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Wenn der Draft zum Was-Wäre-Wenn-Spielchen wird...

Wenn der Draft zum Was-Wäre-Wenn-Spielchen wird...

Man stelle sich folgendes vor: Quarterback Aaron Rodgers wirft Pässe auf Calvin Johnson und Larry Fitzgerald.

Einer der besten Quarterbacks dieser NFL-Generation in einem Team mit zwei Receiver-Aushängeschildern, diese Pass-Offense wäre wohl kaum zu biegen.

Nur in der Pro Bowl vorstellbar? Nicht wirklich. Man frage nach bei den Oakland Raiders.

Warum ist leicht erklärt, auch wenn es sich hierbei natürlich um eine rein spekulative Spielerei handelt.

NFL-Draft 2004: Oakland wählt an Position 2 einen gewissen Robert Gallery – der Tackle legte keine Karriere hin, die solch einem hohen Pick würdig wäre. Unmittelbar dahinter an Position 3 wählt Arizona Fitzgerald. Gallery ist übrigens der einzige Spieler in den Top 8 dieser Draft-Klasse, der nie in die Pro Bowl gewählt wurde.

NFL-Draft 2005: Rodgers rutscht bis an Position 24, wo Green Bay zuschlägt und damit letztlich den Jackpot knackt. Unmittelbar davor an 23 nehmen die Raiders Cornerback Fabian Washington, den sie schon nach drei Jahren wieder loswerden wollten. Rodgers spielte übrigens in der unmittelbaren Nachbarschaft in Berkeley College-Football…

NFL-Draft 2007: Jetzt wird es besonders bitter. Als Nummer 1 kommt Quarterback JaMarcus Russell nach Oakland – der Inbegriff eines Draft-Busts schlechthin. An Position 2 schlagen die Detroit Lions bei Calvin Johnson zu.

Gar nicht auszudenken, wie Oakland in den vergangenen Jahren dastehen hätte können, hätte man anstatt einer maßlosen Enttäuschung diese verfügbaren, späteren Superstars gewählt. Oder andersrum: Hätten Rodgers, Fitzgerald und Johnson derart schillernde Karrieren hingelegt, wären sie in einem schwierigen Umfeld wie bei den Raiders gelandet?

Spreu trennt sich vom Weizen

Gerade Raiders-Fans, jahrelang leidgeprüft unter dem inzwischen verstorbenen Owner Al Davis, kennen dieses Draft-Problem. 2000 drafteten die Kalifornier in Runde 1 Sebastian Janikowski – einen Kicker (!), der zwar keinen schlechten Job macht, den man aber auch später bekommen hätte. Zwei Picks später wählte Seattle Shaun Alexander. Der avancierte zu einem der dominierenden Running Backs der folgenden Jahre, während das Laufspiel Oaklands nicht immer gut aussah.

Keine Frage: Diese Was-Wäre-Wenn-Spielchen - auch "N-if-L" genannt -  kann man bei jedem Team machen. Aber interessant sind sie allemal.

Das Fazit lautet sowieso: Der Draft ist wichtig.

Hier trennt sich bezüglich Scouting-Kompetenz die Spreu vom Weizen. Gerade in einer komplexen Sportart wie American Football ist es schwierig, das richtige Auge für Talente zu haben. Die Positionen sind extrem verschieden. Ob ein Spieler ins System passt, hängt oft von Nuancen ab.

Ein deutscher Quarterback-Jäger: Wie hoch wird Björn Werner gedraftet?

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag ist es wieder einmal so weit. Die 2013-Generation ist durchaus keine uninteressante, wenngleich sie an der absoluten Spitze als weniger talentiert gilt als frühere Jahrgänge.

Dies betrifft vor allem die zur Wahl stehenden Quarterbacks, die allesamt den Ruf genießen, nicht einmal annähernd an die Klasse der letztjährigen Super-Rookies Andrew Luck oder Robert Griffin III heranzukommen.

Kansas Citys „30er“

Dabei werden Spielmacher bevorzugt als Nummer eins gewählt. Dafür ist die Chance in diesem Jahr denkbar gering. Die Kansas City Chiefs, denen diese zweifelhafte Ehre in diesem Jahr zuteilwird, haben mit Alex Smith von den San Francisco 49ers bereits das dringend benötigte Upgrade auf dieser Position verpflichtet.

Außerdem hat das Team aus Missouri seit 1983 (!) keinen Quarterback mehr in Runde eins verpflichtet – ein ungewöhnliches 30-Jahre-Jubiläum. Auch dieser Fakt eignet sich übrigens nicht so schlecht für Was-Wäre-Wenn-Spielchen:

Die Chiefs wählten im legendären 83er-QB-Jahrgang an Nummer 7 einen gewissen Todd Blackledge. Noch nie gehört? Kein Versäumnis, außerhalb von Kansas City kennt ihn wohl kaum noch jemand. Bitter, dass mit Jim Kelly und vor allem Dan Marino zwei angehende Legenden noch zu haben waren.

Wen die Chiefs heuer zur Nummer eins krönen, ist noch offen. Allgemein wird erwartet, dass es ein Tackle sein wird – Neo-Quarterback Smith will schließlich geschützt werden.

Schafft es Werner in die erste Runde?

