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"Wussten nicht, was sie mit Führung machen sollen"

Stell dir vor, du liegst in Führung und musst Entscheidungen treffen.

Williams hat diese Situation in Silverstone sichtlich überrascht. In einem der ereignisreicheren Rennen der letzten Monate hat der Rennstall aus Grove zu Beginn alle Karten in der Hand.

Denn das, womit keiner gerechnet hat, tritt ein. Sowohl Felipe Massa, als auch Valtteri Bottas, ziehen beim Start raketenartig an den Mercedes-Boliden vorbei. Zuvor hatte man im Lager des Weltmeister-Teams noch behauptet, im Rennen außer sich selbst keine Gegner zu haben.

Williams-Verbot zum Schutz des Teams

"Ich habe gewusst, wenn alles gut läuft, kann ich die Jungs überholen. Als ich die Kupplung etwas losgelassen habe, habe ich gesehen, dass die Mercedes durchdrehende Räder hatten. Dann konnte ich mit meinem Fuß kontrollieren und das Auto setzte sich in Bewegung", nimmt uns Massa gedanklich auf die ersten Sekunden des Rennens mit.

Valtteri Bottas verliert die zweite Position kurz, nach dem Restart nützt der Finne einen Verbremser des Lokalmatadors Hamilton, geht an ihm vorbei und greift wenig später Massa an.

Am Kommandostand flattern die Nerven, man will kein Risiko eingehen und fordert den Finnen auf, seinen Teamkollegen nicht anzugreifen. Nach längerem Hin und Her versucht es Bottas dennoch. Nur ein "sauberes Manöver" war ihm erlaubt. Dazu kommt es nicht.

"Wir haben das gemacht, um das Team zu schützen und Mercedes nicht die Möglichkeit zu geben, uns zu nahe zu kommen. Wenn es ihm sauber möglich gewesen wäre, hätte Valtteri vorbei gehen können", versucht sich Chefingenieur Rob Smedley im Interview mit "SkySportsF1" zu verteidigen.

Bottas reagiert enttäuscht

Der Benachteiligte selbst kann diesen "Schutz" nicht wirklich verstehen: "Es ist schwierig zu sagen, was möglich gewesen wäre, aber ich hatte mehr Pace und mir war es nicht erlaubt, zu überholen. Das ist enttäuschend."

Massa glaubt nicht daran, dass sein Teamkollege wirklich schneller untewegs war: "Er war im DRS-Fenster, da war es ihm viel leichter, mir zu folgen. Aber ich war schneller."

Wie weit und ob Bottas vorne davon ziehen hätte können, ist reine Spekulation. Bei den Boxenstopps sticht Mercedes das Williams-Team aber endgültig aus.

"Sie sind eine Runde früher rein, da konnten wir nichts machen. Im Nachhinein ist es leicht zu sagen, wir hätten aggressiver sein müssen. Aber man will, dass die Reifen auch am Ende gut sind und deshalb darf man nicht zu früh reinkommen", erklärt Smedley.

Falsche Entscheidung kostete über 8 Sekunden

Die Strategie zu splitten und so den sogenannten "Undercut" Hamiltons versuchen zu verhindern, steht nicht am Williams-Plan. Der Brite geht somit an Bottas und Massa vorbei.

Im Regen gehen dann alle Hoffnungen auf eine Sensation den Bach hinunter. Nicht nur Rosberg kann auf nasser Fahrbahn beide Williams hinter sich lassen, auch Sebastian Vettel im Ferrari kommt dank eines früheren Boxenstopps noch auf das Podium.

Das liegt unter anderem an der schlechten Regen-Performance des FW37, aber auch an der exzellenten Arbeit der Konkurrenz.

"Beim Regen haben wir an Tempo verloren und zu lange gewaretet. Lewis hat da einen extrem guten Job gemacht, weil er genau zum richtigen Zeitpunkt hereinkam. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt schnelle Sektorzeiten und die Fahrer sagten nicht, dass es zu nass sei", schildert Smedley.

Beide Autos bleiben daher auf der Strecke. Ein fataler Fehler: "Sebastian lag zu diesem Zeitpunkt acht Sekunden hinter uns. Man sieht also, wieviel uns diese Entscheidung gekostet hat", ärgert sich der 41-Jährige.

Wolff bejubelt Hamiltons Gespür

Wie kritisch die Situation wirklich war, erklärt die Unsicherheit des späteren Rennsiegers: "Als ich auf den Intermediates rausgefahren bin, habe ich gehofft, dass es auch wirklich weiter regnet. Manchmal gehen solche Entscheidungen auf, manchmal nicht."

Musste Mercedes nach dem Grand Prix von Monaco noch viel Häme über sich ergehen lassen, als Hamilton einen sicher gegelaubten Sieg verlor, macht man unweit der eigenen Fabrik in Brackley alles richtig.

Die Kommunikation zwischen Kommandostand und Fahrer funktioniert perfekt. Sehr zur Freude des Teamchefs. "Das Wetter war praktisch unvorhersehbar. Wir brauchten die Hilfe der Fahrer und Lewis hat diese Entscheidung getroffen. Das hat genau gepasst", sagt Toto Wolff.

"Wahrscheinlich zum ersten Mal in meiner Karriere habe ich die ideale Reifenwahl getroffen", scherzt Hamilton.

"Williams wie wir vor zwei, drei Jahren"

Teamchef Wolff hat am Ende gut lachen und nimmt auch zur verhauten Strategie bei Williams Stellung: "Bottas hatte zu Beginn mehr Pace, aber das Team ist dort, wo wir vor zwei, drei Jahren waren. Sie wussten einfach nicht, was sie mit der Doppelführung machen sollten. Wären sie mutiger gewesen, hätten sie ein besseres Resultat geholt."

Über die Starts muss man beim Weltmeister-Rennstall aber noch einmal reden. "Das war verdammt mies von uns. Richtig schlecht", urteilt Rosberg. Wolff stimmt ihm zu, hält aber gleichzeitig fest: "Wir hatten einen der schnellsten Pitstops aller Zeiten bei Lewis mit 2,4 Sekunden. Da kann ich meinen Leuten keinen Vorwurf machen."

Hamilton kann seinen WM-Vorsprung auf 17 Punkte ausbauen, während man sich bei Williams nur damit trösten kann, dass Bottas Kimi Räikkönen, dessen vermurkstes Rennen auf Rang acht endet, in der Fahrer-WM auf Platz vier ablöst.

Möglicherweise ein weiteres Zeichen für eine finnische Wachablöse bei der Scuderia Ferrari.

 

Andreas Terler