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"King James" will sich endlich selbst krönen

„Diesen Herbst bringe ich mein Talent nach South Beach und ich gehe zu den Miami Heat.“

Ein Satz, der eine neue Ära einläutete. Für die NBA, für Miami – vor allem aber für denjenigen, der diese Aussage tätigte. Für LeBron James.

Bei seinem Abschied von den Cleveland Cavaliers, die ihn anno 2003 im Draft an erster Stelle holten, zog James viel Zorn und Kritik auf sich.

Er möge doch ein Team verstärken, das nicht ohnehin schon zwei Superstars in seinen Reihen hätte. Er möge doch bei Cleveland bleiben. Er möge „The Decision“ doch irgendwie anders ausfallen lassen, tönte es aus allen Ecken.

Von hundert auf null

NBA-Zirkus, Medien und ausgediente Spieler waren sich einig: „King James“ war das Böse. Niemals solle der „Verräter“ Erfolg haben, niemals solle ihm der heiß ersehnte Wunsch nach dem Ring, den jeder NBA-Champion bekommt, erfüllt werden.

Die Jagd nach dem Ring – man könnte einen Film darüber drehen. So oft er zum Greifen nahe war, so oft verpatzten es James und/oder seine jeweiligen Teamkollegen.

2006 schafften es die Cavaliers dank ihres neuen Superstars erstmals seit acht Jahren wieder in die Playoffs. Nachdem „King James“ mit über 35 Punkten pro Spiel die Erstrunden-Serie gegen Washington dominierte, fand er in der zweiten Runde in den Detroit Pistons seinen Meister.

Gegen die starke Pistons-Defense war James chancenlos

James geht unter

In der entscheidenden zweiten Halbzeit des entscheidenden siebten Spiels montierten ihn Tayshaun Prince und Co. völlig ab. Der 2,03-Meter-Mann traf in den letzten beiden Vierteln nur ein einziges Mal aus dem Feld – seine erste große persönliche Niederlage in der Postseason.

Schon in seinem vierten Jahr als Cavalier schaffte es James jedoch zum ersten Mal in das NBA-Finale. Mit einer großartigen 48-Punkte-Performance in Spiel fünf der Conference Finals gegen Detroit – er erzielte 29 der letzten 30 Cavs-Punkte - schraubte der Forward die Erwartungen für die Finalserie in die Höhe.

Er konnte ihnen nicht gerecht werden. Mit einem Sweep marschierten die erfahrenen San Antonio Spurs über ihre Kontrahenten hinweg. Der hoffnungsvolle Jungstar blieb dabei blass – 22 Punkte und sieben Rebounds pro Spiel waren zwar an und für sich gut, in der tragenden Rolle, die James für sein Team spielte, aber zu wenig.

08 gescheitert – aber nicht an sich selbst

2007/08 der nächste Anlauf auf den Ring, doch schon in Runde zwei gegen Boston war Endstation. Diesmal konnte man die Schuld nicht auf James schieben, hatte er doch im entscheidenden siebenten Spiel 45 Punkte gemacht.

Genau dieses Spiel zeigte auch, dass das Duell eigentlich Celtics gegen James und nicht Celtics gegen Cavaliers hieß. In der ersten Hälfte gab es genau zwei Scorer bei den Cavaliers – James hatte mit 23 Zählern den Löwenanteil, Delonte West steuerte mickrige vier Pünktchen bei.

Bei den Cavs wurde James zwei Mal MVP

Auch in den zwei folgenden Jahren war es „King James“ nicht vergönnt, sich mit einem Ring zu krönen. Da waren die beiden MVP-Titel für den wertvollsten Spieler der Saison nur ein schwacher Trost.

Was durch diese Auszeichnungen aber unterstrichen wurde: „LBJ“ hatte sich vom aufstrebenden Jungstar zu einem der besten, wenn nicht sogar zum allerbesten Spieler der NBA gemausert.

All das zählt in Amerika aber wenig, wenn man sein Team nicht zu Titeln führt. Michael Jordan wäre nicht Michael Jordan, hätte er nicht sechs Championships in der Tasche. Große Spieler, die im Finale verlieren, werden vergessen. Große Spieler, die im Finale gewinnen, werden für immer verehrt.

Die Vorstellung der "Big Three"

James will seinen Ring

Also machte James Ernst. Er wollte einen Ring, koste es was es wolle: Er fällte am 8. Juli 2010 „The Decision“. Er ging nach Miami. Dorthin, wo einen Tag zuvor Dwyane Wade seinen Vertrag verlängert und Chris Bosh einen neuen unterschrieben hatte. Ein Zusammenkommen der Superstars, wie man es sonst nur vom All-Star Game kannte – die „Big Three“ waren geboren.

