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Surer: "Fairste Lösung wären Testtage für alle Teams"

Surer:

Es ist ja nicht so, dass es der diesjährigen Formel-1-Saison an Spannung fehlen würde. Aufgrund der Reifenthematik als bestimmende Komponente, kann man als Fan jedoch schon einmal den Überblick im Rennen verlieren. Was ist noch Racing? Was ist schon Taktik?

Einer, der den Rennzirkus seit Jahrzehnten verfolgt und auch als Aktiver Spuren im Motorsport hinterlassen hat, ist Marc Surer. Zwischen 1979 und 1986 bestritt der Schweizer 82 Rennen in der Königsklasse.

Seit 1996 ist er als Experte und Kommentator bei Sky Deutschland (vormals DF1/Premiere) mit dem Formel-1-Zirkus unterwegs und ist daher mit den Abläufen und Machenschaften bestens vertraut.

Im Gespräch mit LAOLA1 spricht Surer über Reifen als nervende Ausrede, empfiehlt Red Bull Kimi Räikkönen als zweiten Fahrer und bietet eine Kompromisslösung im Streit um die Reifentests an.

LAOLA1: Wie aufregend ist für Sie die aktuelle Saison im Vergleich zu den letzten Jahren?

Marc Surer: Es ist schon sehr spannend, weil es einfach mehrere Fahrer gibt, die konkurrenzfähig sind. Also in Wahrheit sind es drei Teams (Red Bull Racing, Ferrari, Lotus – Anm.) plus Mercedes, die um die Weltmeisterschaft fahren. Je nach Strecke und je nach Bedingungen ist immer wieder ein anderer Favorit. Das ist eine tolle Geschichte, weil es in der Vergangenheit ja eher ein bisschen einseitig abgelaufen ist.

LAOLA1: Es gibt mittlerweile mehrere Dinge, die auf die Formel 1 Einfluss nehmen. Sehen sie die Entwicklung in dieser Saison positiv, weil es eben keinen klaren Favoriten gibt, oder ärgern Sie auch gewisse Dinge?

Surer: Es geht durch die Reifen-Situation ein bisschen drunter und drüber. Da hat Pirelli ganz sicher in die zu weiche Gummi-Mischung gegriffen. Das hat viele Diskussionen ausgelöst. Ich bin es eigentlich leid, immer nur über Reifen zu diskutieren. Die Reifen waren schon immer wichtig. Momentan scheint es aber üblich zu sein, dass, wenn es nicht läuft, man einfach den Reifen die Schuld gibt. Früher hat man gesagt, dass man das Auto nicht gut eingestellt hat oder eine falsche Taktik gewählt hat. Heute sind die Reifen eine generelle Ausrede für alles. Das nervt ein bisschen.

LAOLA1: Sollte nicht die Formel 1 selbst auch in die Kritik genommen werden? Schließlich war es quasi eine Vorgabe, die Reifen vor der Saison weicher zu machen, um die Spannung zu erhöhen.

Surer: Richtig. Pirelli ist einfach etwas über das Ziel hinausgeschossen. Das Ziel war ja, dass man nicht nur mit einem Stopp fahren kann, sondern zwei bis drei machen soll. Jetzt sind wir bei vier. Und das ist eindeutig zu viel. Vor allem wenn dann nur noch Funksprüche an den Fahrer gehen, dass er auf die Reifen aufpassen soll. Dann hat er gar keine Möglichkeit mehr auf einen Zweikampf. Aber genau das wollen wir eigentlich sehen. Wenn der Dritte und Vierte in einem Rennen sich überholen, dann soll das eine Positionsverbesserung sein und nicht nur deshalb passieren, weil jemand eine andere Strategie fährt, die sich dann gleich wieder erübrigt, wenn man das nächste Mal an die Box fährt. Aber die Reifen lassen sich ja korrigieren, indem man eine härtere Mischung wählt.

