, leistete sich Daly eine unfassbare Reihe an Fehltritten. Besser gesagt: In der Spur war er nur überaus selten.

Der Golfer soff, zockte, stritt mit seinen Frauen, rastete am Platz aus und trat in jedes nur erdenkliche Fettnäpfchen. Doch auch deshalb lieben ihn die Fans. Wenn Daly bei einem Turnier vorne mit dabei ist, schnellen die Einschaltquoten auch heute noch in die Höhe.

Daly ist ein Jedermann, ein Underdog. Kein aalglatter Profi. Otto Normalverbraucher und Max Mustermann können sich mit ihm identifizieren.

Die einzige Konstante

Bereits in seiner Kindheit war der Golfsport die einzige Konstante in seinem Leben. Nachdem Vater Jim als Atomkraftwerk-Ingenieur ständig unterwegs war, mussten sich seine Kinder Leslie, Jamie und eben John anderweitig Unterhaltung suchen.

Im Alter von vier Jahren entdeckte John die Faszination Golf. Immer wieder musste die Familie umziehen, immer wieder fand der Junge in der Nähe einen Platz vor, auf dem er seiner Leidenschaft frönen konnte.

Für einen Außenseiter war das genau der richtige Sport. John hatte kaum Freunde, also beschäftigte er sich mit sich selbst – und dem Schläger. Oft drehte er seine Runden mit Erwachsenen, denen er schon früh das Wasser reichen konnte. Es wird erzählt, dass er bereits als Zwölfjähriger weiter abschlug, als die meisten seiner ausgewachsenen Mitstreiter.

In diesem Alter gewann Daly auch ein Turnier des Lake of the Woods Country Club in Fredericksburg, Virgina, wo seine Familie damals lebte. Wohlgemerkt: Ein Turnier für Erwachsene. Seine Rivalen mussten diese Schmach über sich ergehen lassen. Aber nur ein einziges Mal. Anschließend wurden Kinder von der Teilnahme an diesem Turnier ausgeschlossen.

Der Sohn eines Alkoholikers

Zwei Jahre später, mit 14, lernte der heute 45-Jährige seine zweite große Liebe kennen: Jack Daniel’s. Wie auch sein Vater, sollte John im weiteren Verlauf seines Lebens dem Whiskey verfallen.

„Ich habe ihm das Trinken beigebracht. Meine Mutter hat mich daheim trinken lassen. Ich habe meine Kinder daheim trinken lassen“, erzählt Jim Daly. Seit 2002 ist er trocken. Doch davor spielten sich im Hause Daly phasenweise unschöne Szenen ab.

Über die Erziehung seiner Kinder sagt der Herr Papa: „Ich habe sie mit eiserner Faust erzogen. Ich kannte keinen anderen Weg.“ John versuchte, den schief hängenden Haussegen hinter sich zu lassen. Mit Golf und Alkohol.

John Daly gibt es nur mit Zigarette

Auf einer Mission

„Es hat den Anschein, als ob ich alles getan hätte, als ob ich auf einer Mission wäre. War es der Alkohol, wollte ich so viel trinken, bis ich nicht mehr geradeaus schauen konnte. War es Golf, wollte ich alle schlagen. Waren es Autos, wollte ich schneller als alle anderen sein“, erinnerte er sich vor kurzem.

Doch die Fans hielten weiterhin zum „PGA Tour Rookie of the Year 1991“. Sein legendärer „grip-it-and-rip-it“-Stil war auch tatsächlich bewundernswert. Daly machte sich keine großen Gedanken, er nahm den Schläger und spielte einfach. Eine Studie des „Golf Magazine“ besagte, dass er 21,1 Sekunden für einen Putt, 18,7 für einen Drive und 15,6 für einen Schlag mit dem Eisen benötigt. So schnellentschlossen ist kein anderer Profi-Golfer.

1995 stellte der Superstar, der 2002 eine Country-CD veröffentlichte, sein Können auch wieder auf einer großen Bühne unter Beweis. Überraschend gewann er die British Open – sein zweiter und bis dato letzter Major-Titel. Doch es sollte nur ein kurzes Aufflackern sein.

Eskapaden ohne Ende

In weiterer Folge verbrachte Daly seine Tage wieder damit, gegen alle Konventionen zu verstoßen. Bei einem Turnier schlug er den Ball von einer vollen Bierdose ab, einmal gab er ein Interview auf einem Golfplatz und trug dabei weder Shirt, noch Schuhe oder Socken. Bei sportlichen Misserfolgen warf er Schläger ins Wasser und rauschte einfach ab.

