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Ohnmacht führt zu Radikalität

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Rapid spielt auswärts bei der Austria, rund 50 Fans der Hütteldorfer werden nicht ins Stadion gelassen, der Rest der Auswärtsfans bleibt deswegen auch draußen und der SCR tritt aus Solidarität mit seinen Fans einfach nicht zum Spiel an. Hierzulande unvorstellbar, in Kroatien am vergangenen Wochenende Realität.

Der Eklat rund um das Spiel zwischen Dinamo Zagreb und Hajduk Split sorgte erneut für Schlagzeilen rund um den kroatischen Fußball, die nichts mit dem Sport zu tun haben. Es war nach dem wegen Pyro-Würfen und Ausschreitungen fast abgebrochenen EM-Quali-Spiel zwischen Italien und Kroatien der zweite Zwischenfall binnen weniger Tage. Man ist fast geneigt, von einer Eskalation zu sprechen.

Auf den ersten Blick mag man den Eindruck gewinnen, es wären einfach nur Chaoten, die dem Sport schaden, am Werk. Dieser Eindruck ist gar nicht so falsch. Ob allerdings die die Eskalation herbeiführenden Fans oder doch die Macher im kroatischen Fußball die schädlichen Elemente sind, darüber muss diskutiert werden. Dass die Vorfälle in Italien mit Sympathiebekundungen für das faschistische Ustasa-Regime einhergingen, ist schlimm, unentschuldbar und grauslich – das steht außer Frage. Derlei Extremismus ist strikt abzulehnen.

Doch die Transparente mit dem „U“ und die faschistischen Parolen sind nur eine Facette der ganzen Sache. Eine andere ist, dass am Samstagabend 8.000 Fans die Hajduk-Mannschaft im Stadion von Split willkommen geheißen und für den Nicht-Antritt frenetisch gefeiert haben. Und es waren nicht nur Hajduk-Fans, die die Aktion des Zagreber Erzrivalen begrüßt haben – auch ein Großteil der Dinamo-Fans, anderer fußballinteressierter Kroaten und kritischen Journalisten fand lobende Worte. „Against the darkness, against the force“, schrieb Aleksandar Holiga, einer der angesehensten kroatischen Fußball-Journalisten im Zusammenhang mit dem abgesagten Spiel.

Die „Macht“ ist Dinamo Zagreb bzw. dessen Klub-Boss Zdravko Mamic. Der streitbare Mann schaltet und waltet in Kroatiens Fußball nach Belieben, hat nicht nur den Hauptstadt-Klub, sondern die gesamte Liga und auch den nationalen Verband in der Hand. Nicht umsonst wird er „der Marionettenspieler“ genannt.

Die „Bad Blue Boys“, Dinamos größte Fan-Gruppierung, liegen seit Jahren mit ihm im Clinch, Hunderte von ihnen dürfen nicht mehr ins Stadion Maksimir, der Rest hat gar keine Lust mehr, es zu besuchen. Einst war das Stadion in der Hauptstadt ein Hexenkessel, wenn große Spiele anstanden, aktuell verirren sich im Durchschnitt gerade einmal 1.679 Fans zu Dinamos Heimspielen. Die durchschnittliche Zuschauerzahl in der gesamten Liga beträgt 3.011 Fans pro Spiel – ein Indiz dafür, dass die meisten der überaus sportbegeisterten Kroaten die heimische Meisterschaft als schlechten Scherz erachten und sich einfach nicht mehr dafür interessieren.

Um international auf die Probleme in der Heimat aufmerksam zu machen, haben die kroatischen Fans – es waren u.a. Dinamo- und Hajduk-Anhänger – beim EM-Quali-Spiel in Mailand fast für einen Abbruch gesorgt. Die Art und Weise, wie auf die Probleme aufmerksam gemacht wurde, ist schwer zu hinterfragen. Sie zeigt aber auch die Ohnmacht, die diese Menschen mittlerweile empfinden. Die größtenteils völlig unkritischen Medien in Kroatien lassen weniger radikale Schritte kaum zu. Dieses Gefühl hatten am Wochenende offenbar auch Verantwortliche und Spieler von Hajduk Split, als sie sich für den Nichtantritt entschieden haben.

Dass von innerhalb Kroatiens eine Änderung der herrschenden Zustände erreicht werden kann, erscheint dennoch sehr unwahrscheinlich. Dinamos Quasi-Amateure Lok Zagreb sind freilich ebenso auf Mamic‘ Seite wie die Erstligisten NK Zadar, Slaven Belupo und NK Istra. HNK Rijeka, aktuell sportlich die Nummer zwei des Landes, hält sich am liebsten aus allem heraus. Es wird internationalen Druck brauchen, um die mafiösen Strukturen aufzubrechen und Kroatiens Fußball auf saubere Beine zu stellen. Schade, aber offenbar notwendig, dass es dazu solch radikale Aktionen wie Pyro-Würfe und Nicht-Antritte braucht.