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"Ein neuer Präsident wäre ein totaler Kulturbruch"

Dem Fußball drohen vier weitere Jahre "Blatterismus".

Bei den FIFA-Präsidenschaftswahlen am 29. Mai in Zürich, wo im Vorfeld mehrere Funktionäre festgenommen wurden und ein Korruptionsskandal droht (hier geht's zur Story), werden Herausforderer Prinz Ali bin Al-Hussein gegen Amtsinhaber Sepp Blatter nur wenige Chancen zugerechnet.

Warum das so ist, weiß Thomas Kistner.

Der Autor des 2012 erschienenen Buches "FIFA Mafia" hat sich ganz genau mit der "Kriminalgeschichte" des Weltverbandes unter Sepp Blatter und dessen Vorgänger Joao Havelange beschäftigt.

Im Gespräch mit LAOLA1 spricht Deutschlands Sportjournalist des Jahres 2006 über das irrsinnige Wahlsystem der FIFA, ÖFB-Präsident Leo Windtner und wie Katar die WM 2022 doch noch verlieren könnte:

 

LAOLA1: Was macht die FIFA zur Mafia?

Thomas Kistner: All das, was man mit diesem Begriff beschreibt: Familienstrukturen, in denen Blut dicker als Wasser ist; absolute Abschottung nach außen; die Regentschaft, die von einem einzigen Patron ausgeht, an den sich alle wenden und der dafür vielleicht einmal einen Gefallen einfordert; bis hin zu einem ganz wichtigen Punkt: die Omerta, das Schweigegelübde. Das sieht man idealtypisch an der Katar-Frage: Die ganze Welt kennt die Antwort, warum Katar gewählt wurde, doch innerhalb des FIFA-Apparats schweigen alle. Also man kann den Mafia-Begriff eins zu eins auf die FIFA umlegen.

LAOLA1: Mit der Fußball-WM 2014 hat die FIFA 1,6 Milliarden Euro Reingewinn gemacht. Was passiert mit diesem Geld?

Buch-Autor und SZ-Journalist Kistner

LAOLA1: Was muss passieren, dass die Politik einen Boykott forcieren würde?

Kistner: Es müsste politische Spannungen geben. Wenn sich der Ukraine-Konflikt in den nächsten drei Jahren zuspitzt, dann wird die gesellschaftliche Debatte darüber so enorm sein, dass niemand an einem Boykott vorbeikommt. Und dann gibt es einen Dominoeffekt. Wenn ein Land die WM boykottiert, dann fallen andere mit um.

LAOLA1: Müssten die betroffenen Verbände dann nicht Konsequenzen der FIFA fürchten?

Kistner: Das würde niemals passieren. Wenn die großen Verbände damit anfangen, dann können auch die kleinen Verbände deswegen nicht ausgeschlossen werden. Dasselbe hätte auch bei der Katar-Frage passieren können: Hätten sich die europäischen Top-Ligen mit ihren Ansichten durchgesetzt, dann würde die WM nicht im Winter stattfinden. Blatter hat aber die Profi-Klubs mit der erhöhten Abstellungsgebühr eingekauft. Wenn die deutsche Bundesliga und die Premier League gesagt hätten, sie würden weiterspielen, dann wäre die Winter-WM nicht beschlossen worden.

Kistner: Interessant ist, was mit einem ganz bestimmten Teil des Geldes passiert. Zum Beispiel wird damit Wahlkampf gemacht, obwohl das für den Amtsinhaber offiziell verboten ist. Sepp Blatter hat die Entwicklungshilfe – ein magisches Wort im Fußball – aufgestockt. Das ist ein Geldregen, der ihm die Wiederwahl sichern wird. Natürlich gehört das Geld in Entwicklungshilfe investiert, aber die Frage ist, wie man damit umgeht. Es gibt keine Kontrolle, was mit den Millionen passiert, die in die verschiedenen Länder geschickt werden. Spannend ist zudem das Gehalt von Blatter. Das wird nicht offen gelegt.

LAOLA1: Wie hoch schätzen Sie das Gehalt des FIFA-Präsidenten?

