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Wiener Viktoria: "Geht net" gibt’s net

Wiener Viktoria:

Normalerweise kickt die Wiener Viktoria in der Stadtliga. Am Dienstag betritt der Klub aber eine größere Bühne, in der zweiten Runde des ÖFB-Cups bekommen es die Meidlinger mit dem Kapfenberger SV zu tun. "Ballesterer fm" hat den ungewöhnlichen Verein besucht:

Die Wiener Viktoria geht neue Wege. Mit Lokalkolorit, dem Image von St. Pauli und Toni Polster als Trainer bekommt der Viertligist derzeit jede Menge Aufmerksamkeit. Neid und Missgunst bleiben dabei ebenso wenig aus wie die ganz normalen Sorgen eines Unterhausvereins.

Samstag, 16 Uhr. Der Himmel ist grau und es regnet immer wieder. Nicht stark, aber so wirkungsvoll, dass kein Sommergefühl aufkommt. Ende August zeigt sich das Wetter nicht mehr von seiner besten Seite. Mitten in Altmannsdorf im Bezirk Meidling liegt die Spielstätte des SC Wiener Viktoria. Der Kunstrasenplatz ist zwischen Bahntrassen, Wohnblöcken und Schrebergärten eingebettet, das unscheinbare Vereinsheim fügt sich als Flachbau widerspruchslos in die Kulisse ein. Nur die Lautsprecherdurchsagen und die Rufe der Spieler stören die ­Szenerie.

Die Viktoria tritt in der Wiener Liga gegen den SV Gerasdorf-Stammersdorf an. Der Zuschauerandrang auf dem Platz ist überschaubar, 330 Besucher wollen sich das Spiel ansehen. Für die Sponsoren und VIPs gibt es dennoch einen eigenen Bereich, der mit einem Schild gekennzeichnet ist: »Geldsäcke« steht darauf. Eine Woche zuvor sind zum Auswärtsspiel beim Favoritner AC noch 900 Zuschauer gekommen. Und das, obwohl sich der Himmel da ähnlich trostlos gab. Für eine Liga, in der selten mehr als 150 Zuschauer an der Bande lehnen, ist der Zuschauerschnitt dennoch bemerkenswert.

Auch dank Toni Polster, ÖFB-Rekordtorschütze und seit einem Jahr Trainer des Viertligisten. Ein ums andere Mal schallt es "Tri tra trallala, Tor für die Viktoria" aus den Lautsprecherboxen. Lauter Jubel brandet durch das sonst so ruhige Altmannsdorf, die Viktoria gewinnt 5:1. Die Leistung der Mannschaft ist an diesem Samstagnachmittag dennoch wenig spektakulär. Das Aufsehen, für das der Klub zuletzt gesorgt hat, dafür umso mehr. Drei Kamerateams und zahlreiche Journalisten kamen zu Polsters Debüt vor einem Jahr. Die Marketingabteilung ist professionell, ungewöhnlich professionell für einen Verein auf diesem Niveau. Jetzt hat sie es sogar geschafft, den FC St. Pauli für den Oktober zu einem Gastspiel nach Wien zu holen.

Neid statt Vorbildwirkung

Als "Kultklub mit Engagement seit 1931" bezeichnet sich der Verein. Das Motto ergibt sich wohl aus der Kombination von Toni Polster als Trainer und dem sozialen Engagement des Klubs, der Obdachlose und Prostituierte betreut und Deutschkurse für Eltern von Nachwuchsspielern mit Migrationshintergrund anbietet – und das macht die Viktoria derzeit sehr bekannt.

So viel Aufmerksamkeit erzeugt Argwohn bei anderen Leuten, die in der geruhsamen Wiener Liga aktiv sind. Von gegnerischen Fans und hinter vorgehaltenen Funktionärshänden wird der Verein schon einmal als "Red Bull Meidling" geschmäht. So zum Beispiel von den Fans des FavAC beim Ligaspiel gegen die Viktoria. Ein Foto mit Toni Polster wollen aber trotzdem alle gern machen. "Über 'Red Bull Meidling' kann ich nur lachen. Wir haben genauso unsere wirtschaftlichen Hausaufgaben zu lösen wie alle anderen auch", sagt Viktoria-Obmann Roman Zeisel. "Ich weiß, das glaubt uns keiner, aber ich überlege jeden Tag, wo wir sparen können."

Tatsächlich liegt das jährliche Budget des Vereins wie bei anderen durchschnittlichen Stadtligisten im unteren sechsstelligen Bereich. Altlasten aus vergangenen Tagen sind noch nicht restlos ausgeräumt, der Klub hat nicht einmal einen Hauptsponsor. "Wer glaubt, die Viktoria schwimmt im Geld, ist gerne dazu eingeladen, den Verein einen Monat lang zu führen, das Finanzgebaren zu klären, für alles aufzukommen. Das ist eine Lebensaufgabe", sagt Zeisel. Die Gründe des Aufschwungs sieht er anderswo: "Wir sind einfach nur neue Wege gegangen und zeigen, was möglich ist. 'Geht net' gibt’s net."

Statt Vorbildwirkung zu entfalten, zieht das Modell Viktoria im Unterhaus dennoch eher Neid und Missgunst auf sich. Auch Polster, der hier seine ersten Erfahrungen als Trainer sammelt, ist Segen und Fluch zugleich. "Als Toni Polster damals zugesagt hat, als Trainer zu arbeiten, hat er zu bedenken gegeben, dass sein Schatten ein langer sein wird. Wir sind das Risiko eingegangen", sagt Zeisel. "Als ich Trainer Peter Obritzberger im November 2011 gesagt habe, dass wir Polster engagieren, ich ihn aber als dessen rechte Hand gerne dabeihätte, ist unsere Freundschaft zerbrochen. Wir haben seitdem kein Wort mehr miteinander gewechselt."