LAOLA1: Gravierende Änderungen soll es ja nicht geben, weil sie durch das Reglement nicht gedeckt sind. Lediglich das Wegfliegen von Gummifetzen soll, aufgrund von Sicherheitsgründen, verhindert werden. Hat man sich da in eine Sackgasse manövriert?

Surer: Aus Sicherheitsgründen darf Pirelli ja immer etwas an den Reifen machen. Das Ablösen der Lauffläche ist jetzt nicht wirklich ein Sicherheitsrisiko, man könnte es aber so darstellen. Pirelli hätte einfach sagen müssen, dass sie das aus Sicherheitsgründen ändern wollen, dann wäre es auch durchgegangen. Sie haben aber gesagt, dass sie das aus Imagegründen ändern wollen. Sie sind das also falsch angegangen. Ich glaube aber, dass sich eine Änderung so und so abzeichnet und neue Reifen in Silverstone im Einsatz sein werden.

Auf einer Hochgeschwindigkeits-Strecke wie Montreal sind diese wegfliegenden Reifenstücke nicht ganz ohne. Das kann dir die halbe Aufhängung kaputtmachen. Auch wenn der Reifen nicht platzt, das wäre ja wirklich gefährlich. Wir sind jetzt zum ersten Mal in diesem Jahr auf eine Hochgeschwindigkeits-Strecke, auf der die Autos drei Mal über 300 km/h erreichen. Dazu sind die Mauern direkt neben der Strecke.

LAOLA1: Kommen wir trotz dieser ganzen Probleme zum Sportlichen. Wie gesagt, kristallisiert sich kein klarer Favorit heraus. Dennoch schlägt sich Red Bull Racing wieder am besten. Sebastian Vettel hat derzeit einen Vorsprung in der Weltmeisterschaft. Ist das Team durch das Gesamtpaket einfach trotzdem der Topfavorit?

Surer: Absolut. Wenn man sich die Resultate ansieht, weiß man, dass der Red Bull auf jeder Strecke schnell ist. Auch wenn es einmal nicht so läuft, fahren sie immer noch in die Punkte. Damit ist Sebastian Vettel klar der Favorit. Aber sie sind nicht unschlagbar in dieser Saison. Das ist ja das Schöne.

LAOLA1: Auch die teaminternen Reibereien mit Mark Webber scheinen sich beruhigt zu haben. Glauben Sie, dass der Australier nächste Saison noch in der Formel 1 fahren wird oder ist seine Zeit vorbei?

Surer: Ich denke schon, dass seine Zeit abgelaufen ist. Dass er mit Red Bull weiterfährt, kann man wohl ausschließen. Das Problem ist dadurch gelöst, dass die Hierarchie im Team klar ist. Vettel ist der Schnellere der beiden und so ergibt sich kein wirkliches Problem. Ich denke, dass sich Red Bull nach jemand anderen umsieht. Man muss sich auch fragen, wenn man im besten Auto gesessen ist wie Mark Webber, was man dann in der Formel 1 noch will. Es gibt natürlich Beispiele von Fahrern, die dann nicht aufhören konnten wie ein Jarno Trulli zum Beispiel. Aber das war dann eher ein Trauerspiel. Ich würde ihm schon empfehlen, aufzuhören. Es soll ja Kontakte zu Porsche geben. Das wäre doch eine schöne Aufgabe. Auf der Langstrecke könnte er seine Karriere dort abschließen, wo er einmal angefangen hat.

LAOLA1: Wie beurteilen sie eigentlich die Rolle von Pirelli in der ganzen Causa? Wäre man dort derzeit überhaupt gut beraten, weiterhin in der Formel 1 zu bleiben?

Surer: Die aktuelle Situation haben sie sich selbst eingebrockt. Sie tun gut daran, wenn sie die aktuellen Probleme korrigieren und damit wieder als guter Reifenhersteller dastehen. Wenn sie jetzt nach diesem Desaster aussteigen, bleibt ein sehr schlechtes Image an Pirelli haften. Es wäre also eigentlich besser für sie, wenn sie weitermachen würden.