Kistner: Wir kennen die Gesamtsumme der Personalkosten. Also jenes Geld, das für das Exekutiv-Komitee, die Direktoren oder auch den Generalsekretär zur Verfügung steht. Wie auch immer wir es rechnen, es bleiben ungefähr 20 Millionen Euro, von denen wir nicht wissen, wie sie sich aufteilen. Sicher gibt es da verschiedene Töpfe, auf die das Geld verteilt wird, also ist nicht sicher, wie viel am Ende bei Blatter landet. Ich schätze aber schon, dass ihm, beziehungsweise dem Präsidentenbüro, ein zweistelliger Millionenbetrag zur Verfügung steht. Die große Frage ist, ob die Spitzenfunktionäre der FIFA auch bei Sponsorenabschlüssen mitverdienen.

LAOLA1: Dabei würde es sich um Schmiergeld handeln, richtig?

Kistner: Ja, so könnte man das bezeichnen.

LAOLA1: Manche Leute halten Blatter zu Gute, dass er viel Geld von den zentralen Fußball-Mächten in die Peripherie umverteilt hat. Sehen auch Sie positive Aspekte an seinem Wirken?

Kistner: Das ist blühender Unfug. Es gibt zwei Seiten der Fußball-Welt: Einserseits Europa – die Kernländer des Fußballs – und den Rest der Welt. Die UEFA verdient sich ihr Geld selbst, macht jedes Jahr Milliarden mit der Champions League und anderen Events. Sie ist gnadenlos unabhängig und macht selbst Förderprogramme außerhalb Europas. Auf der anderen Seite gibt es die FIFA, die von Weltmeisterschaft zu Weltmeisterschaft mehr Geld einnimmt. Das liegt in der Natur der Sache. Wenn Sie da ein achtjähriges Mädchen hinsetzen, die könnte das auch nicht verhindern. Wie Blatters Geschäftstalent tatsächlich aussieht, hat man gesehen, als 2001 die ISL (korrupte Sportmarketingfirma und ehemals wichtigster FIFA-Geschäftspartner für TV-Rechte, Anm.) zerbrochen ist. Damals war die FIFA fast bankrott. In der MasterCard/Visa-Affäre verlor sie noch einmal über hundert Millionen.

LAOLA1: Kommen wir zum Präsidentschaftswahlkampf. Warum wird Blatter wiedergewählt werden?

Kistner: Das liegt an der besonderen Zusammensetzung des globalen Fußball-Parlaments. Die FIFA baut auf dem irrsinnigen Gedanken auf, dass sie im Sinne der UNO mit einer Weltregierung vergleichbar ist. Dementsprechend gilt das Prinzip "One Country - One Vote". Das ist natürlich totaler Blödsinn, denn die FIFA hat überhaupt nichts mit der politischen Welt zu tun, sondern ausschließlich mit dem Fußball. Also müssen wir die Fußball-Gemeinde als Maßstab heranziehen, um die Stimmen zu verteilen. Der DFB hat mit über sieben Millionen Menschen so viele Mitglieder wie dutzende andere Verbände zusammen. Das sage ich jetzt nicht, weil ich Deutscher bin, sondern weil der DFB der größte Verband ist. Warum hat ein Sandstreifen, wie die Turks- und Caicosinseln, dieselbe Anzahl an Stimmen? Diese kleinen Verbände sind es, die den guten Blatter Sepp wählen.

LAOLA1: Zuletzt zogen Luis Figo und Michael van Praag ihre Kandidaturen zurück, mit Prinz Ali bin Al-Hussein ist ein Herausforderer übrig geblieben. Was würde sich unter einem neuen Präsidenten ändern?

LAOLA1: Welche Rolle spielt Blatter in der Katar-Frage?

Kistner: Meine Einschätzung ist, dass Blatter immer schon für die WM in Katar war. Er hatte ein enges Verhältnis zum damaligen Emir. Ich glaube, der Deal war, dass er für die WM in Katar stimmt und dafür hält der Emir Blatters Konkurrenten Muhammed Bin Hamman davon ab, bei der FIFA-Präsidentschaftswahl 2011 zu kandidieren. Die Sache ist aber aus dem Ruder gelaufen. Bin Hammam ist angetreten und hätte gute Chancen gehabt, Blatter zu schlagen. Doch aufgrund von Bestechungsvorwürfen musste er seine Kandidatur zurückziehen (mittlerweile wurde der ehemalige Blatter-Freund bin Hammam von der FIFA lebenslang gesperrt, Anm.). Ein Präsident aus Katar und die WM im eigenen Land wäre natürlich eine super Nummer für das kleine Emirat gewesen.