Entziehungskuren, Scheidungen (insgesamt waren es vier) und Sperren der PGA waren die logischen Folgen. Doch Daly kam vom Alkohol einfach nicht los. „Ich war nie im Stande, einfach drei, vier Bier zu trinken. Eines war zu viel und zehn nicht genug. So war es eigentlich seit der High School“, erinnert er sich.

So zogen die Jahre ins Land und nichts sollte sich ändern. Positive Schlagzeilen waren rar gesät, negative dafür umso häufiger. 2008 wurde er von der PGA wieder einmal gesperrt – diesmal für ein halbes Jahr.

1983, John war 17 Jahre alt, trennten sich die Wege. Seine Eltern übersiedelten abermals, der Teenager blieb aber bei seinem großen Bruder in Arkansas. Fortan genoss er das Studentenleben. Untertags stand Golf auf dem Programm, in der Nacht Feiern bis zum Umfallen. Dementsprechend sahen auch seine Noten aus.

Die "Cola light und Jack Daniel’s"-Diät

Doch das war dem Blondschopf egal. Seit einiger Zeit trug er den Gedanken, ein echter Profi zu werden, mit sich herum. Seine Erfolge auf Universitäts-Ebene bestärkten ihn darin. Doch Steve Loy, der Golf-Coach der University of Arkansas, war damit noch nicht zufrieden.

Daly sollte sein Übergewicht loswerden. Als 18-Jähriger brachte der 1,80 Meter große US-Amerikaner 102 Kilogramm auf die Waage. Eine strikte Diät wurde angeordnet. Und der Golfer fand auch prompt eine Methode, um rasch Gewicht zu verlieren: Weniger essen, mehr trinken.

Hopfen und Malz war nicht mehr sein Bier, der Student stieg endgültig auf Cola light und Jack Daniel’s um. Eine gesundheitlich verheerende Entscheidung. Wenngleich sie vorerst Früchte trug. Binnen kurzer Zeit wog das Talent nur noch 77 Kilogramm.

Erst viele Jahre später konnte er folgende Erkenntnis zu Protokoll geben: „Ich habe gelernt, dass man nicht Whiskey trinken und Golf spielen kann.“ Damals sah er das noch anders. Zur Tee-Time einen im Tee zu haben, war für ihn keine große Sache.

Und der Erfolg gab ihm zunächst auch Recht. 1990 – zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits seine erste Scheidung hinter sich – zertrümmerte Daly auf der South Africa Tour im Suff ein Hotelzimmer und gewann tags darauf das Turnier.

Mit einem "Blindenhund"

Im Jahr darauf ging sein Stern schließlich auf. Von heute auf morgen. Sein Sieg bei der PGA Championship im Crooked Stick Golf Club in Carmel, Indiana, machte Daly über Nacht zum Superstar.

Dabei sollte das Schwergewicht – die Diät-Erfolge währten nicht lange – gar nicht mit von der Partie sein. Vielmehr kam seine Teilnahme einem Wunder gleich. Daly war auf der Warteliste an neunter Stelle gereiht. Unglaublicherweise sagten tatsächlich neun Spieler ab (siehe Factbox rechts).

Noch nie zuvor hatte der Youngster die 18 Löcher von Crooked Stick zu Gesicht bekommen. Eine denkbar schlechte Voraussetzung, um bei einem Major anzutreten. Also musste ein platzkundiger Caddie her, der in Jeff „Squeaky“ Medlin gefunden wurde.

Billy Andrade, der in Dalys Gruppe spielte, erinnert sich: „Bei jedem Loch hat er gefragt: ‚Wo muss ich ihn hinschlagen, Squeaky?‘ Er war wie ein Blinder mit einem Blindenhund.“ Doch das Duo harmonierte ausgezeichnet.

Weit, weiter, Daly

Auch, weil der mit 7.289 Yards zweitlängste Kurs der PGA-Geschichte dem Nobody wie auf den Leib geschneidert war. Wenn der gebürtige Kalifornier etwas besser konnte, als alle anderen, dann war es, den Ball weit zu schlagen.

In der „Howard Stern Show“ behauptete Daly einmal, einen Golfball auf einer Landebahn des L.A.-Flughafens 806 Yards (740 Meter) weit abgeschlagen zu haben.

„Ich habe noch nie jemanden gesehen, der den Ball so weit bringt“, war selbst die Legende Jack Nicklaus, Dalys großes Vorbild, beeindruckt. Während die Konkurrenz mit diversen Problemfeldern zu kämpfen hatte, drosch der unbekümmerte Neo-Profi den Ball einfach darüber hinweg.

