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Schlechtes Timing für Zweifel an Flacco

Schlechtes Timing für Zweifel an Flacco

Dummheit oder bloß der Ravens-spezifische Weg der Eigenmotivation?

Baltimores Quarterback Joe Flacco muss sich schon eine ganze Weile mit der lästigen Frage, wie groß eigentlich sein Anteil am Erfolg des Teams ist, herumschlagen.

Ausgerechnet vor dem großen Showdown um die AFC-Krone gegen New England gießt mit Superstar-Safety Ed Reed ein Mitspieler bezüglich dieser Zweifel Öl ins Feuer.

Auch wenn Baltimore bekanntlich kein Hort für Memmen ist: Es gibt, vorsichtig ausgedrückt, idealere Zeitpunkte als die Woche vor einem Championship Game, um eine Grundsatzdiskussion über den eigenen Quarterback zu führen.

Sieg gegen Houston kein Ruhmesblatt

Aber der Reihe nach: Schon vor dem glanzlosen 20:13 Erfolg der Ravens in den Divisional-Playoffs gegen Houston fühlte sich Flacco in der Öffentlichkeit nicht genügend wertgeschätzt.

„Ich bin mir sicher, wenn wir gewinnen, werde ich mit dem Sieg nichts zu tun haben, zumindest wenn es nach euch geht“, verlautbarte der 26-Jährige gegenüber den Medienvertretern.

Star-Spieler und Teamleader: Reed sieht Flaccos Leistung kritisch

„So kann er gegen die Patriots natürlich nicht spielen“, legte der 33-Jährige nach. Aussagen, die selbstverständlich einem Tiefschlag gleichen. Speziell zu diesem Zeitpunkt der Saison und in einem Sport, in dem Teamspirit besonders groß geschrieben wird.

Und Aussagen, die Flacco am falschen Fuß erwischten. „Als ich das im TV hörte, dachte ich mir: ‚Was geht denn jetzt ab‘? Aber wir haben darüber gesprochen. Wir sind ein Team. Es ist keine so große Sache. Ich nehme es ihm auch nicht übel. Es ist Ed“, versuchte der Spielmacher seine Irritation herunterzuspielen.

Flacco, der Playoff-Stammgast

Mal abgesehen vom fragwürdigen Timing der Reed’schen Kritik vor einem derart wichtigen Spiel sind für den früheren Erstrunden-Draftpick teaminterne Zweifel an seiner Person in seiner aktuellen Lage besonders bitter.

Denn es ist durchaus verständlich, dass Flacco aus seiner subjektiven Sicht die Diskussionen um seine Person nicht nachvollziehen kann. Aus seinem Blickwinkel ist er vor allem eines: ein Gewinner.

Als erster Quarterback seit der Fusion von NFL und AFL im Jahr 1970 führte er sein Team in jedem der ersten vier Karriere-Jahre in die Playoffs. Zum Drüberstreuen gab es dort Jahr für Jahr zumindest einen Sieg.

Zu einer Super-Bowl-Teilnahme hat es jedoch noch nicht gereicht. Kritiker seiner Person würden den Hauptanteil am Ravens-Erfolg ohnehin der für gewöhnlich hammerharten Defense und dem konstant guten Laufspiel zuschreiben.

Anfällig für Turnover

In der Tat ist Flacco trotz einer hervorragenden Regular-Season-Bilanz von 44 Siegen und 20 Niederlagen selten gezwungen, ein Spiel im Alleingang zu gewinnen.

Von den Traum-Statistiken der Kollegen Drew Brees, Aaron Rodgers oder Sonntags-Gegner Tom Brady war er mit seinen 3610 Passing-Yards und 20 Touchdown-Pässen auch heuer weit entfernt.

Nun, Baltimore hat gewonnen, und Flacco hatte gegen die starke Defense der Texans nicht nichts mit dem Erfolg zu tun, aber auch nicht unbedingt so viel, um Werbung in eigener Sache zu betreiben.

14 seiner 27 Passversuche hat er an den Mann gebracht, darunter zwei Touchdown-Pässe. Dass die Ravens trotz vier von ihrer Defense erzwungener Turnover trotzdem lange zittern mussten, ist wiederum nicht gerade ein Ruhmesblatt für die Offense.

