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Leitert: "Kann Journalisten nicht verurteilen!"

Leitert:

Gelegentlich schweift Hans Leitert mit seinen Blicken ab. Dorthin, wo sich der „Head of Goalkeeping Development“ von Red Bull am wohlsten fühlt. Auf den Fußballplatz.

Kaum verwunderlich, ist doch der Schreibtisch nach dem saftigen Grün ausgerichtet. Hinter ihm eine Glasfront, plakatiert mit Maximen des modernen Torhüter-Spiels.

Die Büro-Regale im Salzburger Trainingszentrum platzen aus allen Nähten. Jede Menge Literatur und Ordner. Akribisch werden Entwicklungen seiner Schützlinge in statistischer Form dokumentiert.

Schnell gewinnt man den Eindruck, der 39-Jährige überlässt nichts dem Zufall. In den ersten Minuten des Gesprächs erhärtet sich dieser.

Leitert weiß, wovon er spricht. Nicht umsonst gab er sein Wissen bei solch renommierten Adressen à la Tottenham, Recreativo Huelva oder Panathinaikos Athen als Betreuer preis. Er ist ein international „geprüfter“ Fachmann. LAOLA1 gewährt er einen detaillierten Einblick.

LAOLA1: Welche Funktionen impliziert Ihr Beruf?

Hans Leitert: Meine Aufgaben umfassen die gesamte Torhüter-Thematik bei Red Bull, ich koordiniere die unterschiedlichen Abteilungen der fünf Klubs in Salzburg, New York, Leipzig, Brasilien und Ghana. Speziell im Nachwuchs arbeiten wir intensiv an Entwicklungsprogrammen, die uns ein systematisches Heranführen der Jungen bis zu den Profis gewährleistet. Es ist ein komplexes Gebiet, aber unheimlich interessant, da dieses auf vier Kontinenten stattfindet und der kulturelle Spagat ein spannender ist.

LAOLA1: Wie gestaltet sich das Leitbild des modernen Keepers?

Leitert: Du solltest in den Bereichen Positionsspiel, Antizipieren und Handlungsschnelligkeit ein breit gefächertes Rüstzeug aufweisen. Gepaart mit der physischen Komponente ist auch die Widerstandfähigkeit gegen Verletzungen nicht unbedeutend. Den technischen Bewegungsablauf setzen wir eigentlich fast voraus. Nur so kannst du dich vom großen Durchschnitt abheben.

LAOLA1: Ihre Publikation „The Art of Goalkeeping or The Seven Principles of the Master“ fand 2007 weltweit Anklang. Was sind die zentralen Aspekte im Konzept Ihres Arbeitgebers?

Leitert: Wir beobachteten in den letzten Jahren die Anforderungen auf Weltklasse-Niveau, das Profil wurde entsprechend adaptiert, neue Strategien entwickelt. Für uns gibt es drei Segmente, welche ein kompletter Torhüter beherrschen muss, um reüssieren zu können. Zum einen Zielverteidigung, damit meine ich das Reagieren auf Kopfbälle oder Schüsse. Der zweite Punkt ist die Raumverteidigung, also die Intervention auf Flanken und Steilpass-Situationen. Und der dritte Bereich ist das Offensivspiel.

LAOLA1: Angriffsspiel und Spieleröffnung – inwiefern wurde die Ausbildung dadurch facettenreicher?

Leitert: Wie sich der Sport entwickelt, hat große Konsequenz. Die Trainings-Methodik veränderte sich insofern, dass Offensive ein wesentlicher Bestandteil ist. Aus diesem Grund machen Goalies oftmals Einheiten als Feldspieler mit. In welchem Land du dich befindest, hat ebenfalls Einfluss. In Südeuropa ist man zu einem größeren Prozentsatz integriert als in England oder Deutschland, wo sehr individuell gearbeitet wird. Da komme ich auf den Begriff Aktionsprofil. Was wird von einem Torhüter gefordert, wenn er den Ball ins Spiel bringt? Bist du bei den Blackburn Rovers, sind lange Abstöße wichtig. Zwar ist das keine hohe Kunst, dort ist jedoch der Spielstil so definiert.

Englands tragischer Held bei der WM 2010

LAOLA1: Welchen Stellenwert nimmt die mentale Betreuung im Alltag ein?

