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Rote Karte für Funktionäre: Schiedsrichter rechnet ab

Rote Karte für Funktionäre: Schiedsrichter rechnet ab

Abrechnungen sind im Sport nichts Unübliches.

Von gewissen Protagonisten gab es sie allerdings noch selten bis gar nicht. Etwa von Schiedsrichtern.

Harald Ruiss ist eine der Ausnahmen. Der Bundesliga-Referee, der seit dem Frühjahr 2010 in der Ersten Liga pfiff und zuvor schon im Oberhaus assistierte, rechnet mit dem Funktionärswesen ab.

Via offenem Brief. Acht Seiten lang. (HIER DER OFFENE BRIEF) Zugleich sein Rücktritt. Mit dem Schreiben kommt der 30-Jährige auch seiner ihm Ende April mitgeteilten Rückstufung in die Regionalliga ab kommender Saison zuvor.

Zentraler Angriffspunkt ist das heimische Schiedsrichter-Funktionärswesen, genauer gesagt das Bundesliga/Elite-Komitee und vor allem dessen Vorsitzender, Johann Hantschk.

Hantschk und Stuchlik bekommen Fett ab

Nicht weniger Fett bekommt Fritz Stuchlik ab. Der Adminstrator der Bundesliga-Referees – auch Schiedsrichter-Manager genannt – wird von Ruiss ebenso hart kritisiert wie Hantschk.

Insgesamt schreibt der Akademiker über "offenkundige Fehlentwicklungen und gravierende Missstände". Weiters hält er "einen umfassenden Dilettantismus, der sich unter dem Deckmantel der Professionalität verbirgt" fest. "Vor allem spiegelt er sich im Bereich des Bundesliga-Elite-Komitees der ÖFB-Schiedsrichter wider."

Ruiss ließ diesen Brief den ÖFB-Funktionären, den Bundesliga-Schiedsrichtern und Medienvertretern aus Österreich, Deutschland und der Schweiz zukommen.

Mehrmals lässt der Referee wissen, dass „es mir fern liegt, dieses Schreiben aus persönlicher Befriedigung, emotionsbedingter Frustration oder gar Rachegelüsten aufgesetzt zu haben – vielmehr geht es mir darum, die Öffentlichkeit über Missstände im Elite-Bereich des SR-Wesens zu informieren und das Schweigen zu brechen, um v.a. jungen österreichischen Akteuren des Sports die Chance zu eröffnen, unter fairen Bedingungen mit kompetenten Funktionären ihren Weg machen zu können.“

LAOLA1 hält die wichtigsten Kritikpunkte fest:

Johann Hantschk wird von Ruiss kritisiert
  • In erster Linie kritisiert Ruiss den Vorsitzenden des Bundesliga/Elite-Komitees, Johann Hantschk. „Bezeichnend für die Unprofessionalität im SR-Bereich ist, dass ein 73-jähriger ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär - trotz einer internen Altersrichtlinie des ÖFB für Funktionäre, die bei 70 Jahren liegt - noch immer die Führung des Bundesliga/Elite-Komitees inne hat.“ Ruiss hält fest, dass Hantschk, der des 30-Jährigen zufolge lediglich zwei Zweitliga-Spiele pfiff und frühzeitig Funktionär wurde, „trotz Nichtqualifikation (er war aufgrund seines „Gastspiels“ in der 2. Liga zu keiner Zeit FIFA-Referee), auf internationaler Ebene beobachtete! Als Schiedsrichter zu keinen Ehren gelangt, versucht er sich seit Jahren medial als „Schiri-Boss“ in den Vordergrund zu spielen. Sein Geltungsdrang zeigte sich erst kürzlich, als Interna über die „SR-Lauftests“ den Weg in die Medien fanden und Hantschk diesbezüglich zitiert wurde (Kronen Zeitung vom 15.4.). Unbedacht werden Äußerungen von ihm getätigt, planlos erscheint sein Vorgehen, das ohnehin von anderen ihn umgebenden Personen bestimmt wird.“

 

  • Nächster Kritikpunkt ist das Benotungsystem der Schiedsrichter und damit auch Horst Brummaier (Ruiss: „Rechte Hand Hantschks“), der „innerhalb des Komitees für den Beobachtungsbereich zuständig ist und das System der Benotung zu verantworten hat". Ruiss entlarvt es für sich als „Willkürsystem“, führt etwa auch aktuelle Beispiele wie jenes von Robert Schörgenhofer und seine Leistung bei Rapid-Salzburg (0:1) an (OFFENER BRIEF, S.2-3). Ruiss habe eine Gesamtnote 4 erkannt, Schörgenhofer bekam aber eine bessere und durfte deshalb wenige Tage später wieder pfeifen. Ruiss Fazit in diesem Punkt: „Schiedsrichter der 2. Liga haben seit jeher beim Komitee einen geringen Stellenwert 'genossen', währenddessen sogenannte aufstrebende und geförderte „Talente“ und FIFA-Referees des Öfteren eine vergleichsweise „milde“ Beurteilung erfahren.“

 