LAOLA1: Als wäre die Diskussion um die Reifenarten nicht schon genug, steht seit Monaco mit der Causa rund um die umstrittenen Reifentests von Mercedes und Pirelli ein weiteres Problem im Raum. Derzeit schieben sich die Parteien gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Wer trägt nun Schuld an diesem Dilemma?

Surer: Da ja offensichtlich auch die FIA in die Sache verwickelt war, haben sie auch einen Fehler gemacht. Eines ist ganz klar. Das sportliche Reglement muss eingehalten werden und da heißt es, dass mit dem diesjährigen Auto nicht getestet werden darf. Das steht dort Schwarz auf Weiß. Deshalb haben die Teams auch protestiert. Der Deal der FIA mit Pirelli, der vorsieht, dass man ein Team auswählen darf um 1000 Kilometer zu testen, widerspricht dem Reglement. Es wird nicht erwähnt, dass es sich um ein älteres Auto handeln muss. Da hat die FIA selber einen Bock geschossen. Ich bin gespannt, wie sie da wieder rauskommen, weil sich die FIA wohl nicht selbst bestrafen wird. Sie können nur irgendeinen Kompromiss vorschlagen, weil sie selbst nicht ganz unschuldig sind an dieser Situation.

LAOLA1: Wie wäre Ihrer Meinung nach dieser Konflikt zu lösen?

Surer: Für mich wäre die fairste Lösung, dass die anderen Teams auch einen oder zwei Testtage bekommen. Viele Teams könnten sich diese Tests  womöglich nicht leisten, aber es geht ohnehin in erster Linie um die Top-Teams.

LAOLA1: Zu guter Letzt steht derzeit auch Mister Formel 1 Bernie Ecclestone in der Kritik aufgrund einer möglichen Anklage in einer Bestechungsaffäre. Wie umstritten sehen Sie seine Person im ganzen Zirkus?

Surer: Das Schlimme an der Sache ist, dass es keinen wirklichen Nachfolger für ihn gibt. Bernie hat die Formel 1 dorthin gebracht wo sie heute ist. Es ist immer noch so, dass er alle Fäden zieht. Wenn irgendein Land einen Grand Prix ausrichten will, dann wollen die mit Bernie reden, die akzeptieren gar niemand anderen. Seine Probleme sehe ich nicht so dramatisch, der ist noch immer aus solchen Sachen rausgekommen, das wird er auch diesmal schaffen. Aber man muss auch einmal an die Zukunft denken. Offensichtlich macht er das nicht.

Räikkönen und Vettel würden laut Surer bei Red Bull gut harmonieren

LAOLA1: Das Rennen um seinen Nachfolger ist, zumindest medial, bereits eröffnet. Kimi Räikkönen gilt als heißester Kandidat. Können Sie sich ein Duo mit ihm und Vettel gut vorstellen?

Surer: Wenn man ein Top-Auto hat, muss man immer versuchen, der Konkurrenz den besten Fahrer wegzunehmen. Dann hat man einen Gegner weniger. Wenn der Kimi nicht im Lotus sitzen würde, würden wir über Lotus kaum sprechen, außer über die paar Highlights die Romain Grosjean ab und zu setzt. Es wäre also die richtige Vorgehensweise von Red Bull. Fernando Alonso kriegen sie nicht, also bleibt eigentlich nur noch Räikkönen über, der ihnen Ärger macht.

LAOLA1: Menschlich scheinen sich Vettel und Räikkönen zumindest ganz gut zu verstehen.

Surer: Die zwei verstehen sich gut, außerdem ist Kimi einer, der im Zweikampf sehr fair vorgeht. Auch wenn die jetzt auf gleichem Level kämpfen würden bei Red Bull, glaube ich, dass das ziemlich sauber ablaufen würde.

LAOLA1: Einen möglichen Wechsel eines der beiden Toro-Rosso-Piloten zu Red Bull schließen Sie also aus?