Leitert: Sie fängt an, indem ich dem Torwart vor einer Einheit die Hand auf die Schulter lege. Es geht darum, eine gesunde Einrichtung zu schaffen. Dem Spieler das Gefühl zu geben, er werde respektiert und wertgeschätzt. Die Hinzunahme von Psychologen, die ich sehr begrüße, dient der Vertiefung, zu der wir nicht ausgebildet sind. Wenn ich hingegen dem Schützling täglich zu spüren gebe, dass er ein Trottel ist, nützt mir der beste Mentaltrainer nichts.

LAOLA1: Im Mutterland des Fußballs, England, steht der Schlussmann gemeinhin besonders im Fokus – was haben Sie Ihrer Nummer eins bei den Tottenham Hotspur damals mitgegeben?

Leitert: England ist brutal! Die Auslage auf der Insel ist eine gewaltige. Man ist mit einer unfassbaren Erwartungshaltung seitens Anhänger sowie Medien konfrontiert. Da sollte man einen ausgesprochen starken Charakter und ein festes Rüstzeug mitbringen. Dein Umfeld hat die Pflicht, dich zu schützen.

LAOLA1: Ein ungerechtes Business?

Leitert: England ist ein komplexes Entertainment. Auf der einen Seite ist die Premier League gerecht, da sich die Besten durchsetzen. Je stärker und ausgeglichener die Competition, desto gerechter ist es im Endeffekt.

LAOLA1: Sind Psychologen dort noch mehr gefordert?

Leitert: Jeder ist gefordert! Wie viele Psychologen sind in der Premier League im Einsatz? Aus eigener Erfahrung weiß ich: Nicht viele. Es ist eine extrem leistungsbezogene Gesellschaft. Erschwerend hinzu kommt die Yellow-Press-bezogene Medienlandschaft, die viel erzählt. Nehmen wir Robert Green her. Er beging bei der WM 2010 in Südafrika einen Fehler und bekam quasi Einreiseverbot. Ein Wahnsinn, was da abging. Überall wurde sein Name auf das Ärgste verrissen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich abzuschotten und zu warten bis die Zeit verging. Man sollte schon nachdenken, was man einem anderen da umhängt.

LAOLA1: Welche positiven Auswirkungen hatte der tragische „Fall Robert Enke“ folglich?

Leitert: Spieler bekennen sich zu der Krankheit, das ist erfreulich. Aber: Was sollte sich ändern? Dass die „Sun“ und „Bild“ weniger schreiben und geringeren Absatz riskieren. Wenn der Goalie patzt, wird er nie zu hören bekommen, es wäre nicht schlimm. Medien haben einen Auftrag, Sportler einen und wir Betreuer ebenfalls. Ich kann Journalisten nicht verurteilen, das ist ihr Geschäft. Ohne Presse gebe es den Fußball nicht. Wir haben die Berufswahl getroffen, brauchen nicht zu raunzen. Wir dürfen uns um solche Dinge nicht kümmern, selbst wenn es schwer ist. Fußball wird ein sehr leicht verdaubares Entertainment bleiben. Ohne an der Oberfläche zu kratzen.

Christoph Köckeis

LAOLA1: In Spanien sieht das Bild differenzierter aus?

Leitert: Wenn du Barcelona beobachtest, muss man beidbeinig sein, mit links und rechts kurz passen und Bälle in die Mittel-Distanz chippen können. In Spanien ist es generell gefordert. Danach orientiert sich der Ausbildungsinhalt - von Akademien bis zu Profi-Mannschaften. Talenten wird gepredigt, dass sie eine sichere Anspielstation darstellen müssen, bei Blackburn ist das wiederum völlig egal. Dort sollte man stattdessen robust sein, um im Luft-Zweikampf zu überleben.

LAOLA1: Sie waren in Fußball-Nationen engagiert. Wie eklatant sind die Philosophie-Unterschiede?

Leitert: Man sollte wissen, welchen kulturellen Ursprung das Torwart-Spiel hat. Aus der Tradition in England wird das Training durch hohe Intensität wie auch Wiederholungszahlen in kurzem Zeitraum definiert. Ein klassischer „Shot-Stopper“. Bezüglich Flanken ist einiges an körperlichem Widerstand vorhanden. Wohingegen die spanische Idee eine konträre ist. Dort ist man ein wichtiger Bestandteil im Aufbau, die taktische Komponente entscheidend. In der Premier League liegt die durchschnittliche Körpergröße bei 1,92 Metern, in Spanien ist sie um die 1,85. Ein anderer Typ wird erwartet. Danach richtet sich die Selektion der Spieler.