Die Geburt einer Legende

Zudem puttete er exzellent. Andrade erzählt: „Er hat wie ein Kind geputtet. Er hat die Putts brutal ins Loch gerammt. Mit gefühlten 160 km/h. Das hat gezeigt, wie viel Selbstvertrauen er hatte.“

Am zweiten Tag ging der krasse Außenseiter sensationell in Führung und war bereits Everybody’s Darling. Ein Kettenraucher (Marlboro Medium), der mit dem Publikum Schmäh führt und spektakulär spielt – die Fans liebten ihn. Letztlich entschied der Rookie das Turnier mit drei Schlägen Vorsprung für sich. Die Legende des „Long John Daly“ war geboren.

Und jeder wollte ein Stück davon. Zehn Millionen US-Dollar soll der Neo-Superstar innerhalb des nächsten Jahres an Werbeeinnahmen auf seinem Konto verbucht haben. Doch der US-Amerikaner konnte mit dem Ruhm nicht umgehen. Seine Ergebnisse waren ernüchternd, seine Trinkgelage das Gegenteil.

Zwischen Charity und Handgreiflichkeiten

Dabei war Daly nie der „Bad Boy“, als der er oft dargestellt wurde. Kaum ein anderer Golfer nahm an derart vielen Charity-Events teil, spendete mehr Geld für wohltätige Zwecke. „Er ist eine der großzügigsten und nettesten Seelen. Die Geschichten über seine Großzügigkeit sind legendär. Die einzige Person, zu der er jemals nicht nett war, ist er selbst“, meinte einmal der irische Golf-Pro David Feherty. Doch das Engagement wurde von Negativ-Schlagzeilen überschattet.

Der vorläufige Tiefpunkt war zu Weihnachten 1992 erreicht, als der Golfer gegenüber seiner damaligen Frau handgreiflich wurde und verhaftet wurde. Zu diesem Zeitpunkt habe er Selbstmord-Gedanken gehegt, gab er einmal zu. Ein 30-tägiger Aufenthalt in einer Entzugsklinik war die Folge.

Anschließend machte Daly, der stets mit einem Luxus-Wohnwagen von Turnier zu Turnier reist, jedoch dort weiter, wo er aufgehört hatte. Zu seinem Alkohol- hatte sich mittlerweile auch ein veritables Glücksspiel-Problem gesellt. 50 bis 60 Millionen US-Dollar will er nach eigenen Angaben im Laufe seines Lebens verzockt haben.

Der Geläuterte

Und siehe da, die Auszeit tat dem „enfant terrible“ gut. Der 45-Jährige entsagte dem Alkohol, unterzog sich einer Magenverkleinerung und nahm rund 35 Kilogramm ab.

John Daly, der Geläuterte. „Ich liebe diesen Sport, der mein Leben bedeutet. Das wollte ich nicht so einfach wegschmeißen. Deshalb habe ich mich für dieses neue Leben entschieden“, erklärte er. Statt Bier und Whiskey zu trinken, futtert er nunmehr M&M’s. Nur das Rauchen hat sich der Superstar immer noch nicht abgewöhnt.

Sein Gewichtsverlust hat aber in sportlicher Hinsicht einen negativen Aspekt. Dalys Schwung hat arg darunter gelitten. Die Umstellung macht „Long John“ immer noch Probleme.

Der Mann mit den bunten Hosen

Doch der Vater dreier Kinder hat einen anderen Weg gefunden, um für Aufsehen zu sorgen. Seit geraumer Zeit trägt er schrille, bunte Hosen. „Ich habe eine Menge Spaß mit den Klamotten. Sie verschönern jeden meiner Tage, an dem ich sie trage. Meine Kollegen sehen mit ihrem Grau, Blau und Schwarz doch alle gleich aus“, kommentiert er seinen neuen Stil. 20 bis 25 verschiedene Hosen habe er bei jedem Turnier in seinem Koffer.

Dass Daly mit sportlichen Leistungen noch einmal derart auffällt, wie er das aktuell mit seinen bunten Hosen tut, ist wiederum eher nicht zu erwarten.

Das sind aber auch schon die einzigen Sorgen, die er hat. Denn all die negativen Schlagzeilen über all die Jahre hinweg hatten einen großen Vorteil.

„Ich habe keine Leichen im Keller. Eine Sache, die ich über mein Leben sagen kann, ist, dass ich jeden Morgen aufwache und mir keine Sorgen machen muss, ob jemand irgendetwas über mich herausfindet“, sagt Daly.

Eine Sorge, die Tiger Woods mittlerweile auch nicht mehr plagt. Abgesehen davon konnten die Karrieren der beiden Golfer unterschiedlicher nicht verlaufen.

Harald Prantl