Platz zum Spielen

Zeisel ist der Kopf im Hintergrund der zahlreichen Veränderungen. Vor mittlerweile sechs Jahren hat er seinen Jugendfreund Roman Gregory, damals wie heute Frontmann der Rockband "Alkbottle", als Präsidenten zur Viktoria geholt. Die beiden waren in ihrer Jugend bereits als Spieler für den Verein aktiv. Gemeinsam läutete das Duo den Wandel ein. Mit viel Überzeugungsarbeit beförderten sie zunächst rassistische Denkmuster aus dem Verein und machten ihn so für die zahlreichen Bewohner des Bezirks mit Migrationshintergrund – in Meidling immerhin mehr als 20 Prozent – attraktiv. "Das war gar nicht so schwer", sagt Zeisel. "Unser Credo ist einfach: 'Wir schicken niemanden weg.'"

Mittlerweile sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus mehr als 30 Ländern bei der Wiener Viktoria aktiv, als Spieler, gute Seelen oder Funktionäre. Mit rund 380 Jugendspielern liegt der Verein im Ligavergleich weit über dem Durchschnitt, und der Ansturm ist ungebrochen hoch. Deswegen wurde auch versucht, am nahe gelegenen Wacker-Platz, der bisher nur als Schulsportplatz genutzt wird, Nachwuchsmannschaften unterzubringen.

Das allerdings ging nur ein halbes Jahr lang gut: "Als der Jugendleiter Christian Keglevits am ersten Trainingstag im Frühjahr 2012 ins Pfeiferl geblasen hat, sind links und rechts die Fenster aufgegangen. Grundtenor: 'Oh, da ist was los, da ist es laut, die stören'", sagt Roman Gregory. Wie sehr ihn das ärgert, ist ihm deutlich anzumerken. "Jetzt sind wir dort nicht mehr erwünscht", sagt Zeisel. "Da werde ich zum Revolutionär und richtig grantig, wenn man sagt: 'Kinder stören', und ihnen keine Trainingsmöglichkeiten bietet." Denn auf der Viktoria-Sportanlage in der Oswaldgasse ist der Platz arg begrenzt.


Edgar Lopez und Clemens Zavarsky

Im neuen "ballesterer fm" kannst du die Fortsetzung der Geschichte lesen. Wie sieht das soziale Engagement der Wiener Viktoria konkret aus? Was sagen andere Vereine aus der Hauptstadt zum "St. Pauli"-Image? Außerdem gibt es ein ausführliches Interview mit Klub-Präsident und "Alkbottle"-Frontmann Roman Gregory.

Inhalte des ballesterer (www.ballesterer.at) Nr. 75 (Oktober 2012) – Seit 15.9. im Zeitschriftenhandel!

SCHWERPUNKT: SSC NAPOLI

DAS NEUE KÖNIGREICH VON NEAPEL

Napoli will nach oben und setzt dabei auf junge Thronfolger, alten Ruhm und globales Marketing

http://ballesterer.at/heft/thema/das-neue-koenigreich-neapels.html

 

»JEDER WEISS, WIE DIE STADT FUNKTIONIERT«

Gökhan Inler im Interview

http://derstandard.at/1347492731319/Neapel-lebt-fuer-den-Fussball

 

NOSTALGIE AUF NEAPOLITANISCH

Mit Maradona kam der Erfolg, geblieben sind auch Jahrzehnte danach Geschichten und Legenden

http://ballesterer.at/heft/thema/der-heilige-diego.html

 

NACHSPIELZEIT

Als Napoli in Stuttgart fünfeinhalb Tore schoss

 

Außerdem im neuen ballesterer:

»WIR MÜSSEN UNS BESSER VERKAUFEN«

ÖFB-Präsident Leo Windtner im Interview

 

125 JAHRE HSV

Zum Jubiläum haben Fans ihre eigene Geschichte aufgeschrieben

 

TONI UND VIKTORIA

Die Wiener Viktoria setzt auf soziales Engagement und professionelles Marketing

 

VOM KANTINEURSBUAM ZUM PRÄSIDENTEN

Roman Gregory über Meidling und die Wiener Viktoria

 

NATURVERBUNDENER SCHUHVERKÄUFER

Thomas Winklhofer über seine Zeit in Norwegens Natur und die Rückkehr nach Salzburg

http://ballesterer.at/heft/weitere-artikel/immer-wieder-salzburg.html

 

ENTWÜRDIGTES SPIEL

Ein Anstoß zum Fall Pezzoni

http://ballesterer.at/heft/kommentare/entwuerdigtes-spiel.html

 

GEPFLEGTES ERBE

Alp Bacioglu leitet das Museum von Fenerbahce Istanbul

 

(UN)SICHTBARER HASS-GRIECHE

Clemens Berger ist der 13. Mann

http://ballesterer.at/heft/serien/grieche-unsichtbar.html

 

BALLESTERER GOES PANINI

Die Redaktionsgalerie zur 75. Ausgabe

 

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Deutschland, England, Israel und Schottland

http://ballesterer.at/heft/groundhopping/ross-county-fc-celtic-fc.html