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Eine Tiroler Seilschaft

Eine Tiroler Seilschaft

Ganz ehrlich, alles in mir sträubt sich, mich am Tag vor der möglichen Qualifikation für die Fußball-Europameisterschaft 2016 mit Didi Constantini auseinanderzusetzen.

Diese Akte sollte längst geschlossen sein. Auch an dieser Stelle hat man sich lange genug an dieser Personalie abgearbeitet. Der Tiroler hat seinen verdienten Platz in der österreichischen Fußball-Geschichte. Nämlich als derjenige, der als Letzter vor Marcel Koller gezeigt hat, wie man es nicht macht.

Aber den Gastkommentar von Roland Kirchler in der „Tiroler Tageszeitung“ unter dem Titel „Koller erntet die Früchte aus Constantinis Ära“ kann man einfach nicht unkommentiert stehen lassen, bevor noch jemand versehentlich den Inhalt glaubt.

Neben ein paar Lobhudeleien für Koller hat diese Wortspende vor allem einen Zweck: Constantini als einen Vater des aktuellen Erfolgs im Gedächtnis des Lesers zu verankern.

Die traurige Wahrheit: Perfekter als mit diesem Tiroler Freundschaftsdienst kann man kaum illustrieren, wie die berühmten Seilschaften unter heimischen Altinternationalen funktionieren.

Halbwahrheiten werden über die Jahre zu persönlichen Wahrheiten verklärt, eine Legendenbildung zum reinen Selbstzweck. Am Ende soll das Gefühl entstehen: Der Schweizer erbt nur, denn unser Didi „hat ja eh“.

Hat er eben nicht. Koller hat alle Defizite des „Sturschädls“ schonungslos offengelegt - egal in welchem Bereich, ob Taktik, Teambuilding, Trainingslehre, Kontinuität, Menschenführung und, und, und. Die Liste ist lang.

Konzentrieren wir uns auf Kirchlers Hauptargument: „Spieler wie Baumgartlinger, Dragovic, Klein oder Kavlak starteten ihre Teamkarriere unter Constantini und zählen aktuell zu den wichtigsten Führungsspielern in unserem Team. Den größten Schachzug machte Didi aber mit der Einberufung des damals erst 17-jährigen David Alaba. Der Bayern-Spieler wurde dadurch nicht nur zum jüngsten Nationalspieler der ÖFB-Geschichte, er ist vor allem die personifizierte Hoffnung auf eine rosige Fußballzukunft in Österreich.“

Es wird für immer das einzige Totschlagargument aller Constantini-Freunde bleiben, dass er jungen Spielern eine Chance gab. Ja eh. Da hatte er Mut. Diesen Tribut kann man ihm durchaus zollen.

Den kann man jedoch auch Josef Hickersberger zollen, der es in Wahrheit war, der Veli Kavlak zum Nationalspieler machte (Kirchlers Detailtreue erinnert ein wenig an jene von Constantini) – und einige andere mehr wie Sebastian Prödl oder Martin Harnik. Karel Brückner „entdeckte“ Marko Arnautovic. Und Kollers Nachfolger wird es ihm womöglich danken, dass er Martin Hinteregger, Marcel Sabitzer, Valentino Lazaro oder Kevin Wimmer zu ihren ersten A-Team-Erfahrungen verhalf.

Und kleine Anmerkung am Rande: Es ist selbstverständlich nur eine Mutmaßung und kann nicht mehr bewiesen werden, aber die Chance, dass auch ein anderer Teamchef das herausragende Talent von Alaba relativ zeitnah erkannt hätte, ist nicht so gering, wie manch einer zu glauben scheint.

Sicherlich schwammen sich aus der Vielzahl der Constantini-Debütanten einige frei, Qualität setzt sich eben durch. Bei anderen könnte man wiederum diskutieren, ob sie nicht zu früh verheizt wurden, als Paradebeispiel kommt mir Christopher Drazan in den Sinn.

Dass "DiCo" durchaus auch Routiniers ins Team holte, als Beispiel sei bei aller Wertschätzung Patrick Wolf erwähnt, soll verdrängt, das Image des passionierten Jugendförderers und Talente-Entdeckers gepflegt werden.

Aber gut, die Liste der Vorwürfe soll gar nicht zu lange werden. Diese Phase des österreichischen Nationalteams ist ohnehin vorbei (und darf auch nie wieder kommen). Er konnte es eben leider nicht besser, was schade ist.

Denn es wäre spannend, ob die aktuelle ÖFB-Generation in der Entwicklung noch einen Schritt weiter wäre, wenn die zweieinhalb Jahre seiner Amtszeit nicht ein wenig verschwendet worden wären. Vielleicht hätte sie bereits Turniererfahrung, was in jenen Sphären, die diesem Team zuzutrauen sind, ein wichtiger Trumpf ist und der aktuellen Truppe – bei aller berechtigten EM-Euphorie – fehlt.

Kirchler schreibt: „Marcel Koller erntet jetzt die Früchte aus dieser Zeit – und seine Arbeit macht er auch wirklich exzellent. Constantinis Vorgehensweise wurde damals von vielen als „Jugendwahn“ bezeichnet und brachte ihm viel Kritik ein. Gott sei Dank ist der Tiroler Sturschädel seiner Linie treu geblieben, sonst würde sich unser Team heute nicht so gut präsentieren.“

Den letzten Satz kann man sogar irgendwie unterschreiben, allerdings mit anderem Inhalt.

Hätte Constantini nicht so gearbeitet, wie er eben gearbeitet hat, wäre ein ausländischer Trainer vom Typus Koller unter den ÖFB-Schwergewichten nie im Leben durchsetzbar gewesen.

DAS ist der größte Anteil des Tirolers an der hoffentlich bereits in Schweden fixierten EM-Qualifikation. In diesem Sinne ein letztes Mal: Danke, Didi!