„Sah aus, als hätte er die Offense nicht im Griff“

Vor allem für Flacco, dessen Performance Reed alles andere als beeindruckte. Speziell, weil Houston mit Star-Running-Back Ray Rice den gefährlichsten Ravens-Angreifer relativ gut im Griff hatte, was seiner Meinung nach Räume für das Passspiel hätte öffnen müssen.

„Houston hat viele Leute in die Box gestellt und ihm somit das Passspiel überlassen. Ich denke, einige Male hätte er den Ball früher loswerden müssen. Ich weiß nicht, wie viel am Playcalling lag, aber es hat einfach nicht danach ausgesehen, als hätte er die Offense im Griff“, analysierte Reed wenig charmant.

Seit Woche 3 gelangen ihm in keinem Spiel mehr als zwei Touchdown-Pässe. Besorgniserregend: In 13 der 16 Regular-Season-Spiele beging er zumindest einen Turnover (insgesamt zwölf Interceptions und sechs Fumbles).

Mag nicht gut klingen, Fakt ist jedoch: Baltimore ist nach wie vor im Titelrennen, und mit einem Nichtsnutz als Quarterback wäre dies in der NFL so gut wie unmöglich.

„My quarterback…“

Weswegen sich nach den kritischen Tönen Reeds durchaus auch einige öffentliche Fürsprecher fanden. Allen voran Linebacker Terrell Suggs, der sich auf ESPN ebenso energisch wie schützend vor „my boy“ stellte.

„Ich würde Joe nie abschreiben! Mein Quarterback kann aufs Feld gehen und jeden schlagen. Jeden! Mein Junge kann mit den Besten mithalten. Deswegen sind wir in der Position, in der wir sind.“

„Der Großteil der Liga sitzt nun schon zu Hause und muss ihm zuschauen. Mein Quarterback war in jedem Jahr in den Playoffs, seit er in der Liga ist. In jedem Jahr hat er Playoff-Spiele gewonnen. Wenn man also Vergleiche zieht, gibt es nicht viele Quarterbacks, die man mit meinem Jungen vergleichen kann. Denn viele Quarterbacks haben noch nicht einmal einen Playoff-Sieg, mein Junge hat das jedes Jahr geschafft.“

Argumente, denen man schwer widersprechen kann. Das beste Argument pro Flacco wäre jedoch ein Sieg bei den Patriots inklusive starker Leistung des 26-Jährigen. Und die wird auch nötig sein, denn die größte Schwäche New Englands ist fraglos die Passverteidigung.

Schützenhilfe von Belichick

Patriots-Head-Coach Bill Belichick will gar nicht erst den Eindruck aufkommen lassen, dass seine Mannschaft auf einen limitierten Quarterback trifft und findet ebenfalls lobende Worte für Flacco:

„Ein Quarterback muss das tun, was sein Team braucht, um zu gewinnen, und genau das hat Joe getan. Er ist seit seinem Rookie-Jahr ein solider Spieler, wenn es darum geht, das Spiel zu managen und gute Entscheidungen zu treffen.“

Dennoch ist der Auftritt in Foxborough nicht nur für die Ravens ein Schlüsselspiel, sondern spätestens seit dem aktuellen Diskurs auch für Flacco selbst. Geht es schief, wäre er nicht der erste Spielmacher, der an Zweifeln an seiner Person letztlich zerbricht.

Nun muss er nicht nur seine Kritiker überzeugen, sondern auch Teile der Mannschaft, die Reeds Aussagen sehr wohl registriert hat.

Reed: „Eine Motivation, mich zu widerlegen“

Da kann mit Ray Lewis der Chef des Teams noch so sehr beschwichtigen: „Ich bin schockiert, wie die Leute über jemanden sprechen, der klipp und klar ein Gewinner ist. Außerdem kann nie ein Spieler ein Team groß machen. Dazu braucht es immer eine Teamleistung.“

Und Reed? Der fühlt sich nicht gänzlich richtig verstanden und hofft, dass seine Teamkollegen „mich nicht aus dem Kontext gerissen verstanden haben. Und wenn doch, sollte es eine Motivation sein, mich zu widerlegen.“

Also doch der Ravens-spezifische Weg der Eigenmotivation?

Peter Altmann