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Der absichtliche Fehlpass als taktisches Mittel?

Der absichtliche Fehlpass als taktisches Mittel?

Der Fehlpass. Eine Aktion, die jeden Fan zur Weißglut bringt.

In Zukunft könnte der Ball aber auch absichtlich zum Gegner gespielt werden. Das meint zumindest Frank Wormuth. Der Chef der deutschen Trainerausbildung ließ im Sommer mit einer gewagten These aufhorchen.

„Ich rechne mit dem geplanten Fehlpass als taktischem Mittel“, erklärte der 54-Jährige gegenüber der „FAZ“ am Rande eines Trainerkongresses des Bunds deutscher Fußballlehrer in Mannheim.

Absichtlich zum Gegner passen? Was hat das für einen Sinn?

Gezielt einen Konter provozieren

Das Zauberwort heißt Gegenpressing – die sofortige Balleroberung nach Ballverlust. Der Fehlpass soll in eine Zone des Platzes gespielt werden, die den Gegner unter Bedrängnis bringt. Wird dann schnell das Spielgerät zurückgewonnen, ist der Weg zum Tor umso kürzer.

Zudem verhalten sich die gegnerischen Abwehr-Reihen in der Umschaltphase weniger geordnet. Man hat das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Anders ausgedrückt: Es geht darum, gezielt einen Konter zu provozieren.

„Fußball ist Angreifen und Verteidigen. Wenn wir angreifen, ist es wichtig, an die Verteidigung zu denken, und wenn wir verteidigen, ist es wichtig zu wissen, wie man angreifen will“, erklärt Bayern-Trainer Pep Guardiola nicht umsonst.

Mainz hat es schon ausprobiert

Bei seinem Ex-Verein soll der Katalane den kalkulierten Fehlpass zumindest schon einmal ausprobiert haben. „Über Barcelona hat man das gesagt. Aber warten wir einmal ab. Im Moment kommt mir das etwas weit hergeholt vor. Theoretisch kann dann auch der Gegner absichtlich Fehlpässe spielen. Also was würde denn da herauskommen?“, amüsiert sich Roman Mählich über die unorthodoxe Idee.

DFB-Trainerausbildner Wormuth ist auch deutscher U20-Teamchef

Ein Mittel gegen die Betonabwehr?

Noch scheint Wormuths These sehr gewagt, doch der geplante Fehlpass könnte eine neue Variante im Offensiv-Spiel werden. Kompakte Abwehrreihen lassen immer weniger Lücken zu. Bestes Beispiel dafür ist Chelseas Champions-League-Titel im Jahr 2012. Das Team von Roberto di Matteo ermauerte sich damals die Trophäe.

Mit dem absichtlichen Fehlpass samt überfallsartigem Gegenpressing könnten genau diese tief stehenden Verteidigungsketten am falschen Fuß erwischt werden.

Natürlich bedarf eine solche Strategie aber genügend Vorbereitungszeit im Training. Es muss genau festgelegt werden, wohin der Fehlpass gespielt wird und wie sich die Mannschaft im Gegenpressing formiert.

Das Gegenpressing als Spielmacher

Es wird sich zeigen, ob sich dieses Mittel als taktischer Trend durchsetzt oder nur das Hirngespinst von einem der renommiertesten deutschen Fußball-Experten bleibt.  Ried-Trainer Glasner findet die Idee interessant, denkt selbst aber nicht daran, diesen Kniff einzusetzen.

Ried-Coach Oliver Glasner, der momentan genauso wie Mählich den ÖFB-Trainerkurs für die UEFA-Pro-Lizenz belegt, kennt einen Klub, der dieses taktische Mittel bereits genutzt hat. „Ich weiß von Mainz, dass sie das unter Thomas Tuchel gemacht haben. Zwar nicht permanent, aber zum Beispiel nach dem Anstoß, um schneller ins Gegenpressing zu kommen“, so Glasner.

Gleich nach dem Anpfiff bietet sich diese Variante natürlich ganz besonders an, um den Gegner zu überraschen und überfallsartig anzugreifen. Nach dem Fehlpass sollen die Kontrahenten durch strukturiertes Anlaufen und Zustellen gleich wieder unter Druck gesetzt werden. Der Ball wird zurückerkämpft, Pass in die Spitze und Schuss auf das Tor.

„Ich glaube, den Fehlpass geplant zu spielen ist nicht nötig. Es kommen auch so genügend in einem Match vor“, scherzt der ehemalige Assistent von Roger Schmidt, nur um gleich darauf mit ernster Miene hinzuzufügen: „Aber natürlich will ich, dass meine Spieler nach einem Fehlpass nicht lange herumhadern, sondern diesen als Chance sehen, selbst torgefährlich zu werden.“

Schließlich meinte auch Dortmunds Jürgen Klopp einst, dass das Gegenpressing der „beste Spielmacher der Welt“ sei. Bis jetzt wurde dieses aber stets im Notfall angewendet – also bei einem ungewollten Zuspiel zum Gegner. Warum den Fehlpass also nicht von vornherein geplant spielen?

Von diesem Standpunkt her erscheint Wormuths These gar nicht so unrealistisch. Die nächsten Jahre werden weisen, ob er damit Recht behalten soll.

 

Jakob Faber