Surer: Eigentlich würde das Sinn machen. Red Bull gibt so viel Geld für die Nachwuchsförderung aus und es wäre langsam an der Zeit, dass nach Vettel wieder einmal einer aus den eigenen Reihen bevorzugt wird. Wenn ich ehrlich bin, bietet sich aber keiner an. Das müsste man noch abwarten, ob noch einer plötzlich den Durchbruch schafft wie Vettel. Damals war klar, dass der Mann in ein besseres Auto gehört. Von den jetzigen beiden drängt sich aber keiner auf.

LAOLA1: Bleiben wir noch mal bei Räikkönen. Er ist derzeit sportlich der erste Herausforderer von Sebastian Vettel. Bei Lotus dringen aber immer wieder neue finanzielle Probleme ans Tageslicht, zudem gibt es auch Abgänge innerhalb des Teams. Hat Lotus überhaupt das Zeug dazu, ernsthaft um den Titel zu kämpfen?

Surer: Ich mache mir da auch Sorgen. Wenn man das Team mit den anderen Top-Teams vergleicht, ist es ein bisschen unterfinanziert. Eigentlich hängt immer alles von Kimi ab, der das Auto immer nach Hause bringt und immer das Beste herausholt. Das ist aber eine gefährliche Situation. Wenn man um die Weltmeisterschaft fahren will, muss man sich auch weiterentwickeln können. Und da bin ich mir nicht so sicher, ob Lotus das bewerkstelligen kann. Auf der anderen Seite könnte er auch der lachende Dritte sein, wenn er weiterhin so punktet. Er hat ja schon einmal so die Weltmeisterschaft mit Ferrari gewonnen. Vielleicht passiert das ja wieder.

LAOLA1: Sie haben seinen Teamkollegen Romain Grosjean schon erwähnt. In Monaco hat er nach längerer Zeit wieder einmal ein negatives Ausrufezeichen gesetzt und etwas für sein Rambo-Image getan. Glauben Sie, dass er die Kurve noch kriegt oder ist er als Pilot in der Formel 1 schlichtweg ungeeignet?

Surer: Für mich ist das relativ einfach. Grosjean ist superschnell. Es gibt aber viele Leute, die unter Stress ein eingeengtes Sichtfeld bekommen. Und genau das passiert bei ihm. Beim Start ist er vorsichtiger geworden, aber dann gibt es immer wieder Situationen, bei denen man sieht, dass der Kerl die Übersicht nicht hat. Als Rennfahrer muss man eine Art Weitwinkel und so gut wie alles um sich herum im Blickfeld haben. Das scheint bei ihm aber eingeschränkt zu sein. Solche Leute sind einfach nicht geeignet, um in der Formel 1 große Karriere zu machen.

LAOLA1: Nicht nur die Fahrerpaarungen für die kommende Saison bewegen die Teams, sondern vor allem die vielen technischen Neuerungen, die uns ins Haus stehen. Mark Webber rechnet vor allem zu Saisonbeginn mit vielen Ausfällen. Sehen Sie das auch so dramatisch?

Surer: Die Zuverlässigkeit ist derzeit ein Wahnsinn. Durch technische Defekte fällt kaum mehr ein Auto aus. Das sind Autos, bei denen hat man das Gefühl, dass sie 24-Stunden-Rennen fahren könnten, während sie früher gerade einmal über die Renndistanz gehalten haben. Da wird es gravierende Änderungen geben, weil einfach so viel zusammenhängt. Die Energierückgewinnung, der Turbo und so weiter. Der neue Motor wird sicher auch Probleme machen. Es gibt einfach zu viel Neues, als dass man die Zuverlässigkeit auf Anhieb hinkriegen wird.

LAOLA1: Es gibt vor der Saison 2014 nur drei Testsessions. Unter anderem hat das Alain Prost kürzlich kritisiert. Sollte man da noch reagieren, um ein Chaos zu verhindern?

Surer: Die Tests beginnen zwar früher, aber ich bin schon erstaunt, dass sie nicht mehr Tests zulassen. Am Prüfstand kann ein Motor noch so gut gehen, wenn er im Auto eingebaut ist, ist das eine ganz andere Geschichte.

 

Das Gespräch führte Andreas Terler