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Zeitlupe Prantl

 

Italiens Fußball positioniert sich neu

Teamchef Cesare Prandelli ist zu sehr gewiefter Psychologe, zu zurückhaltend, zu abwiegend in seinen Aussagen, um den Fehler zu machen, das auszusprechen, was sich nach dem 1:1 gegen Kroatien viele dachten: Die Italiener sind in alte Muster zurückgefallen.

So haben sie den Sieg trotz Überlegenheit und einer 1:0-Führung noch verspielt. Und womöglich auch den Aufstieg.

Dabei war das alles so nett anzusehen, was die „Squadra Azzurra“ in den ersten drei Spielhälften der EURO 2012 geboten hat. Offensivorientierter Fußball, schnelle Kombinationen und so manches technisches Gustostückerl waren da zu sehen.

Und dann das! Im zweiten Durchgang gegen die Kroaten zogen sich die Italiener zurück und überließen ihren Gegnern das Spiel, anstatt vorzeitig auf die Entscheidung zu drängen. Sie wurden dafür mit dem Ausgleich bestraft.

Dieses Fehlverhalten liegt zum Teil sicher ihrem historischen Fußball-Verständnis zugrunde. Von Kinderbeinen an wurde ihnen eingebläut, dass es wichtiger ist, kein Tor zu kriegen, als eines zu schießen. Dass es Prandellis Plan war, sein Team nach der Pause derart tief stehen zu lassen, ist nämlich eher auszuschließen.

Dennoch muss sich auch der Trainer Vorwürfe gefallen lassen. Etwa jenen, Antonio Cassano zu lange am Feld gelassen zu haben. Der Milan-Stürmer verpasste bekanntlich fast die gesamte Saison wegen einer Herz-OP und hat einfach nicht die Kraft, um die gegnerische Verteidigung so lange unter Druck zu setzen.

Doch diese 45 Minuten – eigentlich waren es weniger, am Ende drückte nämlich wieder Italien – sollen nicht über eine erfreuliche Entwicklung hinwegtäuschen. Catenaccio ist auch am Stiefel schon lange nicht mehr der letzte Schrei.

Freilich wird von Mannschaften der Serie A immer noch mehr Wert auf die Defensive gelegt als anderswo, aber Trainer wie Prandelli sind durchaus darauf bedacht, attraktiven Fußball spielen zu lassen. Das ist auch statistisch belegbar. In der abgelaufenen Serie-A-Saison fielen durchschnittlich 2,56 Tore pro Spiel – in der ach so spektakulären englischen Premier League waren es nur 0,25 Treffer pro Partie mehr, in der spanischen Primera Division mit Real und Barca 0,20.

Außerdem ist davon auszugehen, dass die AS Roma in der kommenden Saison eine der spektakulärsten Mannschaften Europas sein wird, legt ihr Neo-Trainer Zdenek Zeman doch einen Offensiv-Fanatismus an den Tag, der selbst Pep Guardiola die Schamesröte ins Gesicht treiben würde.

Schade, dass das italienische Nationalteam gegen Kroatien damit aufgehört hat, den Fußball in seinem Land derart positiv zu bewerben wie noch vor dem Pausenpfiff.  Denn es wird noch einige Zeit dauern, bis sie die ihnen anhaftenden Vorurteile aus den Köpfen der Fans vertrieben haben.

Zumal sie unterbewusst ja offenbar selbst noch nicht so recht daran glauben, mit offensivem Fußball wirklich erfolgreich sein zu können. Vielleicht war ihnen der Ausgleich der Kroaten ja eine Lehre…