LAOLA1: Wie beeinflusste Sie die Auslands-Erfahrung, um den „perfekten“ Schlussmann gedanklich zu kreieren?

Leitert: Jede Station ist wertvoll. Ich habe überdies das Glück, als Trainer-Ausbildner der FIFA tätig zu sein. In den vergangenen Jahren hielt ich mich im arabischen und asiatischen Raum auf. Meine Arbeit bei Red Bull erweitert den Horizont zusehends. Klar ist: Den Perfekten gibt es nicht. Um einen Goalie nachhaltig auf ein besseres Niveau zu bringen, kann man nicht sagen, wir machen es wie die Spanier, Italiener oder Deutschen.

LAOLA1: Es gibt kein Richtig oder Falsch?

Leitert: Falsch wäre, etwas zu trainieren, was nichts mit dem Spiel zu tun hat. Ich fordere von meinen Betreuern, dass sie analysieren, was während der Begegnung passiert. Wenn unsere Torhüter die Anforderungen nicht umsetzen können, gehört daran gearbeitet. Dabei müssen wir stets im Hinterkopf behalten, dass der Fußball nicht stehen bleibt. Bis ein heute 14-Jähriger soweit ist, Fuß zu fassen, vergeht viel Zeit. Die FIFA-Analysen belegen, dass sich der Sport in einer Dekade um 20 bis 25 Prozent entwickelt. Er wird schneller und intensiver. Man hat weniger Raum und Zeit.

LAOLA1: Was zeichnet den zeitgemäßen Rückhalt in fünf Jahren aus?

Leitert: Eine spannende Frage! Ich glaube, es wird schwieriger. Die Material-Gestaltung fällt weiter so aus, dass sie nachteiliger für den Torwart ist. Die Bälle werden nicht einfacher, dadurch besteht eine gewisse Fehlerquelle. Wir müssen das einkalkulieren, werden Talente in Zukunft dementsprechend ausbilden. Das Fangen wird speziell in der Zielverteidigung viel unwichtiger, es ist zu risikobehaftet. Vielmehr geht der Trend hin zur kontrollierten Abwehr zur Seite. Weiters werden Flanken noch problematischer. Einfallsreichtum und taktische Finesse der Angriffs-Muster entwickeln sich, sodass man weniger Raum sowie Zeit erhält, um Bälle zu berechnen. Wir müssen in Zukunft alternative Lösungen vorschlagen.

LAOLA1: Und die wären?

Leitert: Wahrscheinlich werden wir sie dahingehend unterrichten, auf manche Flanken bewusst nicht zu reagieren. Da gilt es mit Trainern andere Defensiv-Taktiken zu erarbeiten. Verteidiger werden womöglich bei der Hereingabe eine bestimmte Zone bewachen, die für den Tormann unerreichbar ist. Das erleichtert den Entscheidungsprozess.

LAOLA1: Kommen wir zur Persönlichkeit: Welche Eigenschaften sollte ein Weltklasse-Mann besitzen?

Leitert: Du solltest stressresistent sein, Führungsqualitäten besitzen und die Fähigkeiten haben, über einen langen Zeitraum konzentriert zu bleiben. Bedeutend ist, die Balance zu finden. Du kannst nicht über 90 Minuten voll auf der Höhe sein, musst wissen, wann du den Fokus laufen lässt. Erfolgreiche Teams haben sie sich mitunter durch markante und starke Persönlichkeiten im Kasten ausgezeichnet. Unter Druck sollte eine Nummer eins die Vorderleute führen. Präsenz und Körpersprache sollen dem Gegner zeigen, dass man der Situation gewachsen ist. Die Qualität, richtige Entscheidung zu treffen, ist erforderlich. Ob Manuel Neuer, Petr Cech oder Casillas – sie bringen ein technisches Rüstzeug mit. Da sind kaum Qualitäts-Unterschiede merkbar. Sie zeichnet jedoch die Erfahrung aus, weswegen sie öfter richtig handeln.