  • Auch was das, nach Aussage Ruiss, sportpolitische „Bundesländer“-Denken betrifft, hält der Referee Negatives fest: „So kann es vorkommen, dass ein sehr guter, talentierter Schiedsrichter aufgrund seiner „falschen“ Bundesländerzugehörigkeit unberücksichtigt bleibt, weil man nicht nach den bestqualifizierten Schiedsrichtern sucht, sondern abwägt, welches Bundesland einen Schiedsrichter „braucht“ bzw. „verdient“. (…) Österreich hat nicht die besten Schiedsrichter in der Bundesliga, sondern die sportpolitisch am geeignetsten. Der Aufstieg und Verbleib eines Schiedsrichters in der Bundesliga ist nicht vordergründig an die Leistung gebunden (wenngleich damit von Seiten des Komitees argumentiert wird), sondern beruht auf Seilschaften unter Funktionären und Schiedsrichtern, informellen Absprachen der Funktionäre im Vorfeld, wen man bevorzugen oder „abschießen“ müsse, und auf massivem Lobbying von Funktionären für einzelne Schiedsrichter, um diese in die richtige „Position“ zu bringen (evt. für eine bevorstehende FIFA-Nominierung).“

Fritz Stuchlik bekommt ebenso sein Fett weg
  • Neben Hantschk steht auch Fritz Stuchlik massiv in der Ruiss’schen Kritik. Der ehemalige FIFA-Referee ist Administrator der Bundesliga-Schiedsrichter, wird in der Öffentlichkeit Schiedsrichter-Manager genannt. Der 46-Jährige ist für Ruiss der heimliche Anführer. „Selbst die Mitglieder des Bundesliga/Elite-Komitees widersprechen ihm selten und lassen ihn in vielen Bereichen, welche die SR betreffen, gewähren. Der medial gekrönte „Schiri-Boss“ Hantschk wirkt wie seine Mitstreiter lediglich wie eine Marionette, die – wie die meisten anderen Mitglieder des Komitees – an Stuchliks Fäden hängt. Das, was der Manager sagt, hat zumeist Gültigkeit – seine „Erkenntnisse“ werden aber immer im Namen des Komitees verlautbart.“ Vor allem kreidet ihm Ruiss sein „ambivalentes Verhältnis zum Lauftest“ an. Seinen Ausführungen zufolge habe Stuchlik die Anforderungen selbst nicht erfüllt: „Bei den verpflichtenden, durch die FIFA vorgeschriebenen Lauftestvorgaben „scheiterte“ er bei den national durchgeführten und von mir selbst beobachteten Lauftests an den Sprintlimits.“ Stuchlik habe bei den von der FIFA/UEFA durchgeführten Tests, wo die von Ruiss besagten Defizite zum Vorschein gekommen wären, wegen Verletzung oder Erkrankung immer gefehlt. Drei Jahre vor dem Erreichen des Alterlimits (Ruiss: „Als die körperlichen Defizite immer offensichtlicher wurden“) habe Stuchlik die Karriere beendet. Auf der anderen Seite fordert der Schiedsrichter-Manager, der laut Ruiss dafür gar nicht zuständig wäre, die Vorgaben bei den Lauftests „pingelig ein“. Ruiss stellt dahingehend die Frage: „Fritz Stuchlik, der als SR-Manager des ÖFB (zu) vieles weiß, weswegen man ihn gewähren ließ und weiterhin gewähren lässt?“ Eine Antwort gibt es auch: "Die diesbezügliche Begründung könnte simpel sein: Ein System von Abhängigkeiten und Seilschaften, in denen sich Personen zu sehr verstrickt haben, lässt deren Entflechtung nicht zu. Solange man die eingefahrenen Strukturen nicht ändert bzw. ändern will, solange wird es auch jene Funktionäre geben, die sich eines löchrigen Systems bedienen und es gekonnt zu „nutzen“ wissen."

 

  • Einen weiteren Punkt nennt Ruiss „das Schiedsrichter-Komitee als Gegner seiner von ihm ‚Vertretenen‘“, wo er etwa die „mediale Anprangerung jener Schiedsrichter, die den Lauftest nicht positiv absolviert hätten“, missbilligt. Ruiss geht davon aus, dass „entweder der Vorsitzende (Hantschk, Anm.) oder der SR-Manager (Stuchlik, Anm.) die Medien davon in Kenntnis setzte“. Und hält weiter fest: „Es gab aber Gründe, weshalb der eine oder andere Schiedsrichter den Lauftest nicht bestehen konnte oder „durchgefallen ist“ (Zitat Hantschk, Krone, 15.4.). Diesbezügliche Hintergründe des „Scheiterns“ nicht zu erwähnen (z.B. Krankheit, Verletzung udgl.), sondern jene Kollegen an den medialen Pranger zu stellen, spricht für eine zumindest dilettantische Vorgangsweise im Umgang mit Medienvertretern – der Job der SR wird mit diesem „Outing“ nicht einfacher.“ Ruiss fordert generell mehr Rückendeckung, vor allem wenn Schiedsrichter in der öffentlichen Kritik stehen und etwa Droh-Emails bekommen: „Hier müsste eine Unterstützung in Form von Presseaussendungen und persönlichen Gesprächen mit dem betroffenen SR erfolgen – das „Alleingelassenwerden“ wirkt als Schuldeingeständnis, und selbst wenn schwere Fehler passiert sind, ist auf Bedrohungen und Androhungen von Gewalt bis hin zum Aufruf zum Mord rigoros zu antworten.“

 

  • In seinem Resümee hält Ruiss fest: „Die bereits jahrzehntelang andauernde österreichische Fußball- bzw. Schiedsrichterkrise ist hausgemacht. Sie ist eine Krise ihrer längst nicht mehr zeitgemäß agierenden, teilweise inkompetenten Funktionäre, welche den Fußball als Bühne ihrer Selbstdarstellung missbrauchen. Seilschaften, Lobbying und Willkürsysteme sind das Ergebnis dieser österreichischen Entwicklung.“