 

Das Gespräch führte Jakob Faber

Kistner: Es wäre ein totaler Kulturbruch. Der Blatterismus wäre beendet. Das wäre eine Zeitenwende, völlig egal, was der neue Präsident macht. Blatter arbeitete bis zu seinem 40. Lebensjahr bei einer Uhrenfabrik und kam erst dann mit dem Fußball in Berührung. So ist er quasi über Nacht in diese bedeutungsvolle Rolle hineingeschwemmt worden. Prinz Ali kommt aus einer sportbegeisterten Herrscher-Familie, zwei Geschwister von ihm sind im IOC. Er hat bisher keine schlechte Figur gemacht. In den letzten vier Jahren hat er sich als FIFA-Vizepräsident klar von Blatter abgesetzt. Im Wahlkampf scheint er sich auch ein bisschen um die Frage bemüht zu haben, was in der Grauzone der Geschäfte rund um die FIFA abläuft. Das spricht dafür, dass er zumindest der am wenigsten naive von den drei Kandidaten war.

LAOLA1: Hat der jordanische Prinz als Mitglied der asiatischen Konföderation im Kampf um die dortigen Wählerstimmen einen Vorteil gegenüber Blatter?

Kistner: Ich bezweifle das, weil die Zukunft der FIFA nach Blatter in Asien geplant wird. Mit Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah kommt jemand in das neue FIFA-Exekutivkomitee, den man sehr genau im Auge behalten muss. Er kommt aus Kuwait und ist extrem mächtig. Dieser Mann hat Thomas Bach mit seinen Stimmpaketen als IOC-Präsidenten installiert, er hat Asien im Griff und ist zudem der Präsident der Vereinigung der Nationalen Olympischen Komitees. Für den Sport sehe ich nichts Gutes daran, wenn er nach Blatter FIFA-Präsident werden würde.

LAOLA1: Wie wahrscheinlich ist eine Mehrheit für Prinz Ali?

Kistner: Wenn es am Freitag zu einer Wahl kommt, bei der Blatter gegen ihn im Ring steht, dann hat er gar keine Chance. Es bleibt fraglich, ob er überhaupt ein Drittel der Stimmen bekommt, mit der er die erste Runde überstehen würde. Blatters Sieg kann nur noch irgendein Einfluss von außen verhindern. 

LAOLA1: In Ihrem Buch schreiben Sie 2012 noch davon, dass eine Winter-WM in Katar völlig irrsinnig wäre. Mittlerweile ist sie beschlossene Sache. Gibt es eine Möglichkeit, dass Katar die WM noch verliert?

Kistner: Auf jeden Fall. Ich würde nach wie vor kein Geld darauf setzen, dass die WM 2022 in Katar stattfinden wird. Innerhalb der Fußball-Welt ist alles geregelt, aber von außen kann noch einiges passieren, zum Beispiel aufgrund der geopolitischen Situation. Bis zur WM sind es noch sieben Jahre. Heutzutage kann so eine Endrunde interimistisch kurzfristig in einem anderen Land ausgetragen werden. Frankreich, Deutschland, die USA – da gibt es einige Länder, die einspringen können. Diese Entscheidung wird der Sport nicht treffen. Das wird man schon in drei Jahren bei der WM in Russland sehen. Die FIFA betont immer, dass ein Boykott nichts bringen würde. Aber natürlich hätte so etwas eine enorme Wirkung. Zum Beispiel für den Bewerbungsprozess. Die Kandidaten würden sich dann nicht mehr trauen, den Entscheidungsträgern sackweise die Kohle rüberzuschieben. Nimmt irgendjemand die boykottierten Olympischen Spiele von Moskau 1980 als echte Sommerspiele wahr? Bei uns nicht. Ein Boykott hätte also enorme Auswirkungen. Heutzutage noch mehr als vor 30 Jahren, als der Sport noch nicht diese religiöse Bedeutung hatte, die er heute hat.