Dafür bezahlte er mit einem massiven Sympathieverlust. Binnen einer Stunde verwandelte er sich vom Liebling der Massen zum Verräter, Hassobjekt und zur „Persona non grata“ in Cleveland.

Kuriose Reaktion in Cleveland

Der Besitzer der Cavaliers machte seiner Enttäuschung am Abend des folgenschweren Tages, an dem James in einem einstündigen Special auf ESPN seine Entscheidung bekanntgegeben hatte, stellvertretend für alle basketballinteressierten Bürger von Ohio in einer Aussendung Luft.

Darin garantierte er, „dass die Franchise aus dem Nordosten des Bundesstaats vor dem "selbsternannten König einen Titel holen werde. Er bescheinigte den Fans, dass sie diesen "feigen Verrat" nicht verdienen würden, und kündigte an, dass James "den Fluch mit in den Süden nehmen und, bis er Wiedergutmachung leistet, eine Pechsträhne und schlechtes Karma haben wird".

Kurz gesagt: Der in Akron, das nahe bei Cleveland liegt, geborene James war nicht mehr willkommen in seiner Heimat. Er hatte seine Wurzeln für die Jagd nach dem Ring aufgegeben.

Aussichtsreiche Chance im vergangenen Jahr

Diesen versprach er sich von seinem Engagement im Süden Floridas. Schon 2011 sollte es soweit sein. Am Weg in die Finals gegen die Dallas Mavericks verloren die Top-Favoriten auf den Titel nur drei ihrer fünfzehn Spiele. Alles schien angerichtet für das Meisterstück des LeBron James.

Doch es kam anders. Ganz anders.

Nach drei Spielen führten die Heat mit 2:1 und waren auf Kurs. Dann kam das vierte Spiel, und mit diesem der Zusammenbruch des "Chosen One", wie es sich James auf dem Rücken tätowieren ließ.

Flucht vor Verantwortung

Dirk Nowitzki war angeschlagen und eine 3:1-Führung hätte den „Big Three“ wohl endgültig den Weg zum Titel geebnet. Doch "LBJ" versagte in diesem wichtigen Spiel. Er traf nur drei von elf Wurfversuchen und warf im letzten Viertel nur ein einziges Mal.

James drückte sich vor der Verantwortung, die ein Superstar seines Kalibers übernehmen müsste. Dass die Defensive der Mavericks schlicht und ergreifend hervorragend war, rückte dabei in den Hintergrund.

Für viele Zuseher, die James ohnehin schon verabscheuten, war die schwache Leistung ein gefundenes Fressen. In Spiel fünf wollte er sie Lügen strafen. Das gelang ihm drei Viertel lang auch, doch im entscheidenden vierten Viertel verschwand er wieder auf unerklärliche Weise von der Bildfläche und machte nur zwei Punkte.

Vernichtend: Die Final-Niederlage gegen Dallas

In Spiel sechs, in dem die Mavericks das 4:2 und den Titel fixierten, blieb James immerhin eine weitere Demütigung erspart, aber er wirkte wieder eingeschüchtert und scheute davor zurück, das Spiel an sich zu reißen.

Wieder war ein Anlauf gescheitert. "LeBron choked" – salopp übersetzt mit "LeBron versagte unter Druck" – war wochenlang als Schlagzeile in unzähligen Gazetten zu lesen.

Die jetzige Saison

Dann kam 2011/12. Die Saison, in der sich alles ändern sollte. „King James“ spielte eine überragende Regular Season, die mit seinem dritten MVP-Titel gekrönt wurde.

Die New York Knicks und die Indiana Pacers waren nur kleine Schlaglöcher am Weg zum Finale, die Boston Celtics wären fast zu einer Fallgrube geworden – aber nur fast, dank insgesamt drei Top-Performances (u.a. eine mit 45 Punkten) des "Auserwählten".

In der Nacht auf Mittwoch steigt Spiel eins des Finales (Hier gibt's die Matchup-Analyse) gegen die Oklahoma City Thunder. Wieder einmal scheint alles angerichtet. Doch James weiß: Versagt er im Finale, wird er sich vielleicht wünschen, in Cleveland geblieben zu sein.

Krönt er sich aber selbst, kommt er Michael Jordan einen weiteren Schritt näher.

 

Martin Schauhuber