Als Favorit gilt Luke Joeckel, als sein Kontrahent Eric Fisher. Möglicherweise geht Kansas City unter dem neuen Head Coach Andy Reid jedoch auch in eine ganz andere Richtung.

Eine weitere spannende Frage wird sein, wie hoch Björn Werner gedraftet wird. Der Deutsche ist drauf und dran, in eine ur-amerikanische Phalanx einzudringen. Wochenlang wurde er in den zahlreichen, den Hype um diesen Event weiter ankurbelnden „Mock-Drafts“ hoch in der ersten Runde geführt.

Zuletzt sank seine Aktie ein wenig, ein Platz in Runde eins könnte sich jedoch noch ausgehen. Klappt es, übertrumpft er Landsmann Sebastian Vollmer, der 2009 von den New England Patriots in Runde zwei gewählt wurde und sich seither bestens entwickelt hat.

Quarterbacks entscheidend für Draft-Dynamik

Entscheidend für die Dynamik der ersten 2013-Runde wird jedoch die Quarterback-Frage. Bringt ein Team den Domino-Stein ins Rollen, ist gut möglich, dass andere nachziehen.

Als Aushängeschild einer QB-Klasse auf mäßigem Niveau gilt Geno Smith, ihm wird ein Top-10-Pick zugetraut, ebenso Ryan Nassib, an dem Buffalo an Position acht Gefallen gefunden haben könnte.

Dahinter befindet sich eine breite Masse an Spielmacher-Talenten, wo die Wahl wohl zur Geschmackssache wird. Ob Matt Barkley, dem eine schwache College-Saison viel Reputation kostete, E.J. Manuel, Mike Glennon oder Tyler Wilson – die allerbeste Nachrede hat kaum einer. Es gibt durchaus auch Mock-Drafts ohne Quarterback in Runde eins – durchaus ungewöhnlich.

Vorbild Kaepernick

Als umso wahrscheinlicher gilt dafür, dass es in solch einem Fall zu Beginn der 2. Runde ein Hauen und Stechen um diese Spielmacher gibt. Mit dieser Strategie muss man nicht falsch liegen. San Francisco schnappte sich Colin Kaepernick 2011 auch erst in Runde zwei und konnte ihn frei von Druck in aller Ruhe aufbauen.

Oder vielleicht liegt die komplette Draft-Maschinerie aus Teams, Experten und Medien in ihrer Bewertung einzelner Quarterbacks auch einfach nur falsch.

Das soll vorkommen. Man frage nach bei Tom Brady, ein früherer Sechstrunder. Oder Russell Wilson, den Seattle im Vorjahr in Runde drei ausgrub und der sich mit den teuren Star-Rookies Luck und „RGIII“ durchaus auf Augenhöhe befand.

Peter Altmann

Top-Leistungen am College bedeuten nicht automatisch Top-Leistungen auf Profi-Level, unauffällige Darbietungen in einer schwächeren Uni-Mannschaft heißen im Umkehrschluss nicht, dass man nicht für das Konzert der NFL-Großen geeignet ist.

Unmenge an Daten

Es gilt eine Unmenge an Daten zu filtern. Wie groß, wie schnell, wie schwer, wie stark ist ein potenzieller Kandidat? Nicht messbare Faktoren wie Charakter oder Sozialintelligenz kommen mancherorts bisweilen zu kurz, sind aber oftmals umso wichtiger für die alles entscheidende Frage: Boom or Bust?

Oakland zum Beispiel galt in den letzten Jahren grundsätzlich als schlechtes Draft-Team, quasi ein Magnet für Busts. Neben Janikowski ist der oft verletzte Running Back Darren McFadden der einzige First-Round-Pick, der immer noch beim Team ist – das ist gleichauf mit Chicago Liga-Minus. Der NFL-Durchschnitt pro Roster liegt übrigens bei 5,5 eigenen Erstrundern.

Sicherlich ein triftiger Grund, warum die Raiders seit Jahren meilenweit von der NFL-Spitze entfernt sind.

Andere Teams wie Green Bay, Pittsburgh, die New York Giants, Baltimore oder inzwischen auch San Francisco bauen ihre Kader traditionell bevorzugt via Draft zusammen und setzen kaum auf übertrieben teure Investitionen in der Free Agency. Unter dem Strich fahren sie mit dieser Strategie bestens.

Draft wichtiger Teil des Geschäftsmodells

Denn ein Geheimnis in Salary-Cap-Zeiten ist ein möglichst ausgeglichenes Aufgebot, in dem nicht zu viel Geld in einzelnen Spielern gebunkert ist – und wenn schon, dann am liebsten in „Eigenbauspielern“. Also Akteuren, die man selbst gedraftet und an die Spitze gebracht hat, deren Stärken und Schwächen man bestens kennt.

Kein Wunder, dass ob dieser enormen Bedeutung der Draft inzwischen ein wichtiger Bestandteil des NFL-Geschäftsmodells ist. Die Liga lässt ohnehin ungerne eine Chance zur weiteren Vergrößerung des Marktvorsprungs aus. Also wanderte man vor einigen Jahren mit der ersten Runde direkt in das TV-Hauptabendprogramm. Inzwischen ist die sieben Runden lange Veranstaltung ein dreitägiges Spektakel, der Hype in der Radio City Music Hall in New York ist dementsprechend groß.